Ankunft auf Vroengard Teil 1

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Marlena Blicke zu den traurigen Überresten des Wracks, das einmal das Handelsschiff Ostwind gewesen sein musste. Nur die Masten und ein Teil des Bugs ragten aus dem flachen Gewässer der Bucht, wo viele gute Männer offenbar ihr Leben verloren hatten.
Nach den Warnungen durch den Nidwal hatten sich die Reiter entschlossen mit großer Vorsicht vorzugehen. Ihren Anflug hatten die Reiter durch Tarnzaubern verborgen und bevor sie gelandet waren hatten Marlena und ihre Begleiter die Insel umflogen. Dabei waren sie auf das Wrack der Ostwind gestoßen
Marlena zog ihren Umhang etwas enger um die Schultern. Ein scharfer Wind wehte vom Meer zur Insel herüber und heulte in den Masten des Schiffes. Es war aber nicht allein das Wetter, dass die junge Halbling frösteln ließ. Es war das Wissen, was sich hier abgespielt hatte. Die Hände, die sich zu einem stummen Hilferuf in den Himmel reckten wirkten die Masten an denen noch zerfetzte Überreste der Segel flatterten. Der geisterhafte Anblick wurde dadurch untermauert, dass sich deutliche Spuren von Blut auf dem weißen Segeltuch zeigten. Eine Untersuchung des Schiffswracks hatte ergeben, dass es eindeutig durch einen heimtückischen Zauber versenkt worden war. Bei dieser Untersuchung wann die Drachenreiter auch auf menschliche Überreste gestoßen, die am Boden der Bucht lagen. Die entstellten Raubfische die in den Gewässern um die ehemalige Heimat der Drachenreiter lebten musste hier ein Festmahl stattgefunden haben.
Marlena schrack zusammen als sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte.
"Entschuldigung!"
Deutlich erkannte Marlena auf Svenajas Gesicht, dass die junge Frau sie wirklich nicht hatte erschrecken wollen. Schnell ignorierte die junge Halbling das ihr Puls in die Höhe geschnellt war, bemühte sich um ein Lächeln und fragte:
"Ist schon gut. Ich war nur in Gedanken. Was ist denn los?"
"Meisterin Ismira und Aylon haben etwas entdeckt." erklärte Svenaja. "Du solltest dir das ansehen."
Marlena nickte und folgte der jungen Frau. Der Boden knirschte unter ihren Stiefeln. Der Strand bestanden dieser Stelle nicht aus feinem Sand sondern hauptsächlich aus Steinen und Muschelresten. Die Bucht wurde begrenzt durch Felsklippen auf denen sich Hidalgo und die Reiterdrachen niedergelassen hatten. Die mächtigen wesentlich hielten zum einen das Hinterland im Auge um zu verhindern, dass sich jemand im Schutze der Klippen ihren Reitern näherte und zum anderen beobachteten sie ihre Seelengefährten bei ihrer Untersuchung.
Keinem Mitglied der Reisegruppe schien dieser Ort besonders zu gefallen. Vroengard war nicht mehr die stolze Trutzburg eines ehrenhaften Ordens sondern eine Art dunkle Aura umgab alles und jeden. Das Wetter Tat seinen Teil dazu diesen Eindruck zu unterstützen. Zu dem kalten Wind, der vom Meer herüber blies, gesellten sich graue Wolken die von der kräftigen Brise wie ruhelose Geister über den Himmel getrieben wurden und sich zu immer neuen unheimlichen Formen aufgetürmten. Es regnete leicht und der kräftige Wind verwandelte die feinen Wassertropfen in winzige Geschosse die unangenehm gegen die Gesichter der Reisegruppe gepeitscht wurden.
Das was Marlena erblickte als sie die Stelle erreichten wo Ismira und Aylon hockten war nicht eben dazu geeignet die Stimmung der jungen Halbling zu heben. Hinter einer kleinen Felsengruppe lagen zwei Leichen. Es handelte sich um einen Mann fortgeschrittenen Alters und um einen recht kräftig gebauten Urgal.
Marlena verstand genug von Anatomie und Heilkunde um auf einen Blick zu erkennen, dass der Tod dieser beiden Männer nicht nur unnatürlich gewesen war sondern das aller Wahrscheinlichkeit nach Magie im Spiel gewesen war.
