Schützen und beschützt werden

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Ich lag neben Dean. Der Jäger lag, auf interessante Weise in seiner Decke verknotet, halb auf mir und schnarchte seelig. Ich konnte nicht schlafen. Ich war noch nicht lange ein Mensch und schaffte es partout nicht, mich an Dinge wie Schlafen, Essen oder Toilettengang zu gewöhnen. Außerdem hatte ich diese Nacht meine ersten Erfahrungen mit Albträumen gemacht. Dean und Sam hatten mir vor einiger von ihnen erzählt und ich war mir ziemlich sicher, diese Nacht einen gehabt zu haben. Stirnrunzelnd rief ich mir die Bilder wieder in Erinnerung. Sie waren verschwommen, unklar und kamen mir weit entfernt vor. Noch etwas, das mir am Mensch sein überhaupt nicht gefiel. Das schlechte Gedächnis. Für Engel gab es Dinge wie „Vergessen" nicht. Ohne äußere Einflüsse kann ein Engel sich an jede Sekunde seiner Existenz erinnern. Die einzige Möglichkeit, einem Engel die Erinnerungen zu nehmen hatte Naomi bei mir angewendet, und das war eine „Gehirnwäsche". Das bedeutete, sie drang in meine Erinnerungen ein und radierte bestimmte einfach aus. Das menschliche Gedächnis ist lückenhaft, unzuverlässig und nur begrenzt nutzbar.

So hatte ich Schwierigkeiten, mir die genauen Bilder meines Traumes in Erinnerung zu rufen. Doch eins wusste ich noch ganz genau. Ich hatte von Dean geträumt. Ich hatte davon geträumt, ihn schreien zu hören. Ich hatte ihn gesucht, aber nicht finden können. Irgendwann hatten die Schreie aufgehört. Ich war durch eine Tür gegangen und hatte ihn gesehen. Blutverschmiert und regungslos hatte er auf dem Boden gelegen. Bei diesem Anblick hätte ich schwören können, dass mein Herz stehen geblieben war.
„Dean!", hatte ich geschrien. Er hatte nicht reagiert. Ich war zu ihm gerannt. In dem Moment, als ich neben ihm auf die Knie gefallen war, war ich aufgewacht.

Jetzt lag ich hier, neben ihm, und versuchte, mich zu beruhigen, ohne ihn zu wecken. Keine leichte Aufgabe, wenn man seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat. Doch bisher schien Dean nichts mitbekommen zu haben. Mittlerweile ging es wieder. Ich war noch immer angespannt, als würde ich erwarten, dass gleich etwas Schlimmes passierte. Dabei wusste ich doch, dass alles in Ordnung war. Warum war es so kompliziert, ein Mensch zu sein? Früher, bevor ich Sam und Dean kennen gelernt hatte, hatte ich die Menschen meist belächelt. So kleine Existenzen, die einzelne völlig bedeutungslos für das große Ganze und trotzdem konnten sie sich so viel beschweren. Jetzt hatte ich mehr Empathie für sie. Es war wirklich verwirrend, anstrengend und kompliziert. Ich bewunderte diejenigen, die bereits ein hohes Alter erreicht hatten. Sie schafften es seit Jahrzehnten, sich durch das Leben zu schlagen, während ich schon nach einigen Monaten völlig überfordert war.

Besonders kompliziert war es gewesen, mit Dean umzugehen. Schon, als ich noch ein Engel war, hatte er immer dafür gesorgt, dass ich mich in seiner Nähe anders gefühlt hatte. Doch da hatte ich das ignorieren können. Jetzt als Mensch, als meine Gefühle um ein Zehnfaches verstärkt worden waren, war das zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Zuerst hatte ich versucht, es zu verstecken. Was, wenn solche Gefühle nicht normal oder unhöflich waren? Doch allein hatte ich mir über meinen schnellen Herzschlag, das Stottern und dieses Kribbeln im Bauch bei Deans Anwesenheit nicht klar werden können. Es hatte mich erschreckt und dafür gesorgt, dass ich mich unsicher fühlte, aber dennoch hatte es mir gefallen.

Eines Abends, als Dean und ich allein im Bunker gewesen waren (Sam war auf der Jagd gewesen, während Dean bei mir hatte bleiben wollen), hatte ich ihm davon erzählt. Ich hatte nicht gewollt, dass Sam etwas davon mitbekam. Es fühlte sich komisch an, in seiner Anwesenheit darüber zu reden oder auch nur nachzudenken.

Anfangs schien Dean besorgt zu sein, als ich begonnen hatte, über meine Symptome in seiner Anwesenheit zu reden. Doch dann hatte er gelächelt. Wir saßen in der Küche auf zwei Hockern. Er hatte mich nicht unterbrochen, während ich erzählte. Irgendwann hatte ich eine Sprechpausen gemacht, durch sein anhaltendes Lächeln ziemlich irritiert. Den Moment hatte er genutzt. Er hatte den Abstand zwischen uns überbrückt und mich geküsst. Das hatte mir den Rest gegeben.

Ich musste lächeln, als ich an unseren ersten Kuss dachte. Wie sehr er mich überwältigt hatte. Ich war im Thema Liebe so unerfahren, so unschuldig gewesen. Dean hatte mir nach dem Kuss (der meiner Meinung nach viel zu kurz gewesen war, warum musste man als Mensch auch atmen!) erklärt, was meine Symptome bedeuteten und dass sie nichts schlimmes darstellten. Er gestand mir auch, dass es ihm genau so ging, schon lange. Dann hatte er mich nochmals geküsst.

Ich stellte fest, dass ich mich wieder gut fühlte. Die Bilder aus dem Albtraum waren in weite Ferne gerückt und die Erinnerung an den Tag, als Dean und ich uns unsere Gefühle offenbart hatten machten mich glücklich. Die Nächte danach waren der Wahnsinn gewesen. Ein dreckiges Lachen lag mir auf den Lippen. Dean und ich hatten Dinge miteinander getan, die ich mir vorher nicht einmal in meinen wildesten Fantasien hatte vorstellen können. Ich bereute es nicht. Ich war froh. Zum ersten Mal seit einer unheimlich langen Zeit war ich glücklich. Ich konnte nicht sagen, ob ich mich schon einmal so gefühlt hatte. Doch ich wollte, dass dieser Zustand nie aufhörte.

Dean grummelte und rumorte ein wenig neben mir. Er verknotete sich noch weiter in seiner Decke. Wenn er so weitermachte, würde er diese Nacht noch aus dem Bett fallen. Ich musste mir das Lachen verkneifen. Dean konnte brutal, ernst, wütend, aufbrausend, ruhig, bescheuert oder lieb sein. Beim Schlafen jedoch war er einfach nur niedlich. Es war als wäre er ein übergroßes Kind.

Grinsend umschlang ich ihn mit einem Arm. Ich würde ihn beschützen. Vor allem. Und wenn es das aus-dem-Bett-fallen war.

Dean imitierte im Schlaf meine Geste. Als würden wir uns gegenseitig schützen.

Destiel OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt