Kapitel 21

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Frisch geduscht und in einen kuscheligen Pullover gewickelt trat ich aus der Tür heraus. Der Regen, der durch die dicke Wolkenbank auf die Erde prasselte, hatte die Temperaturen rasch erkalten lassen, sodass ich froh war, mich für die kuschelige Variante an Kleidung entschieden zu haben.

Mit gemischten Gefühlen betrat ich den Vorgarten der Nachbarvilla. Die weißen Kieselsteine knirschten unter meinen Chucks und ließen meinen Körper bei jedem weiteren Schritt noch schwerer werden. 

Einige Minuten, bevor ich das Haus verlassen hatte, hatte ich ein aussagekräftiges und überzeugendes Lächeln geprobt, was mir nicht sonderlich gut gelungen war, obwohl ich mir nach dem Fund mit der Tür viel Mühe gegeben hatte, dem entgegenzuwirken. Statt mir eine simple Dusche zu gönnen hatte ich beschlossen, meinem Körper etwas Gutes zu tun und ihm ein entspanntes und langwieriges Bad gegönnt. Spätestens dann, als ich fast ertrunken war, nachdem meine Augenlider langsam aber sicher zugefallen waren, hatte ich mich in einen kuscheligen Bademantel gewickelt, bevor ich mich ins Bett habe fallen gelassen, um meinem Körper den wohlverdienten Schlaf zu gönnen.

Ich war klug genug gewesen, mir einen Wecker zu stellen, damit ich das Abendessen und den anschließenden Kinoabend mit den Nachbarn nicht verpassen würde. Nachdem ich nach dem dritten Klingeln des Weckers wach geworden war und auf mein Smartphone geblickt hatte, erblickte ich sowohl von meinen Großeltern als auch von Suz einen verpassten Anruf auf dem Display. Obwohl die Kopfschmerzen, die heute morgen vom Kater hergerührt hatten, so gut wie verschwunden waren, hatte sich das flaue Gefühl im Magen immer noch nicht verflüchtigt. Zu viel war in den letzten Stunden passiert, als dass ich hätte entspannt wieder erwachen können. Obwohl sich in meinem Körper alles dagegen sträubte, entschloss ich mich, niemanden der beiden Parteien zurückzurufen. Sie hätten sofort gemerkt, dass etwas mit mir ganz und gar nicht stimmte.

Trotz des Schlafes und des Bades vorhin hatte mein Körper nicht viel Chance gehabt, sich zu regenerieren. Immer noch hatten dunkle Augenringe mein Gesicht bedeckt, sodass ich kurzerhand beschlossen hatte, mit Make-up auszuhelfen. Obwohl ich meist sehr sparsam in der Anwendung von Schminke war, hatte ich zum Abendessen zusätzlich zu der obligatorischen Wimperntusche einen dunklen Lidschatten aufgetragen, der meine dunklen Haare noch mehr betonte und meine Haut blasser aussehen ließ. Als ich mit dem Kunstwerk fertig war, konnte ich nicht anders, als mich zu wundern, wer mir da aus dem Spiegel entgegenblickte. Es war nicht die Schminke an sich, die mein Aussehen verändert hatte, wobei sie einiges dazu beitrug. Vielmehr wirkte es, als hätte sich tief in mir selbst etwas geändert, das unwiederbringlich verloren und durch etwas Anderes ersetzt worden war. Um diese Veränderung noch mehr zu betonen, hatte ich meine Haare, die ich zumeist in einem Dutt versteckte, offen gelassen, sodass wilde schwarzblaue Locken mein Haupt zierten.

Der starke Wind, der vom Meer an die Küste getragen wurde, roch nach den ersten Anzeichen eines Sturms. Ich ließ meine Haare vom Wind verstrubbeln und sog den salzigen Duft ein. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen, da dieses Wetter genau den Zustand beschrieb, in dem ich mich gerade befand. Viele bezeichneten ihn als Ruhe vor dem Sturm. Und genau das war es, was meine Nachbarn erwarten würde.

Der Türklopfer fühlte sich ungewohnt leicht in meiner Hand an. Drei Mal ließ ich ihn gegen die Tür schlagen. Ich musste nicht lange warten, bis mir die Tür geöffnet wurde. Eine über das ganze Gesicht strahlende Anna öffnete die schwere Tür.

"Hey Cassie!"

In ihren Augen sah ich, dass sie noch etwas anderes hatte sagen wollen, doch stattdessen glitt ihr Blick von meinem Gesicht hinunter zu meinem Körper und wieder zurück. Mit einem schiefen Lächeln trat ich durch den Spalt zwischen ihr und der Tür hindurch und ließ ihr somit nicht die Zeit, etwas zu erwidern. Auch wenn ich wusste, dass es unhöflich war, ging ich ohne auf Anna zu warten, in das Esszimmer, das mir bereits gut bekannt war. 

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