Der Tod von Fleisch und Knochen lief auf eine bestimmte Art und Weise ab. Manches davon mochte ekelhaft wirken doch im Grunde waren es nur die natürlichen Abläufe der Natur, die sich in einer bestimmten Reihenfolge zutrugen. So war es zum Beispiel das natürlichste von der Welt, dass Maden Kadaver befielen. Das war bei diesen Körpern jedoch anders. Es war als ob selbst die entstellten Tierwelt von Vroengard diese Körper mied. Marlena konnte es gut verstehen. Das Fleisch der beiden Männer hatte sich auf unnatürliche Weise schwarz verfärbt, die Augen waren in den Schädel gesunken und jeder noch so kleine Tropfen Flüssigkeit schien den Körpern entzogen worden zu sein. Ein Umstand, der dazu geführt hatte das die Gliedmaßen der Körper, wie in einem ewig währenden Kampf gegen Schmerz und Pein, merkwürdig verkrümmt waren.
Noch während Marlena den körperlichen Zustand der Leichen studierte schien der Bruder ihrer Mutter etwas bei dem einen der Männer entdeckt zu haben.
"Was ist das?" Fragte Aylon in die Runde.
In seinen Händen hielt der Ellf einen geflochtenen Lederriemen an dem aufgereiht kleine Metallplatten hingen. Sie alle waren mehr oder weniger rund und hatten ein Loch in der Mitte, so dass man sie auf dem Lederriemen auffädeln konnte.
"Nun, das ist wohl der Beweis, dass der menschliche der beiden Leichname offenbar der Kapitän der Ostwind war." erklärte Ismira und nahm die merkwürdige Kette von Aylon entgegen.
"Das ist ein Heuerbund." stellte Marlenas Cousine sachlich fest.
"Ein was?" erkundigte sich Svenaja.
"Auch mir ist das nicht vertraut." räumte Aylon ein.
"Das wundert mich nicht." schmunzelte Ismira. "Ein Heuerbund ist eine Tradition menschlicher Seefahrer. Elfen singen ihre Schiffe aus Bäumen und diejenigen, die sie geschaffen haben bilden auch die Besatzung. Auf diese Weise sind sie stark mit ihrem eigenen Schiff verbunden. Bei den Menschen läuft das etwas anders ab. Schiffe gehören meistens einem Händler. Er ist der Eigner der Schiffe und für die Instandhaltung verantwortlich. Der Eigner sucht einen Kapitän aus und übergibt ihm das Kommando eines Schiffes. Es ist aber das Vorrecht des Kapitäns für das ihm anvertraute Schiff eine Besatzung anzuheuern. Jeder menschliche Seemann trägt zwei solche Metallscheiben bei sich. Das Material und die Schriftzeichen darauf bestimmen seinen Rang und seine Qualifikation. Einfache Bleischeiben wie diese stehen für normale Matrosen. Die Kerben am Rand der Scheibe zeigen wie viele erfolgreiche Fahrten diese Matrosen schon hinter sich haben. Die Schriftzeichen zeigen ihr Spezialgebiet. Ruderer, Ausguck, Koch oder was sonst so benötigt wird. Die Scheiben aus Bronze stehen für Unteroffiziere und die aus Messing für Offiziere. Wenn ein Schiff nach erfolgreicher Fahrt wieder in den Hafen einläuft erhält zunächst der Kapitän seinen Sold. Dann übergibt er die Heuerkette an den Eigner und gemeinsam zahlen sie den Lohn an die Besatzung aus. Vor der Fahrt übergibt jedes Besatzungsmitglied eine von zwei gleichen Metallscheiben an den Kapitän. Die meisten tragen sie an so einem Lederriemen. Mit der Entgegennahme dieser Scheibe bestätigt der Kapitän, dass er den Matrosen, Unteroffiziere oder Offizier sein Schiff verpflichtet hat. Wenn der Lohn an die Besatzung ausgezahlt wird treten die einzelnen Matrosen vor den Eigner und den Kapitän und übergeben die zweite Plakette die sich noch in ihrem Besitz befindet. Nach einer langen Reise kennt der Kapitän natürlich seine Besatzung zumindest vom Gesicht her und gibt dann dem Eigner Auskunft ob der Matrose sich gut gefühlt und anständige Arbeit geleistet hat. Je nach Rang und Leistung wird dann der Lohn an den Matrosen ausgezahlt und dann fügt eine neue Kerbe hinzu um ihm eine weitere erfolgreiche Fahrt zu bescheinigen. Der Hintergrund dieser Praxis ist folgender: Noch immer können bei den Menschen viele Leute im einfachen Volk nicht richtig lesen und schreiben. So eine Heuerkette ist eine gute Möglichkeit einen gültigen Vertrag zu schließen und zu verhindern, dass sich Betrüger einen Vorteil verschaffen. Der Matrose trägt auf bequeme Weise seine Qualifikation mit sich herum und hat so die Gewähr, seinen Fähigkeiten entsprechend bezahlt zu werden. Weder muss er Verträge unterschreiben dir nicht lesen kann noch muss er sich auf Empfehlungsschreiben verlassen in denen alles mögliche stehen könnte. Außerdem ist es wie gesagt ein Schutz gegen Betrüger. Der Kapitän trägt die Heuerkette mit den Scheiben der Besatzung die ganze Zeit bei sich. Jeder ist einzigartig. Der Matrose kann also auf diese Weise belegen, dass er tatsächlich diese Fahrt mit diesen Kommandanten hinter sich gebracht hat. Gerade auf größeren Schiffen die manchmal ja auch in Gruppen reisen ist es schwierig den Überblick über jedes einzelne Besatzungsmitglied zu behalten. Auch kehren oft mehrere Schiffe gleichzeitig in den Hafen zurück und oft ist es schon geschehen, dass sich Verbrecher in die Schlange der wartenden Matrosen geschlichen haben und einfach behauptet haben zu Besatzung eines Handelsschiffes gehört zu haben. Dann haben sie die Heuer eingesteckt ohne auch nur einen Handschlag dafür zu arbeiten."
"Ich verstehe." murmelte Marlena und ging eben falls neben ihrer Cousine in die Hocke." Da der Kapitän wenn er einen Matrosen angeheuert hat eine der zwei Scheiben an sich nimmt und die andere bei dem Matrosen verbleibt, der wirklich gearbeitet hat wird so einem Betrug vorgebeugt."
"Ganz genau." bestätigte Ismira sachlich und machte sich am Wams des Urgal-Leichnams zu schaffen. Schon bald entdeckte sie was sie suchte. Der Gehörnter trug einen Lederriemen um den Hals an dessen Ende eine Metallscheibe aus Bronze hing. Mit einem entschlossenen Ruck zerriss Ismira das Lederband und nahm die Scheibe an sich. Marlena verzog leicht das Gesicht als sie sah, dass das Fleisch des Urgal so trocken und brüchig geworden war, dass das Leder bevor es zerrissen war tief in die Haut geschnitten hatte. Allerdings sahen die Spuren am Hals des Urgals nicht aus wie Wunden die man einem Wesen aus Fleisch und Blut beigebracht hatte sondern sie wirkten wie die ausgefransten Kanten eines alten vergilbten Pergaments.
Ismira konzentrierte sich inzwischen auf die Heuerkette und die Metallscheibe die sie an sich genommen hatte. Schließlich nickte sie als sie in der Kette eine identische Scheibe fand.
"Der Urgal war auch ein Besatzungsmitglied der Ostwind. Segelmeister wenn ich mich nicht irre."
"Seht mal da drüben."
Es war Svenaja die ihre Reisebegleiter nun auf die Überreste eines Ruderboot aufmerksam machte, die ein Stück weit entfernt am Strand lagen. Offenbar war das kleine Boot benutzt worden um Männer an Land zu bringen, dann hatte man es an einem größeren Felsen vertäut und eine heftigere Brandung im Rahmen des Gezeitenwechsels hatte das kleine Gefährt schließlich kentern lassen und an Land gespült.
Die Reisegruppe nahm die Überreste in Augenschein und Marlena stellte fest, dass sich einige Schlussfolgerungen ziehen ließen. Auf der Höhe des Bootes hatten sich bereits einige Moose festgesetzt. Es musste also schon eine gewisse Zeit hier liegen. Eindeutig gehörte es aber auch zur Ostwind.
"Vermutlich eines der Beiboote." folgerte Altovan. "Vermutlich sind die beiden Männer gemeinsam mit dem Zwerg der ihrem Mörder wurde an den Strand gerudert."
Sofort sprang das Gesicht von Gintar in Marlenas Erinnerung. Konnte es wirklich sein das eben dieser verräterische Zwerg hier auf Vroengard gelandet war? Es wäre sicherlich eine Erklärung dafür die so niemand ihm bisher hatte aufspüren können. Hatte dieser Zwerg auch von den Dokumenten über Marantera erfahren die hier versteckt sein sollten? Hatte er sie wohl möglich schon gefunden?
Das ungute Gefühl welches Marlena verspürte seit sie auf dieser Insel gelandet waren und wuchs noch um ein Vielfaches.
"Wie kommst du darauf, dass der Täter ein Zwerg war Onkel?"

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt