KAPITEL 1 | Erster Schultag

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Ein großer Schweißtropfen kullert mir über meine Rechte Augenbraue, die Wange herunter - eine Perle der Lust. Ich spüre wie die Luft im Raum sich zu biegen scheint. Noch nie habe ich mein Herz so deutlich gespürt, wie jetzt. Beinahe schmerzhaft pumpt es mit Sauerstoff angereichertes Blut durch meinen gesamten, mit Lustperlen bedeckten Körper. „Where ever I may roam" von Metallica verstummt immer weiter im Hintergrund. Alles wirkt so unbedeutend. Mit meiner linken Hand berühre ich sanft ihre zarte, mit Sommersprossen bedeckte Haut. Auch aus ihrer Wange scheinen Perlen an die Oberfläche zu gelangen. Für einen kurzen Moment schien sich meine Leidenschaft in ihren Augen zu spiegeln. Ich spüre, wie ihre warme Hand meine Hüfte umschlingt. Dann ist es soweit....

3 Wochen zuvor:
,,Ann?"- Tiefer und tiefer sank ich in das klare Wasser meines Verstandes. „Ann?!"- Die süße Flüssigkeit schien langsam aber sicher in dichten Nebel überzugehen. „ANN?!"- Hell, so hell. „ANN?! Willst du mich verarschen?", hörte ich eine mir endlich bekannte Stimme. Diese Stimme war weder zart noch weich. Mit einem großen Schreck zuckte ich auf. Es war nicht mehr hell, nicht mehr neblig und auch nicht nass. Als ich meine Augen öffnete, konnte ich mir dunkle Wut sehen. KLATSCH - plötzlich spürte ich, wie sich die Wut in den Augen meines Vaters, in einen Schlag auf meine Wange verwandelten. Ruhig Ann, mach jetzt bloß keine Falsche Bewegung. Ich spürte wie sich eine große Würgeschlange der Angst, um meinen Hals schlang und mir nach und nach die Luft zum Atmen verweigerte. „Du dumme Göre! Weißt du eigentlich wie spät es ist?!" mit müden und dennoch aufgeschreckten Augen, warf ich einen Blick auf den kleinen schwarzen Wecker, der sich auf meinem Nachttisch befand. Es war 07.35Uhr. Sofort zog ich die Bettdecke von meinem angebräunten Körper und bemerkte erst einige Sekunden später, dass ich nichts weiter als eine Unterhose anhatte. Einen Augenblick später griff ich wieder nach meiner Decke, um meinen entblößten Körper vor den Blicken meines Vaters zu verstecken. „Tut mir leid, ich muss vergessen haben, mir einen Wecker zu stellen", sagte ich, während ich auf meinen Wecker starrte. Jetzt war es schon 07.36Uhr. „Ann, heute ist der erste Schultag, ich will nur nicht, dass zu spät kommst", erklärte sich mein Vater und strich dabei über die Hand von mir, die sich an meine Decke klammerte. Ich wusste was er wollte und was ich wollte. Ich wollte nicht, dass er noch wütender wird und er wollte dass ich locker lasse. Ich tat was er wollte. Langsam zog er die Decke herunter. Mit der anderen Hand hielt er mein Kinn fest und richtete mein Gesicht wieder in seine Richtung. Für einen kurzen Moment war mir, als könnte ich in seinen dunkelbraunen Augen den Teufel sehen. „Wenn du dich beeilst, fahr ich dich"- mit diesen Worten verließ er mein Zimmer. Mittlerweile war es 07.38Uhr. Um 07.52Uhr saß ich neben ihm auf dem Beifahrersitz. Die Fahrt dauerte knapp fünf Schweigeminuten. „Danke fürs fahren"
„Morgen vergisst du lieber nicht, deinen Wecker zu stellen"
Als ich gerade die Autotüre öffnen wollte, spürte ich plötzlich einen harten Griff an meinem Handgelenk. Er zog mich einige Zentimeter zu sich. „Krieg ich keinen Abschiedskuss?"
Nein, kriegst du nicht. Ich will nicht. Dachte ich mir, aber meine Zunge sprach das genaue Gegenteil.
„Natürlich"
Langsam näherte sich mein Gesicht an seines. Er roch stark nach Zigaretten und Alkohol. Jetzt konnte ich bereits seine Bartstoppeln spüren. Vorsichtig spitzte ich meine Lippen. Dann griff er ruckartig meinen Nacken, um mein Gesicht fester an seines zu drücken. Ich versuchte meinen Mund geschlossen zu halten, aber er war stärker. Ich empfand puren Ekel, als seine Zunge durch meine Lippen drang. Dann hörte ich plötzlich den 08.00Uhr gong und versuchte mich vorsichtig von ihm zu entfernen.
„Ich komme zu spät", versuchte ich mich aus der Situation zu reden.
„Morgen stehst du früher auf", antwortete er mit einem teils enttäuschten, teils wütendem Gesichtsausdruck.
Ein Gefühl der Erleichterung breitete sich in meiner Brust aus, als ich die Autotür hinter mir schloss. Mein Vater hat direkt vor dem Eingang des John Nash- Gymnasiums geparkt. Zügig und ohne mich umzudrehen lief ich auf meine Schule zu. Da der Unterricht um 08.00Uhr anfing, waren außer mir bereits alle in ihren Klassenzimmern - dachte ich jedenfalls. Der Geruch von altem Gebäude und Stress stieg mir in dem Moment in die Nase, als ich die schwere Holztüre öffnete. Ich hasse Schule.
Ich hasste Schule, aber hier war es immer noch besser als zuhause. Da ich ohnehin schon zu spät dran war, machte ich noch einen kleinen Abstechet auf der Toilette, bevor ich das Klassenzimmer mit einer ausgedachten Entschuldigung im Ärmel, betrat.
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin Frau Juckholz-Kies. Ich wurde durch einen Unfall auf der Straße aufgehalten"
„Schon gut. Setz dich bitte"
Ich setzte mich auf meinen gewohnten Platz, zwischen Frances und Kendall.
>> Heyy ich bin Kendall, mein Spitzname ist Kenny. Ich kenne Marry-Ann jetzt seit 10 Jahren. Angefreundet haben wir uns in der Grundschule beim Kinderballett. Sie ist für mich, wie die Schwester, die ich nie hatte und wahrscheinlich die einzige Person auf dieser verkorksten Welt, die mich so liebt, wie ich wirklich bin. Ich benutze ihren Geburtstag fast überall als Pin-Code. Ich würde sagen, dass Ann ein ruhiger und angepasster Mensch ist, solange bis man sie wirklich kennenlernt. Dann ist sie eine verrückte Nudel, die ordentlich Feuer unterm Hintern hat.<<

