Kapitel 4

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Es dauerte sehr lange bis ich den Brief fertig geschrieben hatte. Alle standen gerade erst auf und ich ging jetzt erst schlafen. Es hat mir zwar noch die letzten Nerven gekostet, aber es fiel mir auch ein großer Stein vom Herzen, denn wenn man seine Probleme mal aufschreibt, dann geht es einem ein Stück weit besser. Es war ziemlich schwer und emotional für mich diesen Brief zuschreiben und nach langer Zeit habe ich endlich mal wieder das Gefühl, dass ichjemandem zu hundert Prozent vertrauen kann. Denn ich bin so oft auf die Nasegefallen und manche Leute haben mich einfach nur ausgenutzt und wenn ich mitmeinen Problemen anfing, dann war niemand mehr da.

Ich schlief mich erst einmal richtig aus. Mama hatte leckeres Frühstück gemacht: Schwarzen Tee, Pancakes, Ei und frisches Brot. Es roch so gut und ich freute mich sehr auf dieses besondere Frühstück. Ich war natürlich die Letzte, die frühstückte und durfte natürlich auch die ganzen Sachen wieder wegräumen. Die Sachen von meinem Adoptivvater musste ich auch immer wegräumen, weil er immer zu faul und zu fein dafür ist. Ich hätte ja Verständnis dafür, wenn er einen schweren Arbeitstag hinter sich hatte, aber er geht nicht einmal arbeiten. Trotzdem müssen wir den nach Strich und Faden bedienen und wenn ich den mal frage, ob er etwas für mich machen kann, dann hat er keine Zeit dafür.

Während ich aß, überlegte ich, ob ich ihr den Brief in der Schule übergeben sollte oder zu ihr schicken sollte. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich ihr den Brief persönlich in die Hand gebe. Also machte ich mich nach dem Essen fertig und machte mich auf dem Weg zur Schule. Als ich mir meine Schuhe anzog, fiel mir ein, dass wir Wochenende hatten und die Schule geschlossen ist. Die ganze Mühe war umsonst und ich hatte mich so sehr gefreut, dass ich ein wenig Abstand von zu Hause hatte. Jedoch habe ich mich da gewaltig getäuscht. Ich zog meine Schuhe wieder aus und verbrachte das ganze Wochenende in meinem Zimmer. Die Gardinen waren die ganze Zeit geschlossen, damit es immer schön dunkel war. Zum Essen kam ich ab und zu raus, aber ich versuchte es zu vermeiden und verzichtete lieber darauf. Nur im Notfall kam ich heraus, als der Hunger mich dann doch übertraf. 

Ichdachte sehr viel nach und überlegte nochmals, ob es richtig sei, was ichvorhabe. Außerdem las ich den Brief gefühlte 1000 Mal durch und konnte ihn fastauswendig und schaute nach Rechtschreibfehlern oder Kommafehlern und ob ichirgendetwas vergessen habe zu erwähnen. Aus Langeweile schrieb ich den Briefnoch einmal ab, weil meine Schrift an manchen Stellen unlesbar war, da ich denBrief im Halbschlaf geschrieben hatte und mit Tränen in den Augen. Ich dachte,dass es länger dauern würde, aber es nahm nur eine Stunde ein. Am Abend gingich duschen, damit ich es am nächsten Morgen nicht machen musste und damit esnicht allzu stressig wird. Meine Anziehsachen für den nächsten Tag lagen schonauf meinem kleinen Sitzkissen. Später beim Zähneputzen schaute ich in denSpiegel. Ich schaute mir tief in die Augen und sah die Angst undUnzufriedenheit. Mir liefen Schweißperlen die Stirn hinunter und meine Augenfingen an zu brennen. Ich fing zu weinen an. Andere Menschen können ihre Flügelausbreiten und sind frei, wie ein Vogel. Sie haben ihre Eltern um sich herum,die ihr oder ihm zur Seite stehen und helfen die Flügel auszubreiten. Beklagensollte ich mich eigentlich nicht, weil ich habe Essen, Trinken, ein zu Hause,eine Familie und Freunde. Aber die Probleme von zu Hause und aus meinerVergangenheit fressen mich buchstäblich auf und es tut einfach weh, was imMoment abgeht. Mit 16 Jahren kann man nicht viel machen und sagen, dass manausziehen will. Erstens habe ich kein Geld und zweitens muss ich auf meine Eltern hören.

Als ich in meinen Gedanken war und vor dem Spiegel stand, bekam ich gar nicht mit, dass jemand die ganze Zeit an der Tür klopfte. Ich wusch mein Gesicht und versuchte meine verweinten Augen zu verstecken. Meine Mutter stand die ganze Zeit vor der Tür und fragte mich, warum ich so lange gebraucht habe. Ich tat so, als würde ich sie nicht hören, verschwand in meinem Zimmer und schaltete das Licht aus. Meine Aufregung wegen der Übergabe stieg und mir fiel es schwer einzuschlafen.

Am nächsten Morgen stand ich richtig früh auf, damit niemand mitbekam, dass ich zur Schule gehen würde, denn noch eine Ausrede würde mir nicht einfallen und dann würde die ganze Sache auffliegen. Ich machte mich schnell fertig und schlich mich raus. Nach der Übergabe wollte ich Brötchen kaufen, damit ich wenigstens eine kleine Notlüge habe und es nicht allzu sehr auffällt.

Als ich zur Schule lief, hörte ich Musik von MichaelJackson. Der Song YOU ARE NOT ALONE gibt mir das Gefühl, dass ich niemalsalleine bin, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Michael Jackson sitzt aufseiner Wolke und schaut auf mich hinunter. Es ist ein so schönes Gefühl derRealität für ein paar Minuten zu entfliehen und in meine eigene Welteinzutauchen. Mein Weg bis zur Schule dauerte ungefähr eine halbe Stunde, aberdiese halbe Stunde verging wie im Flug. Es kam mir vor wie fünf Minuten. Ichwar mal wieder so sehr mit mir selber beschäftigt, dass ich fast dranvorbeigelaufen wäre. Ich betrat die Schule und unser Treffpunkt war wieder dasElternsprechzimmer. Meine Hände zitterten und ich hatte alles vergessen, wasich sagen wollte. Angst davor, dass mir das Gleiche passiert wie beim letztenMal. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich schämte mich auch ein wenig,weil es mir peinlich war, was das letzte Mal passiert war. Ich setzte michentspannt hin und dann kam sie herein.




Verloren? - Welcome to my truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt