Kapitel 62: Wenn die Wahrheit zur Belastung wird

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Die Erinnerung löste sich auf, Hermine kam im Hier und Jetzt wieder an, sie stützte sich am Tisch ab, musste das Gesehene erst einmal verarbeiten.
Joy... das Mädchen hieß Joy..., sie hielt sich die Hand vor den Mund, sie war fassungslos, er hatte ihr gesagt, dass er jemanden vergewaltigt hatte, aber, dass es wirklich so schlimm war, konnte sie sich nicht vorstellen.
„Wer.... Wer war sie?", fragte Hermine leise, musste sich beherrschen sich nicht zu übergeben. Severus sagte nichts.
„Wer war sie?!", schrie sie haltlos.
„Ein Mädchen aus der Nachbarschaft... ich... sollte oft auf sie aufpassen, wenn ich in den Ferien zuhause war... sie war so nett.. so gütig, sie hat in mir nie den bösen Todesser gesehen, den freudlosen Jungen. Für sie war ich Sev, ihr Freund aus der Nachbarschaft... nicht mehr und nicht weniger.", erzählte er.
„Wie konntest du ihr so etwas antun?"
„Ich dachte je kälter und grausamer ich bin, desto mächtiger wäre ich. Ich habe nicht an Güte geglaubt... nicht daran, dass das Gute stärker ist.", er senkte beschämt den Kopf.
„Was ist dann passiert?"
„Ich habe ihr die Erinnerung genommen, sie hätte sich natürlich ihren Eltern anvertraut. Wir haben ihre Verletzungen geheilt, ihr einen Trank gegen die Schmerzen gegeben und gegen eine ungewollte Schwangerschaft...", er schnaubte auf, „dann hab ich sie zurück nach Spinner's End gebracht und mich von diesem Tag von ihr ferngehalten. Lucius wollte sie noch ein- zweimal aufsuchen... ich hab ihm gesagt sie sei umgezogen und ich wüsste nicht, wo sie wäre...", in diesem Moment wirkte er wie ein gebrochener Mann, Hermine konnte nur zu gut verstehen warum.
Das war vermutlich wirklich das Schlimmste, was er in seinem Leben je getan hatte. Das Geheimnis der Prophezeiung weiter zu geben war etwas anderes als eine Vergewaltigung.
Alles erzeugte Schmerz, aber im zweiten Fall war er aktiv, körperlich beteiligt.

„Bist du jetzt zufrieden?", wollte er zurückhaltend wissen.
„Wie könnte ich damit zufrieden sein?", sie schüttelte den Kopf.
„Ich wollte nie wieder darüber sprechen oder nachdenken, ich wollte damit abschließen.", er ballte seine Hand zu einer Faust, „Ich hab es dir gezeigt, weil... ich dir vertraue. Du sollst nicht denken, dass es an dir liegt, wenn ich dir manche Sachen nicht erzähle.", er schloss die Augen, „Das meiste verschweige ich dir aus Schutz und Sorge... das, was ich erlebt habe, zerstört Leben. Verstehst du? Diese Erinnerungen sind so schmerzhaft und grausam, dass ich sie kaum aushalte... ich möchte sie dir nicht auch noch zumuten.", sein Blick war warm und mit ernsthafter Sorge durchzogen.
„Ich halte mehr aus, als du denkst.", sie versuchte stark zu klingen, straffte sich, blinzelte die Tränen aus ihren Augen.
„Ich weiß... du bist unfassbar stark.", er nickte, lächelte leicht, „Vermutlich stärker als ich.", er massierte seine Nasenwurzel, strich über seine Augen, verließ langsam das Labor, ging in das Schlafzimmer gegenüber und setzte sich auf das Bett.

Hermine starrte auf die Stelle, an der er gerade noch stand, die Situation war so surreal und das, was sie erfahren hatte war so schlimm, dass sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.
Sie mochte ihn, natürlich, - sehr sogar, sie vertraute ihm, - eigentlich. Er vertraute ihr, was ein weiterer Beweis war, wie intim die ‚Beziehung' zwischen ihnen war. Sie war froh, dass sie nun wusste, was sein Problem war und traurig und wütend, dass er das getan hatte.
Das ist fast 20 Jahre vorbei, warf ihre Kopfstimme ein, die Stimme, die eigentlich bei jeder Möglichkeit gegen Severus schoss, verteidigte ihn nun, er hat sich geändert, das weißt du... vermutlich bereut er es jeden einzelnen Tag... versuch doch mal zu verstehen, wie er sich dabei fühlt. Er hat so etwas schlimmes getan, mit Lucius zusammen... aber er ist nicht mehr der Mann... er ist gut. Das weißt du.
„Was soll ich denn jetzt nur machen?", fragte sie sich selbst, strich ihre Haare nach hinten und seufzte auf.
Du kannst ihn nicht allein lassen, wenn du jetzt gehst, dann wird für immer etwas zwischen euch stehen, dann wird die Wahrheit für immer einen langen Schatten über euch werfen..., die Stimme hatte recht, so sehr sie sich auch ekelte und ihn verachtete für das, was er getan hatte, so sehr musste sie ihm Respekt zollen und Dankbarkeit für seine Ehrlichkeit.
Er tat ihr leid, er hatte wirklich den ganz falschen Weg vor all den Jahren gewählt, zwar nur kurz, aber dafür intensiv und mit schlimmen Schreckensmomenten.
Hermine nahm ihren Mut zusammen, den Schritt jetzt auf ihn zuzugehen erforderte viel Mut, aber sie dachte daran wie viel Mut es ihn gekostet haben musste, ihr diese schreckliche Erinnerung zu zeigen.

