„So ruhig waren Sie in meinem Unterricht nie", scherzte er und zog eine Augenbraue nach oben.
„Sie", hauchte Hermine, ihre Stimme hatte sich verabschiedet, sie spürte einen Druck in ihrem Magen, ein heftiges Zusammenziehen, sie sprang auf, hielt sich die Hand vor den Mund und rannte hinter einen naheliegenden Busch um sich zu übergeben.
Kalter Schweiß hatte sich auf ihren Körper gelegt, das konnte nicht sein, er war tot. Sie hatte ihn sterben sehen. Ihr Gehirn spielte ihr einen Streich.Mit tränenden Augen sah sie nach hinten, wollte sich vergewissern, dass diese Fata Morgana wieder verschwunden war, vielleicht hatte sie zu wenig getrunken oder der andauernde Schlafmangel forderte endgültig seinen Tribut.
Aber nein, der große dunkel gekleidete Mann mit den rabenschwarzen Haare, der charakteristischen Nase und den neuerdings zu einem leichten Lächeln geformten Lippen stand noch genauso an dem Baum wie vor einer Minute.Sie strich sich den Schweiß aus dem Gesicht, mit dem Ärmel über den Mund und richtete sich mit zittrigen Knien auf.
„Sie sind gestorben", rief sie ihm entgegen, sie schüttelte ihren Kopf, als könnte sie nicht glauben, dass er vor ihr stand.
„Nicht ganz...", sie hörte das Schmunzeln in seiner Stimme.
Langsam näherte sie sich dem Totgeglaubten, sie nahm seinen Kräuterduft wahr, sah in seine obsidian schwarzen Augen, verlor sich in seiner Erscheinung.
„Hätten Sie lieber, dass ich tot wäre?", fragte er mit schiefem Kopf, musterte ihr Gesicht.
„Nein!", sie überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit einem letzten großen Schritt und griff panisch an seinen Arm, als könnte sie ihn davon abhalten sich wieder in Luft aufzulösen, „nein..."
Tränen der Erleichterung sammelten sich in ihren Augen und liefen still über ihre Wangen, sie drehte sich zur Seite, er sollte nicht so sehr mitbekommen, dass sie nicht länger Herr ihrer Emotionen war.
„Ich dachte Sie würden sich freuen...", seine Stimme war sanft, sie stand im völligen Kontrast zu der Stimmgewalt, die sie sonst im Unterricht immer erleben durfte.
„Ich freue mich", schluchzte sie, hielt sich die Hände vor das Gesicht, dann spürte sie zwei warme Hände an ihren Schultern, die sie sanft umdrehten. Er drückte sie zu sich und legte seine Arme um sie, Hermine ließ sich von ihm halten und genoss die neu entdeckte Fürsorge.Nach einer Weile, in der sie sich beruhigt hatte, räusperte sie sich und löste sich aus seinen Armen.
Sie sah ihm schüchtern ins Gesicht und errötete leicht, ihr war der Gefühlsausbruch ein wenig peinlich, standen sie sich doch früher nicht einmal wirklich nahe.
„Ich glaube Sie haben einige Fragen... wollen Sie sich hinsetzen?", er zeigte auf die Bank am See, Hermine nickte nur und folgte ihm.
Er setzte sich elegant auf das Holz, überschlug die Beine und musterte sie, als sie sich an das andere Ende der Bank setzte.
„Ich beiße nicht", sagte er und sah auf den Abstand zwischen ihm und ihr.
„Ich muss das erstmal begreifen... wie?", sie schüttelte fassungslos den Kopf, sah über seine Erscheinung.„Wie genau kann ich Ihnen auch nicht erklären. Das letzte an was ich mich erinnern kann ist der Angriff von Nagini..., dass ich Harry meine Erinnerungen gegeben habe. Dann wurde es dunkel. Nach einer Weile bin ich wieder aufgewacht, die Wunde an meinem Hals war geheilt", er zog seinen Kragen ein wenig nach unten und legte den Blick auf seine Narbe frei, Hermine schluckte, „das Gift von Nagini war aus meinem Körper gezogen... ich weiß nicht wem ich es zu verdanken habe. Ich dachte erst Sie hätten mich gerettet...", gab er leise zu, drang in ihre Augen ein.
„Ich?", ihre Stimme überschlug sich fast, was sie sehr an Ron erinnerte.
„Eine dumme Überlegung, ich weiß. Sie hatten keinen Grund mich zu retten.", seine Stimme trug einen Hauch Enttäuschung in sich.
„Hätte ich in der Situation ein Gegenmittel gehabt, hätte ich es getan...", sie war traurig, dass er so von ihr dachte, auch wenn er sie oft unfair behandelte, sie hätte ihn nie sterben lassen, wenn sie die Rettung bei sich gehabt hätte, „denken Sie wirklich ich hätte Sie sterben lassen?"
„Nein... wahrscheinlich hätten Sie sich viel zu sehr in Gefahr gebracht nur um andere zu schützen.. so wie all die Jahre.", er schüttelte leicht den Kopf.
„Dann sind wir ja schon zwei.", sie lächelte ihn schief an, was ihn leicht in Verlegenheit brachte.
„Schämen Sie sich dafür, dass Sie insgeheim immer der Gute waren?", fragte sie, sie verstand seine Zurückhaltung nicht.
„Ich schäme mich, mich von der guten Seite abgewandt zu haben... aber ‚der Gute' war ich nie. Dafür war und bin ich immer noch zu... fies.", er schnaubte.
„Ich finde Sie gerade sehr nett... waren Sie schon in Hogwarts?", fragte sie, sie dachte an die Büste im siebten Stock und stellte sich seinen Gesichtsausdruck vor, musste leicht schmunzeln.
„Nein, ich bin nach Spinner's End gegangen. Warum grinsen Sie so?", er musterte sie, zog die Augen zu Schlitzen und wartete auf ihre Antwort.
„Irgendjemand hat... Büsten von uns erstellt.", sie zuckte mit den Schultern und musste ein Lachen unterdrücken.
„Büsten... von... uns?", er zog eine Augenbraue nach oben.
„Von dem Goldenen Trio", was Hermine in Gänsefüßchen setzte, „Fred, Remus und Tonks... und... von Ihnen.", als sie ihn ansah lächelte sie leicht, „Sie sind aus Marmor und unfassbar gut gearbeitet... es sieht wirklich wunderschön aus"
„Ich glaube kaum, dass eine Abbildung von mir wunderschön aussieht.", seine Skepsis schwang in seiner Stimme mit.
„Doch, tut sie. Und sie fühlt sich genauso gut an, wie sie aussieht.", sie dachte an die sanfte Oberfläche der Wangen und Lippen.
„Sie haben sie... mich... angefasst?", fragte er leise.
„Ja... Nein! ..., also ja schon.", sie schüttelte mit wirren Gedanken den Kopf.
„Warum?", er lachte leicht.„Ich... habe Sie vermisst.", sie seufzte leicht, sah auf ihre Beine, „Wissen Sie wie es ist, wenn jemand immer da war, egal ob er nett oder böse war und dann nicht mehr? Wenn nach seinem Tod die Wahrheit über sein Wesen ans Tageslicht kommt und sich herausstellt, dass man ihm die ganzen Jahre Unrecht getan hat... wenn Sie ihm so viel noch sagen möchten, aber nicht die Chance haben und er dann einfach wieder vor Ihnen steht?", sie brach ab, wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen, sie strich sich mit dem Ärmel über ihre Augen, als sich etwas weißes in ihr Sichtfeld schob.
Snape hielt ihr ein weißes Stofftaschentuch hin, auf dem Rand einer Ecke waren seine Initialen eingestickt, SS.
„Danke", flüsterte sie, nahm das Taschentuch und trocknete sich die Tränen.
„Ich weiß nicht wie sich das anfühlt... aber ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man jahrelang gemein und unfair sein muss, auch zu Leuten, die es überhaupt nicht verdient haben.", seine dunkle Stimme legte sich über sie.
„Ich hatte ziemlich oft das Gefühl, dass Sie es gerne gemacht haben.", sie lachte leicht als sie ihn ansah.
„Mein Schauspiel musste schließlich überzeugend sein...", er lächelte süffisant, „was möchten Sie mir gerne sagen, Miss Granger?"„Danke... für alles. Dass Sie immer auf uns aufgepasst haben und uns vor einigem Ärger bewahrt haben. Dass Sie Ihr Leben riskiert haben, immer und immer wieder...", sagte sie, während sie sich wieder die eingestickten Buchstaben im Stoff besah.
„Sie wissen, warum ich es tat.", war alles was er darauf erwiderte.
„Nehmen Sie doch einfach ein Danke an.", sie hob den Blick und sah ihn fast schon anklagend an.
Für einen Moment sahen beide einfach nur einander an, verloren sich in den Augen des Anderen.
„Danke", sagte Hermine leise, ein kleines Lächeln erreichte ihre Augen.
Er nickte, „gern geschehen...", sein Mundwinkel zuckte leicht.Hermine lehnte sich an die Bank, ließ den Kopf auf die Lehne fallen und sah in den Himmel, sie drehte den Kopf zur Seite, ihr Blick ruhte auf dem Holz der Bank zwischen ihr und Snape, sie rutschte nach und nach ein wenig näher an ihn bis sie seine Wärme spürte und seinen Duft wahrnahm.
Sie sah langsam nach oben, ihr Blick flog über seine Robe, seine Brust, zu seinem Hals, bis in sein Gesicht, sie errötete, als sie bemerkte, dass er sie die ganze Zeit über beobachtete. Sie wandte schnell den Blick ab, räusperte sich und setzte sich wieder etwas gerader hin. Sie sah ihn flüchtig an und bemerkte, dass er sie immer noch ansah.
DU LIEST GERADE
Der Duft von Lavendel
FanfictionSieben Monate nach Ende des Krieges: Hermine versucht ihre schlechten Erinnerungen mithilfe des Zeichnens zu verarbeiten. Sie sucht immer öfter Ruhe und Zuflucht in der Natur um sie herum. Einzig George teilt ihre tiefe Trauer, versteht, warum sie...