>>Mein Name ist Franziska, aber Ann nennt mich immer nur Frances. Ich mag den Namen eigentlich nicht, aber ich will Ann nicht verletzen. Wir beide kennen uns noch nicht besonders lange, aber ich habe sie schnell in mein Herz geschlossen. Allerdings hat sie irgendwas in ihren Augen, dass mir Sorgen bereitet. Sie sieht oft traurig aus, manchmal sogar verletzt und ängstlich. Ich bin vor einem Jahr hier her gezogen und Ann war die erste, die mich sofort aufgenommen hat. Wir sind mittlerweile ziemlich gut befreundet. Nur mit Kendall komm ich manchmal nicht
Zurecht <<
„Ts ts ts erster Schultag und schon zu spät. Typisch Ann", scherzte Kendall. Ihre muntere Art steckte mich immer wieder aufs Neue an.
„Ja, ich weiß eben, wie man sich bei den Lehrern beliebt macht", erwiderte ich. Erst als ich mich von Kenny abwandte, bemerkte ich Frances besorgten Blick.
Kurz darauf fragte sie vorsichtig: ,,Hey Ann. Ist alles okay..?"
Aus irgendeinem Grund hatte ich immer das Gefühl, dass Frances mehr über mich wusste, als mir lieb war.
„Alles Bestens, danke. Und bei dir?"
Der Versuch sie mit einem Lächeln zu beruhigen, funktionierte leider nur teilweise. Ich wollte nicht, dass sie sich sorgen macht.

ENDE KAPITEL 1

Four shades of HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt