Kapitel 1

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„ENDE" Die Lettern zieren sich in schnörkeliger Schrift über die letzte Seite meines Buches. Eine kleine Abbildung der Hauptcharaktäre zeigt ihr glückliches Ende in mitten der Seite. Sie halten sich in den Armen und schmiegen ihre Köpfe aneinander. Ein wahllos glückliches Ende. Zufrieden blättere ich das Buch durch und die Notizen welche ich beim Lesen an den Rand geschrieben habe fallen mir dabei ins Auge. Kennst du das traurige Gefühl, wenn eine Geschichte vollends zu Ende geht und man weiß, dass es keinen weiteren Teil geben wird? Als ob sich eine Leere in deinem Inneren auftut, als wäre ein guter Freund von dir gestorben? Ich schon und ich hasse es. Seid einiger Zeit denke ich mir daher meine Enden eigentlich selber aus.

Ich lehne mich zurück gegen mein Kissen, welches ich zwischen meinen Rücken und die Wand gesteckt habe. Verträumt blicke ich von meiner Fenstebank aus nach draußen auf die Straße. Regentropfen prasseln gegen die Fensterscheibe und die Wolken ergießen ihren gesamten Inhalt auf die Straße. Vereinzelte Autos fahren an den Häuserreihen vorbei und ihre Scheinwerfer erhellen die bereits stockdunkele Nacht.

Es ist der zehnte Oktober in Little Falls, Minnesota. Die hügelige Landschaft, welche größtenteils von Wäldern bepflanzt ist glänzt tagsüber in wunderbaren rot, orange und braun Tönen und in der Nacht liegt sie friedlich und düster dar. Von der Erhöhung auf der unser Haus angebaut ist, kann ich über die Stadt blicken oder zumindest über einen Teil davon. Das hell erleuchtete Rathaus, die beleuchteten Straßen mit den wenigen Autos, welche durch den Regen fahren und die Einkaufsstraße, wo ich bereits mit meinem Bruder in einem der Cafés einen Kaffee getrunken habe gleich in unserer ersten Woche hier. An dem Tag haben wir uns so gut unterhalten wie seid Wochen nicht mehr vor unserem Umzug.

Sicherlich fragst du dich jetzt, weshalb ich neues Haus sage und einen Umzug erwähnt habe. Als Antwort stelle ich mich glaube ich erst einmal vor.

Mein Name ist Claire, ich bin 15 Jahre alt und komme aus Deutschland. Mein Leben war perfekt. Es war ruhig, einfach - der absolute Durchschnitt. Ich hatte gute Noten, eine Freundin und meine Ruhe. Doch letzten Monat bin ich zusammen mit meinen USA verrückten Eltern und meinem älteren Bruder nach Little Falls gezogen. Sie aber sich total gefreut, als sie gehört haben, dass mein Vater wegen seines Jobs nach Nordamerika versetzt wurde. Sofort haben sie nach einem Haus geguckt und sind früher weggezogen als eigentlich nötig gewesen wäre.

Meinen Bruder mussten sie lange davon überzeugen aus zuwandern. Immerhin hatte er viele Freunde in Deutschland und unsere gesamte Familie lebt dort. Zudem auch seine Exfreundin in unserer alten Heimat mit der er kurz vor dem Umzug Schluss gemacht hatte. Sie waren, dass süßeste Pärchen, das ich je gesehen hatte und die Trennung hat den beiden mehr als nur weg getan. Die erste Woche lang hat mein Bruder nur über sie geredet, wie sehr sie ihm fehlt. Ich habe mich so nutzlos gefühlt ihm nicht helfen zu können, ihm die Last nicht abnehmen zu können. Immerhin habe ich schon alles getan, was ich tun konnte, aber es half nicht viel.
Mich zu überzeugen war hingegen ein leichtes Spiel. Normalerweise hätte ich mich davor gesträubt genauso wie mein Bruder. Allerdings waren die Umstände ziemlich besonders, weshalb ich sofort zugestimmt hatte. Ich wollte nur noch weg von Deutschland und all den Problemen oder eher dem einem Problem.

Und jetzt sitze ich hier. Vor dem Fenster in meinem neuen Zimmer in einem völlig fremden Land. Aufgrund des Umzuges wurde ich lange Zeit von der Schule beurlaubt, doch jetzt ist alles fertig. Morgen wird mein erster Tag an der neuen Schule sein und mir geht dieser eine Gedanke nicht aus dem Kopf. Neue Stadt, neuer Anfang, neue Leute und das heißt.. Außenseiter sein. Diesen Punkt hatte ich bis heute Abend komplett ausgeblendet. Hier ist mir alles fremd, sogar das Schulsystem ist anders und ich habe keine Ahnung wie ich meine Nervosität in den Griff bekommen soll. Dieses widerliche flaue Gefühl breitet sich zunehmend in meinem Magen aus und ich kann an nichts anderes mehr denken, als daran wie es sein wird mich morgen in jedem neuen Unterricht vorstellen zu müssen.

Ich nehme mir mein Buch und stelle es in mein Bücherregal zu all den anderen Geschichten, welche ich feinsäuberlich nach Farben sortiert habe, als mir mal langweilig war. Dann laufe ich geradewegs zu meinem Spiegel, der direkt neben meinem großen Schrank steht. Langsam mustere ich die Person, die vor mir im Spiegel steht und mich auf die gleich Art und Weise entgegen blickt.

Ich habe mir eine dunkelrote kurze Jogginghose angezogen und einen weißen Pulli über mich geworfen. Meine dunkelbraunen Haare habe ich einfach hochgesteckt und mit einem lockeren Haargummi befestigt. Mein Gesicht habe ich bereits vollkommen abgeschminkt, sodass man meine wenigen Sommersprossen sehen kann, die sich über meine Nase und leicht unter meinen Augen zieren. Sie und meine vollen Augenbrauen sind so ziemlich das einzige was ich an meinem Gesicht mag. Meine viel zu kleine Nase, die schmalen Lippen und meine kaum sichtbaren Wimpern tragen nicht gerade dazu bei, dass ich mich dahingehend besser fühle.
Ich wende mich von dem Spiegel ab und laufe stattdessen zu meinem kleinen Nachtisch neben meinem Bett. Eine kleine Pflanze, ein Familienfoto und eine Lampe stehen darauf. Vorsichtig schiebe ich die kleine Schublade vor und nehme mein Tagebuch heraus. Eigentlich ist es ist ein einfacher Lederumschlag mit vielen Seiten drin, aber auch genau das was ich haben wollte. Mit dem Tagebuch in meiner Hand setzte ich mich in meine Bett und beginne hinein zu schreiben.
Ich liebe das Konzeptz eines Tagebuches. Seine gesamten Gedanken, Gefühle und Geschehnisse hineinzuschreiben. Eigentlich ist es wie der Ersatz eines besten Freundes nur mit dem Unterschied, dass es deine gesamten Geheimnisse in sich trägt und niemanden weiter erzählen wird.

In Ruhe schreibe ich meine Gefühle nieder und lasse den Abend noch etwas ausklingen.



Der Wecker zeigt 23:11 Uhr an als ich das Buch wegpacke, das Licht ausschalte und versuche in einen halbwegs erholsamen Schlaf über zu gleiten.

Claire - meine Liebe zum WortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt