Nebel lag über der Stadt. Alles war grau, der Dschungel von Gebäuden, der Himmel, die Menschen die unten lang liefen. Es war schwer etwas gutes an diesem Tag zu finden, war doch selbst der sonst so farbenfrohe Herbst trostlos und blass.
Es war der Tag meiner Hochzeit.
Ich verspürte Angst, keine wie bei üblichen Hochzeiten von der man wusste, dass sie bald verfliegen würde. Nein, es war panische Angst. Kannte ich ihn doch gar nicht. Im Westen der Welt würde man jetzt den Kopf schütteln, doch hier war das normal, ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft jemanden an mich zu binden und er genauso wenig. Jetzt sind wir zugeteilt worden, die Entscheidung war unumgänglich.
Ich ging im kleinem Zimmer hin und her. Es war traditionell, sowie der Hanbok den ich trug. Elegant bewegte er sich mit mir, weit ausgestellt, und passend zum Herbst in orange und rot Tönen gehalten. Es waren kleine Stickereien darauf, Blumen, Blätter und kleine Spielereien, meine Schwiegereltern besorgten ihn mir. Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie sahen das eine Ausländerin ihren Sohn heiraten würde. Es klopfte, ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter.
Es war soweit.
Langsam schritt ich nach vorne, dort wo der Priester wartete. Auf meinem Wunsch hin wurde eine westliche Zeremonie abgehalten, die Feierlichkeiten und die Kleidung sollten allerdings traditionell bleiben, ihr Wunsch.
Mein Blick blieb am Boden haften. Die Angst stieg mit jedem Schritt. Mein ganzer Körper war erfüllt vom pochen meines Herzens.
Sieh nicht hoch. Sieh nicht hoch.
Warum nicht? Warum hatte ich solche Angst? Egal wie es lief, nach zwei Jahren stand es uns frei zu wählen; annullieren oder zusammenleben. Was wenn er mich nicht mochte, wenn ich alleine war? Was machte das schon, ich war die Einsamkeit gewohnt. Was wenn ich ihn nicht mochte? Wenn er einsam wird? Was wenn er grausam ist?
Alles war leer, nur seine Füße konnte ich sehen. Niemand war gekommen, wir waren wohl beide bereits einsam. Ich stand neben ihm, langsam, behutsam hob ich den Kopf. Er schaute mich nicht an. Wir beide, allein wir beide, wir hatten ab jetzt nur uns. Oder?
Er war groß, seine Haare braun, fast schon schwarz, voll und glänzend. Gut sah er aus. Wegen der Kleidung konnte man nur sehen, dass seine Schultern breit waren, der Rest lag verhüllt. Er musste stattlich gebaut sein.
Auch er sah mich nun an, seine vollen Lippen zeichneten ein Lächeln auf sein Gesicht. Schüchtern, aber aufrichtig. Auch ich war erleichtert, ich kannte nicht Mal seinen Namen, aber ich spürte das alles gut werden würde.
Liebe? Eine merkwürdige Vertrautheit, das Gefühl jemanden zu kennen obwohl es nicht möglich war. Sein Gesicht war rundlich, nicht klein sondern eigenartig männlich. Seine Augen strahlten wie sein Haar und seine Haut, hätte wohl jede Frau neidisch machen können. Dieses Gesicht erzählte mir so viel und meines tat es dem seinen gleich.
Der Priester sprach, doch ich hörte ihn kaum. Alles war wie im Nebel, verschleiert, geheimnisvoll und so wie Nebel verzog auch die Zeremonie sich schnell.
„Ja ich will.“ Die tiefe Stimme hob den Schleier.
„Ja ich will.“ Die Sonne brach das grau in Herbstfarben.
„Mit der Kraft des mir verliehenen Amtes erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau.“ Die Fesseln der Ehe legten sich mit seinem Kuss um uns. Sie waren leicht, kaum spürbar und doch so verhängnisvoll.
Gemeinsam, Hand in Hand glitten wir aus dem Raum. Irgendwie glücklich, aber die Unsicherheit klammerte sich an uns fest. Der Fahrstuhl des riesigen Gebäudes, welches sich unscheinbar in den grauen Dschungel einfügte brachte uns zu dem Ort an dem die Fotos gemacht werden sollten. Weit über dem Nebel, eine wunderschöne Dachterrasse, mit kleinen Felsen und rotem Ahorn. Ich lächelte.
„Wunderschön.“ Die tiefe Stimme löste wieder den Schleier der grauen Unsicherheit. Er schaute mich an, lächelnd. Seines war es auch, wunderschön.
Das Farbenspiel des Ahorn spiegelte sich auf meinem Hanbok wieder. Wir waren Ton in Ton, vereint in strahlender Erhabenheit. Die Welt gehörte einen Moment lang uns, niemand sonst war hier. Erhabenheit.
Es kribbelte, doch war es nicht die Höhe, viel mehr seine Berührungen. Wir kannten uns nicht und doch würde ich ihm alles anvertrauen. Unsere Blicke trafen sich und ich sah es, dass Déjà-vu meiner Gedanken.
Der schrille Aufschrei ließ uns wach werden, absinken auf die leuchtend orange Terrasse. Eine Frau stand in Tränen vor uns, doch sie freute sich nicht. Hass, reiner Hass starrte mich aus braunen Höhlen an. Ein eiskalter Blitz durchfuhr mich. Er saugte jeder Farbe die Sättigung aus und sofort wurde alles grau, dunkel und kalt.
„Wieso?“
„WIESO?“
Wieder blieb alles stehen, doch ließ man mich diesmal fallen, unendlich tief. Sie alle warteten hier oben, wollten sich überraschen lassen, dem Paar erstmal einen Moment gönnen. Doch mit mir hatte keiner gerechnet. Sie waren anders, sie kannten mich nicht und hassten mich mit Leib und Seele. Er kannte mich nicht, doch würde er mich mit Leib und Seele verteidigen. Warum?
Still stand ich neben ihm als er mit der reinen Kraft seiner Worte die Familie beruhigte. Sollte ich was sagen? Die Fesseln wurden enger.
Ich kannte die Vorurteile, jedes einzelne mitsamt ihrer Grausamkeit. Wir würden nur darauf warten bis wir in die Liste kommen, um einen reichen Mann zu bekommen. Wir würden sie ausnutzen.
Seine Worte waren so weise gewählt und kraftvoll ausgedrückt, das sie wohl Berge versetzen könnten. Er öffnete nicht einfach nur den Mund, nein er öffnete ein Fenster zu seiner Gedankenwelt.
Meine Sicht wurde weich, Tränen zeichneten jede Unebenheiten, jede Rauheit, jeden Hass, in etwas warmes und schönes. Alles sah weicher aus, vertrauter. Nicht jeder Mensch ist wie das schwarze Schaf auf der Weide und nicht jedes schwarze Schaf ist dem bösen verfallen.
Er schien sie zu bemerken, die Verzweiflung, die mein Gesicht hinunter ran. Seine starken Arme schlossen sich um mich, drückten mich. Er umhüllte mich, alles wurde leichter. Mein Herz schlug mit seinem im Takt. Ist es Liebe wenn man so fühlt? Ist es Liebe obwohl wir uns noch nicht einmal kennen?
Wer bist du?
Wieso ist dein Herz so gut?
Leise flüsterte er mir seinen Namen ins Ohr und ich gab meinen leise zurück.
