Schon seit längerer Zeit beschäftigt mich die Vorstellung eines Daches. Dieses Dach würde eine Villa bedecken, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts erbaut worden wäre, im Stil eines schottischen Schlosses, mit granitenen Mauersteinen und gotischen Fenstern. Da das Dach ebenso alt wäre wie die Villa selbst, müsste es gelegentlich ausgebessert werden, und man müsste zu diesem Zweck einen Dachdecker hinaufschicken.
Dieser Dachdecker aber, und hier nähme die Geschichte eine Wendung ins Unheimliche, dieser Dachdecker käme nicht mehr zurück.Die Villa stand nun schon seit mehr als 200 Jahren auf ihrem kleinen Hügel, verlassen von jeglicher Zivilisation, allein ihrem Schicksal überlassen. Dem Zerfall unterlegen, ohne Kraft sich zu wehren gegen die starken Winde und erbarmungslosen Regenfälle. Nun schien es endlich Hoffnung zu geben. Ein reicher Unternehmer, bekannt und in aller Munde, interessierte sich für dieses alte Kunstwerk und zeigte sich willig, sein Geld darin zu investieren. Er liess das schottische Schloss von oben bis unten neu renovieren. Die verrosteten Kerzenständer wurden von Lampen ersetzt und die quietschenden Türriemen geschmiert und geölt. Was nun nur noch fehlte, war die Renovierung des Daches, den es war von den 200 Jahren bestehen sehr mitgenommen und drohte einzustürzen. Deshalb bestellte der reiche Unternehmer einen Dachdecker her, der sich auf Dächer des 19. Jahrhunderts spezialisiert hatte und es wahrheitsgetreu nachbauen konnte. Robert Homes war sein Name. So stand er nun mit Werkzeuggürtel ausgestattet vor dem riesigen verrosteten Eingangstor der alten Villa und beäugte das verwitterte Dach. Robert fragte sich: "Will ich da wirklich rein?" Er öffnete das Tor und betrat einen gewaltigen Eingangssaal. Der Saal war in drei Teile gegliedert. In der Mitte ragte eine breite Treppe hinauf in den ersten Stock, die sich oben noch in zwei schmalere Treppen teilte, von welcher die eine nach rechts und die andere in die linke Hälfte des Hauses führten. Robert wurde gesagt, dass man vom Dachstuhl aus auf das Dach gelänge. Hierfür wurde im noch einen Plan der Villa mitgegeben, damit er den Weg zum Dachstuhl finden würde. Er kramte den Plan aus einer Seitentasche seiner schwarzen Arbeiterjacke und blickte suchend auf den Papierfetzen. Er packte den Plan wieder zurück und seufzte. Robert begab sich in den ersten Stock und wählte die rechte Treppe. Die Treppenstufen knirschten bei jeder kleinsten Berührung. Ihm wurde kalt. Er drehte sich ruckartig um und schaute die Stufen hinunter zur Eingangstür. Nichts. Er musste es sich nur eingebildet haben, denn er dachte er hörte Schritte hinter sich. Er öffnete nun eine hölzerne Tür. Sie knackste. Robert war eigentlich nicht der Typ, der Horrorstories nicht vertragen konnte, doch allmählich wurde ihm unwohl. „Job ist Job", dachte er und seufzte erneut. Er betrat einen langen Flur, dessen Boden mit einem langen, roten Teppich bedeckt war. Es war ziemlich düster, weshalb er versuchte den Lichtschalter zu betätigen, doch der liess sich nicht eindrücken. Also ging er im Dunkel weiter und schaute auf den Plan, den er mit einer Taschenlampe beleuchtete. Er blieb vor einer überdimensional breiten Tür stehen, legte seine Hand auf die Türklinke und drückte sie hinunter. Sie war verschlossen. Einen anderen Weg gab es nicht, der