Das Schaukelpferd

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Heute hat mein Schaukelpferd wieder mit mir gesprochen. Ich dachte, es würde mich für immer ignorieren, so wütend hatte ich es beim letzten Mal gemacht.

Ich spielte gerade mit Lissie, zog ihr das neue karierte Kleid an und kämmte ihr fransiges Haar, da blickte ich auf und sah die stumpfen Pferdeaugen aufflackern, und ich meinte, ein Lächeln in ihrer glatten Dunkelheit zu erkennen.

„Komm doch her und reite auf mir", sagte es.

Ich war sehr glücklich darüber, dass es wieder lebendig war, lehnte jedoch ab, um weiter mit Lissie zu spielen.

„Aber Lissie ist nicht wie ich. Und du hast in letzter Zeit doch sicher genug mit ihr gespielt, oder?"

Tatsächlich hatte ich in den vergangenen Tagen fast die ganze Zeit mit ihr verbracht. Das tat ich immer, wenn das Schaukelpferd nicht mit mir redete.

„Ich will aber nicht, dass sie denkt, ich mag dich lieber ..."

Das Schaukelpferd schüttelte besänftigend den Kopf. „Das interessiert Lissie nicht. Sie ist sowieso viel glücklicher, wenn du nicht hier bist."

„Das stimmt nicht! Lissie hat mich lieb!", rief ich entsetzt.

„Woher willst du das wissen? Sie spricht nie mit dir. Sie lässt nur alles geschehen, was du mit ihr machst."

Ich fing an zu weinen. Es stimmte, sie sprach wirklich nie mit mir, nicht so wie das Schaukelpferd. Aber ich wollte ihr doch gar nicht wehtun! Und nun würden sie und Nina bestimmt darüber lachen, dass ich nie gemerkt hatte, dass ich es tat, wenn ich sie heute Abend in ihre Betten legte.

„Sch ... sch ...", machte das Schaukelpferd beruhigend und wippte ein bisschen hin und her. Ich schniefte. „Dafür mag ich dich doch. Komm, erleben wir ein paar Abenteuer."

Ich wollte das Schaukelpferd nicht wieder verärgern, wo es mir doch gerade erst verziehen hatte, und so wischte ich meine Tränen ab und stieg auf. Es schaukelte einmal hin und her, und dann flogen wir durch die Wolken. Ich hatte es sehr vermisst, das Fliegen und die Abenteuer. Unser erster Stopp war das Land der Löffelmenschen, die in unterirdischen Höhlen leben und dort wachsen wie Stalagtiten, und dann retteten wir Nina aus den Fängen eines bösen Drachen, der sie auf dem obersten Regalbrett meines Spielzeugschrankes gefangen hielt. Letzteres war nicht meine Idee, denn so dumm war Nina nicht. Sie hätte ja einfach auf dem Drachen wegfliegen können, wie ich auf meinem Schaukelpferd. Dann wäre er bestimmt netter zu ihr gewesen.

*

Jetzt, wo ich wieder mit dem Schaukelpferd spielen konnte, vergingen die nächsten Tage wie im Fluge, und Lissie vergaß ich schnell. Jeden Abend erzählte ich Mama von unseren Erlebnissen. Ich wollte ihr eigentlich auch sagen, welche Ideen vom Schaukelpferd stammten, doch es meinte, dass sie bestimmt glücklicher wäre, wenn sie dächte, alle seien von mir. Und Mama lächelte mich immer so zufrieden an, während ich redete, dass es wohl recht hatte.

Eines Morgens wachte ich auf und sah Mama auf meiner Bettkante sitzen.

„Mein Liebes", sagte sie leise und besorgt, „wie geht es dir?"

Ich wollte ihr sagen, dass es mir gut ging, doch meinen Mund zu öffnen war auf einmal schwer. Mein Körper war starr, wie aus sprödem Draht gefertigt und mit Gestein umhüllt. Mir war so kalt. Meine Augen fielen zu, und ich hörte gerade noch eine tiefe Stimme hinterm Kopfende meines Bettes.

„Es tut mir leid, aber alles, was Sie nun tun können, ist warten und beten."

*

Ich fühlte mich viel besser, als ich das nächste Mal erwachte. Es war dunkel im Zimmer, doch nach einer Weile der Stille sah ich in der Ecke das Glänzen zweier Augen, die mich beobachteten.

Das SchaukelpferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt