Kapitel 78: Wiedersehen mit einem Toten

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„Severus, ich war nicht in der Hütte. Ich bin mit Harry und Ron zurück nach Hogwarts gelaufen...", sie sah ihn skeptisch an, hatte der Messerangriff vielleicht doch mehr bei ihm angerichtet, als ‚nur' die Rückenverletzung?
„Ich sehe dich klar und deutlich vor mir, du warst da", er war sich sicher, ließ sich davon nicht abbringen.
„Ich kann gar nicht da gewesen sein", flüsterte sie, sah gedankenverloren auf einen Punkt, sie schien nachdenklich, bis sie plötzlich aufsprang.
Sie lief ins Wohnzimmer, zog das Buch aus dem Regal, das Buch, welches sie auf die Animagusverwandlung gebracht hatte, das Buch, welches nicht zu den Übrigen passte.
Severus hatte die verzauberten Lavendel-Stängel reingelegt, sie zeigten auf eine bestimmte Stelle.
„...zurück...", ihre Gedanken rasten, zurück, er hatte Erinnerungen von ihr wie sie ihn pflegte, zurück, sie hatte den Zeitumkehrer vor Monaten gefunden, wie war er vor seine Tür gekommen, zurück, warum waren sie so vertraut miteinander?
Sie lief kopflos durch den Raum, ihr Blick fiel zufällig auf den Wohnzimmertisch, dort lag der Zeitumkehrer und eine Phiole, wie bei Merlins Bart, war er dort hingekommen?
„Severus?!", ihre Stimme war schrill, aufgekratzt, war das möglich?
„Was ist los?", fragte er aufgeregt, versuchte so schnell ins Wohnzimmer zu kommen, wie es sein Rücken ihm erlaubte.
„Was ist das für ein Trank?", fragte sie, zeigte mit zitternden Fingern auf die Phiole.
„Oh, ein Gegengift... ich hab es vergessen wegzuräumen...", sagte er entschuldigend.
„Wofür?"
„Für alle Gifte, die es gibt", er zog skeptisch die Augen zusammen, „mit Phönixtränen..."

Hermines Gesichtszüge erschlafften, neben dem Zeitumkehrer lag das Gegengift für Naginis Biss, alles ergab Sinn.
Er hatte sie gesehen, weil sie dort war.

Sie ging in langen Schritten zum Tisch, griff nach der Phiole und dem Zeitumkehrer, hängte ihn sich um den Hals und wurde von Severus festgehalten, „das kannst du nicht machen. Du kannst kein Jahr zurückreisen! Für dich läuft die Zeit weiter.", seine Augen flogen über ihr Gesicht.
„Ich muss, sonst stirbst du! Es wäre nicht das erste Mal, dass es zwei Hermines in einem Jahr gibt. Ich kenne die Regeln Severus.", sie wollte sich aus seinem Griff befreien, aber er ließ nicht locker.
„Du kannst nicht dorthin zurück."
„Ich muss, sonst gibt es dich nicht mehr", schrie sie verzweifelt.
Er strich sich durch das Gesicht, tigerte unruhig in seinem Raum umher, das war Wahnsinn, was sie vorhatte.
Wenn sie erwischt werden würde, wenn man sie sehen würde, dann würde das unvorstellbare Konsequenzen nach sich ziehen.
Hermine hatte ihren Entschluss bereits getroffen, es gab kein Zurück vom Zurück mehr, sie musste es machen, um ihrer beider Willen.
Sie ging zu ihm, umarmte ihn, presste sich an ihn, versuchte die Tränen zurückzuhalten, er drückte sie nah an sich, vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Noch nie hatte er so viel Angst um ihr Leben und sein eigenes, wie in diesem Moment. Er vertraute darauf, dass sie es schaffen würde, aber er hatte Angst, dass sie irgendwie verletzt würde.
„Sei vorsichtig", bat er leise an ihrem Ohr.
„Ich bin immer vorsichtig", sie löste sich und lächelte schief.
„Und noch was...", seine Stimme war dunkel, sie wartete, was er sagen würde, „du musst Geduld mit mir haben..."
Hermine sah ihn ratlos an, was sollte das nun wieder bedeuten?
„Geh...", Severus nickte, sie lief perplex zur Tür, rannte dann wieder zu ihm und küsste ihn stürmisch, hoffte, es würde nicht das letzte Mal sein und löste sich dann.
„Such dir einen sicheren Platz für den Zeitsprung und denk an deine Animagus-Verwandlung!", erinnerte er sie, sie nickte und rannte dann durch die Kerker.

Wo war es sicher? Wo waren die wenigsten Todesser? Das Schloss war fast von Todessern frei... McGonagall hatte schon viele mit Hilfe des Ordens nach draußen befördert..., sie dachte nach während ihre Füße sie weiter nach oben trugen.
„Der Astronomie-Turm", hauchte sie, als sie vor den letzten Stufen stand, sie nickte, wenn sie sich wirklich in einen Vogel verwandeln könnte, könnte sie schnell und ungesehen über das Schlachtfeld zum Bootshaus fliegen.
„Wenn es eine höhere Macht gibt, dann bitte lass alles so funktionieren...", nuschelte sich aufgeregt, wechselte noch magisch ihre Kleidung, die Phiole mit dem Trank verstaute sie sicher in ihrer Hosentasche, den Zauberstab verstaute sie in der Innentasche ihrer Sweatshirtjacke.
Ihre Finger zitterten, als sie den Zeitumkehrer hervorzog, jeder klar-denkende Zauberer hätte ihr davon abgeraten und den Zeitumkehrer zerstört, so wie jeden anderen.
Aber Hermine musste es tun, genau wie Harry sich damals der Vielzahl von Dementoren stellen musste, sie wusste, tief in ihrem Inneren, dass sie es schaffen würde, denn Severus lebte, nun musste sie dafür sorgen, dass es auch so blieb.