Sie atmete tief ein und aus, ging dann aus dem Labor in sein Schlafzimmer, setzte sich wieder vorsichtig neben ihn, musterte ihn. Er spürte ihren Blick auf sich, sah auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen.
„Es tut mir leid, dass ich nicht von Anfang an ehrlich war zu dir... dass du mit mir geschlafen hast...", er zog die Augenbrauen zusammen.
Für eine lange Weile sagte keiner von beiden etwas, sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter, tastete nach seiner Hand und legte ihre in seine.
„Es tut mir nicht leid, dass ich mit dir geschlafen habe", fing sie an, er sah auf, „es ist furchtbar, was ihr getan habt... ohne Zweifel...", sie sah ihn an, ihre Augen tränten wieder, was auch an seinem Blick lag, „aber... du bist nicht mehr dieser Junge... du hast einen schlimmen Fehler gemacht...", sie schluckte, diese Worte auszusprechen fiel ihr schwer, sie meinte es ernst, aber ein bitterer Beigeschmack blieb dennoch, „du bereust es, es tut dir leid...", sie ließ ihn los, stand auf und ging durcheinander durch das Zimmer.
„Aber es fällt dir schwer mich jetzt wieder anfassen zu wollen, richtig?", fragte er wissend, folgte ihrem Laufen mit seinem Blick.
Sie stoppte und nickte, ihre Augen füllten sich mit Tränen, die schnell über ihre Wange liefen.
Hatte er sie nicht noch gewarnt?
Dass sie irgendwann ein Geheimnis erfahren würde, welches sie gar nicht wissen wollte?

Genau an diesem Punkt stand sie jetzt, sie verfluchte sich innerlich für ihre Neugier, für ihren Wunsch alles wissen zu wollen. Diese Verbindung zwischen ihnen wäre nie wieder so wie vorher und sie bereute es über alle Maße.
Sie weinte bittere Tränen, hielt sich die Hände vor ihr Gesicht, lief mit verschleierter Sicht aus dem Schlafzimmer, setzte sich auf die Couch und zitterte heftig.
Sie schien sich gar nicht mehr beruhigen zu können, ihre Augen waren geschwollen und gerötet, sie schmerzten schon, aber Hermine konnte einfach nicht aufhören zu weinen.
„Kann ich irgendetwas tun, um dir diese Trauer zu nehmen?", fragte er dunkel von der Tür aus, er fühlte sich hilflos und überfordert, ein Hauch von Panik stieg in ihm auf, er hatte wirklich Angst, sie für immer verloren zu haben, dass die Wahrheit einen Keil zwischen sie trieb.
Sie sah auf, ihr Gesicht brach ihm beinahe das Herz, er schluckte, fand aber neue Hoffnung, als sie nickte.
„Wie? Ich mache alles... alles was du willst.", sagte er ernst, ging langsam und vorsichtig zur Couch.
„Kannst du mir die Erinnerung daran nehmen?", ihre Stimme zitterte.
„Was?"
„Ich kann das nicht in meinem Kopf behalten... ich will nicht die Bilder von dir in meinem Kopf haben wie du in sie eindringst... wie sie schreit...", ihr Blick war in die Ferne gerichtet, sie verlor sich in dem, was sie gesehen hatte, Tränen liefen wieder über ihr Gesicht.
„Wenn ich sie dir nehme wirst du irgendwann wieder Fragen stellen... du wirst wissen wollen, warum ich mich verhalte, wie ich mich verhalte. Warum ich immer ins Stocken gerate, wenn ich den Namen ‚Joy' höre....", er schüttelte nur den Kopf.
„Severus... bitte. Wenn du willst, dass ich dich jemals wieder küssen kann, dann löschst du meine Erinnerung. Verändere sie, lass mir nur einen Teil von dem, was ich gesehen hab... den Anfang... bevor ihr nach Malfoy Manner appariert... den Rest werde ich mir denken können.", schlug sie vor, sie stand auf, ging mit weichen Knien auf ihn zu. Ihr Blick flog über sein Gesicht.
„Bitte", flehte sie.
Er presste die Kiefer aufeinander, „dann stehen wieder Geheimnisse zwischen uns"
„Manche Geheimnisse müssen nicht gelüftet werden, das weiß ich jetzt.", meinte sie, ging noch einen Schritt auf ihn zu.
Er zog seinen Zauberstab, besah sich das Holz, dachte nach, konnte er das wirklich machen?
Es war ihr Wunsch, aber würde sie nicht irgendwann wieder damit anfangen?
Würde sie nicht ihrer Natur nachgehen und bohren? Würde sie irgendwann genau dasselbe wieder durchleben und wäre dann vielleicht sogar noch sauer, weil er ihre Erinnerungen manipulierte?
„Severus..."

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