direkt zum Dachstuhl führte. Er suchte am Schlüsselbund, welchen Robert vom Unternehmer bekommen hatte nach dem richtigen Schlüssel. Er versuchte einige aus, doch keiner passte ins Loch. „Nicht!", flüstere eine hohe, junge Frauenstimme. Ihm gefror das Blut in den Adern. Ohne auch nur den kleinsten Muskel zu bewegen, stand er da. Einem Herzinfarkt nah, spürte er den warmen Atem der Frau. Es waren einige Sekunden vergangen, da packte Robert seinen ganzen Mut und drehte sich um. Er starrte. Und als ihm klar wurde, dass ausser einer kalten Wand und dem Flur nichts in seinem Augenwinkel zu sehen war, begann er wieder zu atmen. Er schaute sich um, doch nichts war zu sehen. Wurde er nun verrückt oder was ging in dieser Gruselvilla vor sich? Plötzlich öffnete sich die Tür, die er vorhin versucht hatte zu öffnen, abnormal langsam und unheimlich. Er drehte sich langsam in Richtung der geöffneten Tür und blickte in den grossen Raum. Er betrat ihn. Robert wurde mulmig. Irgendetwas sagte ihm, dass er dieses Zimmer, nein dieses Haus sofort verlassen sollte. Trotzdem ging er hinein. Die Vorhänge der gotischen Fenster waren verschlossen. Nur eine einzelne Kerze brannte auf einem runden Tisch, der im linken Teil des Zimmers stand. Ein grosses Himmelbett stand in der Mitte des Raumes und beanspruchte Roberts ganze Aufmerksamkeit. Er kam sich vor wie ein Mann auf Schatzsuche. Er trat näher an das Bett heran, griff nach den Vorhängen und wischte sie beiseite. Seine Augen wurden aufgerissen und erneut war er nicht mehr imstande sich zu rühren. Ein Mann in einem weissen Gewand lag auf dem gefederten Bett und schlief. Seine Haut war bleich und seine schwarzen Haare waren langgewachsen. Plötzlich reisst der Mann in Weiss seine Augen auf und ihr durchstechendes Rot funkeln Robert mit einem festen, direkten Blick an. Der Mann umfasst mit rasanter Geschwindigkeit den Hals von Robert und droht ihn zu erwürgen. Als Robert allmählich zu begreifen beginnt, liegt er schon auf dem Bett immer noch fest im Griff des Fremden im Nachthemd. Robert bekommt keine Luft mehr, versucht sich aus dem erdrückenden Griff zu lösen, doch keine Chance, er ist ihm vollkommen unterlegen. Der Rotäugige fletscht seine Zähne und kommt näher, immer näher bis seine messerscharfen Zähne die vor Schock erstarrte Haut Roberts berühren. Der Mann holt aus und ehe Robert sich versieht, bekommen die blutbegierenden Zähne auch schon, was sie wollen. Robert wurde schummrig und verlor sein Bewusstsein. Ein stehender Schmerz quälte ihn, der nicht mehr aufhören wollte. Als er schliesslich seine Augen wieder öffnete, fand er sich selbst in seiner eigenen Blutlache wieder. Nicht imstande sich zu bewegen lag er da auf dem Himmelbett, starrte ins Leere und fragte sich, was mit ihm geschehen war. „Du lebst ja noch", sagte eine tiefe Männerstimme von der Türschwelle aus. Robert drehte seinen Kopf mit Mühen in seine Richtung und schaute ihn mit müden Augen an. Der Mann hatte Blutreste um seinen Mund und lächelte ihn erfreut mit seinen strahlenden, roten Augen an. Er kam näher, machte eine Bewegung in der Luft, als ob er irgendetwas hinunterreisen wollte. Ein schwarzes Loch zeigte sich und das letzte an das sich Robert noch erinnern konnte, waren die Worte des Mann, die so stark und sicher klangen, als ob Gott zu ihm spräche: „Willst du nicht mit mir kommen?"