Er zwang mich ihn anzusehen, ganz vorsichtig als hätte er Angst mich zu zerbrechen. Mit seinem Daumen wischte er meine Tränen weg. Wieder waren wir alleine, alles war ausgeblendet. Ich hörte nur noch ihn, seinen Atmen, sein Herzschlag und seine Stimme. „Eine Braut sollte nicht am Tag ihrer Hochzeit weinen.“ Er lächelte mich an und ich musste es ihm nach tun, es war ein tiefer Reflex in mir. Wir lernten uns kennen, in kleinen Schritten und dennoch fühlten sie sich gigantisch an. Er schützte mich während der Feier, viele brachen mit ihren Urteilen. Nur meine neue Familie nicht, sie waren still, beobachteten jede Bewegung. Sie waren Löwen und ich ihre Beute. Doch sie müssten zwei Jahre warten, ehe sie mich reißen könnten. Weder Freunde noch Familie dürfen das Ehepaar auf Probe stören, so war das Gesetz. Man sollte sich ganz auf den Partner einlassen, sich seelisch preisgeben, sich hingeben.
Tage vergingen, die Tür öffnete sich langsam. Wochen vergingen, sie stand immer weiter offen. Monate vergingen und die Tür war nun vollkommen geöffnet. Ich ließ ihn in mein Herz, ich liebte ihn, wie ich noch nichts vorher liebte. Es war ehrlich, rein und voller Leidenschaft. Wir erzählten uns alles ohne Angst oder Scharm. Die Welt zeigte mir ihre schönste Farbenpracht und ich sog diese in mir auf. Er war das Licht in jeder noch so dunklen Nacht und ich der Nordstern, der ihm den Weg wies.
Wir unternahmen viel, die Schönheit des Landes, der Welt erstreckte sich vor uns und wir mussten nichts anders tun, als nach ihr zu greifen und sie fest an uns zu drücken. Wir lebten von ihr, er als Autor und ich als Künstlerin. Die Schönheit, die anderen verborgen blieb holten wir hervor, ganz vorsichtig und behutsam als könnte sie bei jeden Atemzug vergehen.
„Ich liebe dich, weißt du?“ wir saßen am Rande eines Feldes, als er mir das erste Mal seine Liebe gestand. Er musste es mir vorher nie sagen, ich habe es gespürt, vom ersten Augenblick an wusste ich es. Ich lehnte mich an ihn, seine Schultern wurden seither mein Ankerpunkt. „Ich liebe dich auch.“ Ich sagte es leise, nur er sollte es hören, er ganz alleine. Die Sonne küsste den Horizont und verschwand langsam. Doch wir strahlten weiter, wärmten uns und brauchten nichts anderes als diesen Moment.
Wir hatten gegenseitig unsere Türen geöffnet und sind durch sie hindurch.
Unser Leben war perfekt, denn es hatte sowohl Tiefpunkte als auch Höhepunkte. Es fühlte sich an als würde man in Herbstlicher Morgendämmerung durch einsame Wiesen und Wälder streifen, der Nebel legte sich über die schlafende Erde und hüllte sie in ein einzigartiges, mystisches Gewand, undurchdringbar und dennoch zu überwinden. Es birgt eine eigene Schönheit. Es birgt den Tod.
Er erzählte mir soviel, seine Kindheit in Illsan, seine Träume und das er mit seinem Wissen wohl alles hätte werden können. Doch er wollte Menschen erreichen, sie berühren und dazu ermutigen an sich zu glauben. Er sagte immer, das man sich selbst lieben sollte, jede Facette eines Menschen macht diesen auch aus. Es brachte ihm nichts sich wie Pinocchio hinter einem Poncho aus Lügen zu verstecken. Er erzählte mir wie er seine Mutter bat seine Entscheidung zu verstehen, er bat sie um ihre Zustimmung und die gab sie ihm. Den Brief hatte er immer bei sich. Sie kam mir so viel liebevoller vor als am Tag unserer Hochzeit. Die Angst vor ihr löste sich, doch sie verschwand nie.
Ich erzählte ihm alles aus meiner Vergangenheit. Wie ich wegen dem Studium hierher kam und einfach nicht mehr gehen konnte. Wie einsam ich mich fühlte, trotz Freunde und Familie. Wie ich auf der Suche nach mir war und das ich dass was ich suchte hier bei ihm fand. Wie glücklich ich war und das jedes Wort, jeder Satz und jeder Kuss zu meiner Welt geworden war.
Mit jedem Tag wurden wir mehr, mit jedem Tag wurde das Gefühl stärker und das unheimliche am Nebel ebenso.
Mein Mond der jede noch so dunkle Nacht erhellte, wurde krank. Sein Licht schwächer. Kein Arzt konnte ihm helfen, "unheilbar" sagten sie. Wieder standen wir im Nebel, doch dieses Mal ohne die Dämmerung. Wir standen im tiefsten schwarz. Wir waren beisammen und dennoch einsam, verloren. Die zwei Jahre waren noch nicht einmal rum. Die Gewissheit, das sein Licht erlosch ließ mich nichts schönes mehr in dieser Welt erkennen. Wieder war alles grau und kalt.
Er saß wie so oft in seinem Arbeitszimmer, die Tür zum Garten stand offen. Warmer Wind strich mir um die Beine. Wenn ich ihn so sah kamen die Farben kurz zurück. Er schrieb etwas und bemerkte mich nicht. Das Zimmer war gemütlich und warm, es erinnerte mich an den Abend am Feld. „Mono.“ Sagte er ganz ruhig. „Das Gefühl der Morgendämmerung.“ Endlich schaute er zu mir hoch und lächelte. Er sah gar nicht krank aus wenn er das tat. Seine Augen strahlten. Ich hörte das Rascheln der Blätter, das Zirpen der Insekten und seine Stimme die alles umhüllte, als wäre es ein Lied.
„Es ist unsere Geschichte.“ Seine Hand glitt über das Papier. Ich konnte nicht anders als auf ihn zu zugehen und seine Hand zu halten. Sie war warm, so stark. Ich spielte vorsichtig mit ihr, behutsam aus Angst sie könnte bei jeden Atemzug vergehen. Ich hielt inne und er drückte sie fest an sich.
„Du hast mir von diesem Gefühl erzählt weißt du noch?“
Ich nickte.
„Ich möchte das du dich immer an dieses Gefühl erinnerst, egal was passiert. Ich kann nicht aus dieser Welt gehen und wissen, dass du meinetwegen traurig bist.“ Er drückte meine Hand fester. Ich konnte einfach nicht sprechen, mein Herz war mir zu schwer. Wie konnte er so stark bleiben, wie? Ich hatte es mich schon damals gefragt. Gibt es überhaupt eine Antwort oder ist es einfach nur sein großes Herz?
„Mono.“ Sagte ich leise. Tränen umschmiegten uns. Wir standen eine ganze Weile dort und spürten nur uns. Der Stern in mir sollte bald den Nachthimmel sehen können, gemeinsam würden wir scheinen und für unsere eigene Galaxie sorgen.
In dieser Nacht schien der Mond nicht, sie war still und kalt. Die Zeit stand still. Wir schliefen gemeinsam ein. Doch, der Mond schien nie wieder.
Unser Stern leuchtet hell am Firmament, mein liebster Mond. Sie ist wunderschön, ihre Augen Funkeln so wie deine. Wenn ich sie sehe, sehe ich auch dich. Ich bringe dir ein Bild mit, denn wir werden uns bald wieder sehen.Mono. Sich selbst finden, zu akzeptieren und das Gefühl der nebligen Morgendämmerung. Das Gefühl komplett zu sein, das sind wir.
DU LIEST GERADE
Die Träume die mir folgten
Short StoryIch träume viel und lebhaft, manche Träume bleiben mir tagelang im Gedächtnis bis ich sie auf schreibe. Manche von ihnen werde ich hier veröffentlichen, als eine Art Tagebuch. :)