17. April 2013
Ich hielt mich von Ashton fern. Nur noch auf Partys ging ich, sofern ich es wollte. Doch der Schock, den Ashton mir gegeben hat, saß tief. Ich musste daran denken, wie seine Flügel aussahen und wie sie sich angefühlt hatten. Das war sein Geheimnis gewesen.
Es ist meine Bestimmung, dich zu beschützen, erinnerte ich mich an Ashtons Satz, als wir zusammen nach Alben gesucht hatten. Ich versuchte es zu dem neuen Puzzleteil hinzuzufügen. Ashton war ein Engel. Meinte er damit, dass er sowas wie mein Schutzengel war?
Ich schluckte und schüttelte den Kopf. Es ergab Sinn. Immer, wenn ich in Gefahr war, rettete mich Ashton. Doch genauso gut konnte ich es mir nicht vorstellen. Ich fragte mich, wieso er unbedingt mich beschützen musste.
Seufzend versteckte ich mich mehr in meinem Bett und dachte darüber nach, was es zu bedeuten haben könnte. Ashton, der Engel. Immer hatte er mich beschützt und wollte mir nie etwas sagen. Nun verstand ich auch weshalb. Man konnte niemanden einfach sagen, dass man ein Engel war.
Genauso fragte ich mich mehr, was es mit diesem Bunker zu tun hatte und mit dem Drink. Es musste irgendetwas dahinter stecken, aber ich wusste nicht was. Stöhnend stand ich auf und ging in das alte Büro meiner Mutter. So leise wie möglich suchte ich in den Regalen nach einer Antwort. Mein Gefühl sagte mir, dass ich hier etwas finden würde.
Angefangen bei ihrem Schreibtisch öffnete ich eine Schublade und entdeckte dort eine Kette. Sie schien schon älter zu sein, dennoch war sie wunderschön. Fasziniert nahm ich sie und musterte den Anhänger. Ashton war nicht genug. Es war ein Engelflügel, eingraviert war der Name ‚Elizabeth‘. Der Name meiner Mutter. Tief atmete ich durch und sah mir die Kette an. Nie hatte ich sie an meiner Mum gesehen, trotzdem war es ein Erinnerungsstück an sie.
Ich beschloss mir die Kette um den Hals zu legen. Nie würde ich sie wieder ablegen. Für immer wollte ich meine Mutter irgendwie bei mir haben und das war die beste Möglichkeit. Weiter suchte ich in ihren alten Sachen, nach irgendetwas. Genau wusste ich auch nicht, was ich mir erhoffte, doch ich wusste, ich würde etwas finden. Doch in den Schubladen fand ich nichts mehr. Also begann ich in dem Regal zu suchen und öffnete eine Schublade.
„Was machst du hier?“, fragte plötzlich Haleigh und ging zu mir.
„Das ist das Büro meiner Mutter. Wieso dürfte ich hier nicht sein?“, keifte ich sie an und suchte weiter.
„Deine Mutter ist tot.“
„Und du bist Geldgeil“, fauchte ich und öffnete die nächste Schublade. Auf einmal fand ich dort eine kleine Truhe. Überrascht nahm ich diese und las dort meinen Namen.
„Solltest du nicht in der Schule sein?“
„Solltest du nicht shoppen sein?“, fragte ich zuckersüß zurück und ging wieder in mein Zimmer, nachdem ich das Büro abgeschlossen hatte. Haleigh hatte kein Recht, dort hinzugehen.
„Tschüss“, sagte ich und schloss auch meine Zimmertür zu. Ich setzte mich auf den Boden und betrachtete die Truhe. Vorsichtig versuchte ich sie zu öffnen, aber sie war verschlossen. Ich begutachtete sie ein zweites Mal und entdeckte das Schlüsselloch. Damit hatte ich keine Chance.
Ich versteckte die Truhe und sah in den Spiegel. Meine Finger legte ich auf die silberne Kette und sah den Engelflügel an. Woher meine Mutter die Kette hatte, fragte ich mich. Am liebsten würde ich jetzt abhauen, doch ich wusste nicht wohin.
Würde ich zu Bastian gehen, würde ich mit ihm wahrscheinlich Sex haben. Oder er würde mich fragen, wieso ich nicht seine Gefühle erwidern kann, weshalb ich mich ganz von ihm fernhielt.
Ich könnte zu Kimbley gehen und mich mit ihr über irgendeinen Mächenkram unterhalten, aber darauf hatte ich noch weniger Lust, als auf Bastian.
Mir fiel auf, dass ich nicht wirklich viele Freunde hatte, zu denen ich gehen konnte, und seufzte. Seit wann distanzierte ich mich zu allen so sehr?
Aber ich hatte Angst zu Ashton zu gehen. Wir waren nicht gut befreundet oder was auch immer da zwischen uns war. Jedoch fühlte ich mich an seiner Seite sehr wohl und mochte es mit ihm Zeit zu verbringen.
Kopfschüttelnd ging ich zu meinem Kleiderschrank und griff nach einer schwarzen Skinny Jeans und einem schwarzen Pullover. Schnell zog ich beides an und ließ meine Haare einfach glatt die Schultern runterfallen. Meine Augen schminkte ich wieder dunkel und benutzte einen dunkelroten Lippenstift. Ich griff nach meiner Handtasche und legte die Truhe behutsam hinein. Schließlich verließ ich das Haus und machte mich auf den Weg.
*/*
„Wir sind es nicht“, hörte ich Ashtons Stimme sagen. Ich blieb stehen, wo ich war und horchte.
„Ihr seid es. Leugne es nicht Ashton.“
„Es ist nichts klar! Ich liebe sie nicht!“, brummte Ashton.
„Und was ist mit ihr?“
„Sie hasst mich“, antwortete Ashton. Gerne wüsste ich, mit wem er sich unterhielt.
„Und deshalb hat sie sich immer in Gefahr geschmissen? Um dich zu ärgern?“ Ich riss die Augen auf. Sie sprachen über mich.
„Woher soll ich das wissen?! Aber ich bin es satt! Selbst meine Mutter hat mich verlassen, als ich gesagt habe, dass ich sie beschützen muss!“
„Ihr dürft euch nicht ineinander verlieben.“
„Weißt du ich wüsste das nicht?! Ich liebe sie auch nicht!“, beharrte Ashton. Ich drehte mich und wollte gehen. Ashton war beschäftigt mit einem Gespräch, von dem ich nichts verstand.
Du haust wieder ab, dachte ich an Ashtons Worte und musste schlucken.
Ja, vielleicht haute ich immer ab, aber das war genau das, was ich am besten konnte. Ich musste mich keinen Problemen stellen, die ich mich nicht stellen wollte. Ich musste niemanden Antwort stehen.
*/*
In der Nacht ging ich wieder ins Büro meiner Mutter und suchte weiter. Vielleicht würde ich hier den Schlüssel finden. Ich durchsuchte alles, aber fand nichts. Frustriert seufzte ich und sah in ihren Ordnern nach. Doch nirgends war eine Andeutung gegenüber einem Schlüssel erwähnt.
Ich fuhr ihren Computer hoch und durchsuchte dort ihre Dokumente, fand aber auch nichts. Enttäuscht fuhr ich ihn wieder herunter und durchsuchte wieder die Schubladen des Schreibtisches, doch sie waren leer.
„Mum, wo ist der Schlüssel?“, flüsterte ich zu mir selbst und legte mein Gesicht in die Hände.
*/*
29. April 1900
Sie waren in Deutschland und nahmen die Kutsche, um weiter in den Süden zu gelangen. Sie schlief, wie schon die letzten Stunden. Er saß wach und beobachtete sie und ihren Bauch. Die Tage bis zu seinem Tod konnte er schon fast zählen. Sie wusste davon nichts.
Er wollte sie nicht damit belasten. Noch sollte sie sich nur auf ihre Schwangerschaft konzentrieren, insofern es möglich war. Auf Sicherheit in Deutschland hoffte er. Dies war der Hauptgrund, wieso er mit ihr hierher gereist war. Seine Frau und sein Kind sollten in Sicherheit sein. Nie würde er wissen, wie sich dieses Kind entwickeln würde. Seit Wochen hat es sich nun vergewissert, dass er nach der Geburt dieses Kindes umgebracht wurde. Leise seufzte er und küsste kurz den Bauch seiner Frau. Dort war das Kind, welches er nie groß wachsen sehen würde. Es schmerzte in seiner Brust, zu wissen, dass er seine Familie alleine lassen würde.