Sie dachte nach, ihre Gedanken sprangen schnell umher, sie wollte nicht zu weit nach hinten springen, aber auch nicht zu spät kommen.
Professor McGonagall hatte ihr damals gesagt, als sie ihn bereits in ihrem dritten Schuljahr benutzte, dass das Spiel mit der Zeit eines der gefährlichsten war. Sie wurde nicht müde sie immer und immer wieder auf die Gefahren hinzuweisen, die mit dieser Art von Magie einhergingen. Ein Zeitumkehrer in den falschen Händen konnte fatale Folgen haben.
Sie zog die Ringe schier endlos lange auf, atmete dann durch und ließ los.
Die Ringe um die Sanduhr spielten verrückt, sie drehten sich immer schneller und wilder umeinander, Hermines Umwelt schien zu beben, sie verlor beinahe den Halt unter den Füßen, sah sich panisch um, das hatte sie bei einer Zeitreise noch nie erlebt. Die Angst wuchs immer weiter, ihr Blick wurde unscharf, alles drehte sich, selbst der Zeitumkehrer in ihrer Hand schien zu verschwimmen. Ein unfassbarer Druck legte sich um ihren Körper, drückte ihr die Luft aus der Lunge, war das der Preis für eine solche lange Zeitreise? Mit einem Ruck stoppte alles, das Bild setzte sich weiter zusammen, ein nebeliger Schimmer und eine ungeahnte Schwerelosigkeit hüllte alles ein. Sie sah sich um, schrie laut auf, als ein ohrenbetäubender Knall durch Raum und Zeit sprang.

Die Reise war beendet, die Helligkeit war verloren, es war trostlos und dunkel auf dem Astronomie-Turm, sie sah auf den Zeitumkehrer, ein tiefer Riss zog sich das Glas, in dem sich der Sand befand. Das war die letzte Reise, die sie mit ihm gemacht hatte.
Hoffentlich nicht erfolgslos, dachte sie.
Sie hörte Stimmen von unten, steckte den kaputten Zeitumkehrer wieder unter ihr Oberteil und stürzte zur Brüstung, ihre Knie waren weich, die Kraft kam langsam in ihre Knochen zurück.
An jeder, von dort oben, sichtbaren Position hatten sich Professoren gestellt, sie zauberten das Schutzschild über Hogwarts, welches die Todesser davon abhalten sollte das Schloss zu stürmen. Niemand kam herein oder heraus.
Sie musste warten, bis Voldemort und seine Anhänger den Schild zerstörten, dann würde der Kampf beginnen und sie müsste sich einen Weg zum Bootshaus bahnen.
Ihr kam nach und nach immer weiter die Erkenntnis in den Sinn, was sie gerade gemacht hatte.
Sie müsste ein Jahr in der Vergangenheit verbringen. Niemand durfte sie sehen, sie musste sich von ihren Freunden fernhalten, von öffentlichen Orten, konnte ein Jahr nicht in ihrer Gestalt in die Winkelgasse. Sie setzte sich auf den kalten Boden, vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, versuchte nicht zu weinen.
Du machst es für Severus und für dich..., erinnerte ihre innere Stimme sie.
Sie schluchzte, legte ihre Hände an ihre Wangen, band sich die Haare zusammen und beruhigte sich langsam.

„Hey! Was machst du hier?!", eine ihr nur allzu vertraute Stimme schreckte sie auf, aufgeregt sah sie nach woher die Stimme kam, sprang auf, als sie die Quelle erkannte. Sie erstarrte als sie Remus gegenüberstand, genau so etwas sollte nicht passieren.
„Remus", ihre Stimme zitterte.
„Hermine?! Wie... ich hab dich doch gerade noch unten gesehen... was", dann sah sie die Erleuchtung auf seinem Gesicht, „Nein... nein das hast du nicht gemacht... du hast keine Zeitreise gemacht!", er ging wütend auf sie zu, sie musterte ihn, ihr war früher gar nicht aufgefallen, wie müde und abgeschlagen er aussah. Teddy und die Sorge vor dem bevorstehenden Krieg zeichneten sich deutlich auf seinem Gesicht ab. Dunkle Schatten lagen unter seinen eingefallenen Augen, das Gesicht blass und fahl.
Hermine konnte die bis gerade eben erfolgreich zurückgedrängten Tränen nicht weiter aufhalten, sie liefen heiß und schnell über ihre Wange, es tat so gut ihn zu sehen und es tat so weh zu wissen, was in wenigen Stunden passieren würde.
„Remus", sie schluchzte, überbrückte den Abstand und fiel ihm in die Arme. Er drückte sie perplex, er wusste nicht, warum sie so aufgelöst war und warum sie überhaupt hier war.
„Was ist passiert?", fragte er leise und angespannt, suchte ihren Blick als er sich sachte löste.
„So viel", wieder liefen ihr die Tränen über die Wange, „Ich kann dir nichts erzählen... das würde alles ändern."

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