Morgens, da steht sie in unserer großen Küche.
Nur morgens. Tagsüber lässt sie sich nicht blicken. Sie hat besseres zu tun, legt sich schlafen nach langen Nächten. Ich störe sie nur. Ich fürchte, sie mag mich eigentlich auch nicht besonders.Für mich ist sie trotzdem die einzige Bezugsperson. Die einzige, mit der ich rede.
Wenn ich ihren Futternapf auffülle, während sie mich ungeduldig aus ihren Kulleraugen anstarrt, kann ich offen und ehrlich reden.
Ich erzähle ihr von meinen Träumen und Ängsten. Ich streichle ihren Pelz. Das darf ich nur, solange sie frisst. Unter anderen Umständen rennt sie bei jedem Annäherungsversuch meinerseits weg und verkriecht sich. Unter dem Sofa oder hinterm Klavier.Sie könnte viel netter zu mir sein, immerhin ermögliche ich ihr ein bequemes Leben, ohne Sorgen.
Egal. Unerwiderte Liebe gibt es überall, und diese Romanze ist nicht die schlechteste. Futter für Zuneigung. So sind Katzen. Vermutlich sind nicht alle so, man darf ja nicht pauschalisieren. Meine Katze liebt mich jedenfalls nicht abgrundtief zurück.
Ich habe sie Midori getauft, nach der berühmten Geigerin. Kitschig. Klischeehaft.
Der Name ist trotzdem schön.Meine Katze ist das einzig Gute in meinem Leben. Jedenfalls momentan, ich bin fest entschlossen was ganz Großes zu unternehmen. Ich weiß nur noch nicht, was genau.
Ich bin 18 Jahre jung, ledig und arbeitslos. Letzten Mai habe ich die Schule erfolgreich abgeschlossen und seit dem bin ich planlos.
Ich könnte studieren, eine Universität hat mich angenommen. Ich habe mich aber für keinen Studiengang entschieden und mich in keine Kurse eingeschrieben.
Ich könnte auch reisen, ins Ausland gehen. Aber davor habe ich Angst. Und ich würde Midori vermissen. Sie mich nicht.Was ich damit sagen will: Ich werde die Welt verändern, ich werde was ganz großes vollbringen und in die Geschichte eingehen. Ich werde einen großen Beitrag für die Menschheit leisten.
Ich weiß aber nicht wie genau.
Oder wann.
Von nichts kommt nichts! sagt Mama immer.
Stimmt auch, sie hat völlig recht damit. Dennoch zwingt sie mich nicht dazu etwas zu tun. Nach dem Abi ein Jahr Pause machen sei völlig in Ordnung, ich dürfe mich solange ausruhen wie ich will. Danke Mama!Es ist jetzt 6:33 Uhr morgens, ich bin vom Wecker meiner Mutter aufgewacht und tappe nun in Pyjama und Hausschuhen durch den Flur auf Midori zu. Raubtierfütterung.
Die Katze schaut mich Vorwurfsvoll an. Ich habe anscheinend getrödelt und sie warten lassen. Beruhigend rede ich auf sie ein und öffne rasche eine Dose Katzenfutter.,,Heute gibt es Truthahn. Wie feiern Thanksgiving, Midori! Wie findest du das?! Nicht gut? Falsche Sorte? Gut, okay. Verstehe. Wir sind nicht in Amerika und es ist Juli, Thanksgiving ist unangebracht. Tut mir leid." gedankenverloren rede ich auf sie ein und streiche ihr über den Rücken.
Midori schmatzt und schlürft mal wieder ganz unhöflich und ich ermahne sie. Manieren!Wenigstens hat sie heute früh keine Maus oder, Gott bewahre, ein Kaninchen oder einen Maulwurf mitgebracht. Katzen sind Monster.
Den Napf halb leer gefressen leckt sie sich das Maul und sieht mich unzufrieden an. Dann verschwindet sie durch die offene Badezimmertür, um auf den Handtüchern zu schlafen.
,,Dir auch einen schönen Tag noch!" murmele ich ihr hinterher.
Liebe Grüße, Julie