Es war ein Tag wie jeder andere, doch heute hatte nicht die Sonne Ella geweckt, sondern ihr Bruder, welcher mit seinen großen Füßen vor ihrem Zimmer rauf und runter trampelte. "Oliver van Sueken! Kannst du aufhören vor meinen Zimmer herumzutrampeln?", fauchte Ella in ihren Kopfpolster. Doch wie immer ignorierte ihre Bruder die Bitte seiner lieben, kleinen Schwester. Manchmal könnte sie ihn echt den Hals umdrehen, aber dann auch wieder nicht. Geschwister halt.
"Du solltest schon seit zehn Minuten auf den Beinen sein", sagte ihr Bruder lachend. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Der Ausflug nach Bath stand heute am Tagesplan. "Scheiße", schrie Ella und sprang mit einen Satz aus ihrem Bett. Keuchend und noch immer unausgeschlafen lief Ella zwischen Kasten und Badezimmer hin und her. "Danke für das unangenehme Aufwecken, ich bin schon auf den Beinen", bedankte sich Ella und das Getrampel vor ihrem Zimmer hörte auf.
Zehn Minuten später saß Ella mit einer rießigen Schüssel Müsli am Küchentisch. "Sag mir nicht, dass du so auf diesen Ausflug gehen willst?", fragte ihre Mutter entsetzt. "Was passt jetzt schon wieder nicht?", fragte Ella und war gespannt was ihre Mutter jetzt schon wieder zu bemängeln hatte. "Ich lass es gut sein, denn du nimmst dir nichts zu Herzen. Wenn man es auch gut mit dir meint", sagte ihre Mutter und spazierte wieder aus der Küche. "Ist Papa schon unterwegs!", fragte Ella hektisch und stürzte das Müsli hinunter. "Nein, noch nicht. Aber in zwei Minuten", antwortete Oliver und war schon komplett fertig. Von Kopf bis Fuß. Typisch Oliver! Immer perfekt und nie unstylisch.
Ella zog ihre Schuhe an, aber machte sie nicht ordentlich zu. Mit Jacke und Tasche verteilt auf beide Hände stolperte sie aus dem Haus. "Dich wird es gleich aufpicken und zwar mit der Nase voraus", scherzte Oliver und nahm seiner Schwester die Tasche ab. "Danke. Darauf hoffst du innerlich nur", sagte Ella und boxte ihn nicht zu hart in den Oberarm. Sie wusste bestens, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte. Beim einstiegen haute sich Ella vor lauter Eile gleich einmal den Kopf an und war noch mehr im Stress als vorhin schon.
"Wohin muss ich dich jetzt bringen?", fragte ihr Vater und sah über den Rückspiegel zu Ella. "Beim Supermarkt gleich vor der Schule", sagte Ella und stopfte ihre Jacke in die Tasche. Ihr war es egal, ob ihr Jausenbrot zerquetscht war oder nicht. Hauptsache sie würde es noch essen können. Denn verhungern wollte sie auf keinen Fall. "Viel Spaß in Bath und hör gut zu", wünschte ihr Vater, während sie aus dem Auto sprang und sich wiedermal ihren Kopf anhaute. Irgendwie war sie zu groß für dieses Auto oder einfach zu dumm um so auszusteigen, dass sie nie ihren Kopf anhauen würde.
Bevor sie in den Bus stieg, winkte sie noch kurz ihrem Vater und verschwand schlussendlich in Bus. Suchte nach Kaily und setzte sich zur ihr. Bath war eine der schönsten Städte von England, welche sie bis jetzt gesehen hatte. Nach Bath schaute die Klasse noch kurz bei Stonehenge vorbei. Obwohl es kein kurzer Aufenthalt war, denn einen Vortag von zwei Stunden über solch eine Kreis, erbaut aus Steinen, war leider auch nicht wirklich interessant. Für Ella schon, dich nicht für den Rst der Klasse. Während der Bus mit allen Schülern den Heimweg antrat, schrieb Ella ihren Eltern, das sie in einer Stunde zu holen wäre. Keine Antwort.
Fünfzehn Minuten später auch nicht. Normalerweise schrieb ihr entweder ihre Mutter oder ihr Vater sofort zurück. Ohne so lange zu brauchen. Komisch.
Als der Bus wieder beim Supermarkt in der Nähe der Schule parkte und alle schon von ihren Eltern abgeholt wurde, standen nur mehr Ella und Kaily mit ihrer Mutter am Parkplatz. "So kenne ich deine Eltern nicht. Komm, ich bring dich nach Hause", sagte Kaily's Mutter und klang besorgt. Ella war schon seit einer Stunde besorgt. "Ella?", rief Kaily und winkte Ella zum Auto. "Komme", sagte Ella und lief zum Auto. Wie auch schon in der Früh schlug ihr Kopf wieder gegen den Rahmen der Autotüre. Anscheinend eine Angewohnheit. "Langsam solltest du dich in ein Auto setzten können, ohne das du dir den Kopf irgendwo anstößt", kicherte Kaily. "Anscheinend ist es ein Fluch, welcher auf mir lastet", scherzte Ella mit einem Lächeln. Sobald alle angeschnallt waren, machte sich Kaily's Mutter auf den Weg zu Ella Zuhause.
In der Gasse angekommen, entdeckten sie Einsatzwägen von Rettung und Polizei. Mit Blaulicht. Eine Menschenmenge umringte die Einsatzwägen. Ihre Gesichter mal dunkel von der Nacht, mal Blau von den Einsatzlichter. "Was!?", sagte Ella sobald sie auf der Höhe ihres Zuhauses ankamen. "Ella!", schrie Kaily's Mutter nach, doch stoppen konnte sie Ella nicht mehr. Die Autotür war schon offen, Ella schon befreit vom Sicherheitsgürtel und rannte schon. Tante schon in Richtung ihres Hause. Ihr Zuhause war hellerleuchtet. In jedem Zimmer brannte Licht, was normalerweise nicht üblich war. Überhaupt nicht.
"Fräulein! Hier dürfen sie nicht durch", hielt sie ein Polizist zurück. "Doch. Das ist mein Zuhause. Da ist meine Famildridrinnen lassen sie mich durch, bitte", kreischte Ella so laut sie kannte. Ängstlich und schluchzend. "Sind sie Ella van Sueken?", kam eine Polizist fragend auf sie zu. Jetzt war Ella nicht fähig zu antworten. Ihr Mund war trocken, trocken vor Angst etwas Falsches zu sagen. Ein Kloß steckte in ihrem Hals, der sich nicht lösen wollte. "Guten Abend, ich bin Joanne Dunham, Anwältin und gute Freundin von der Familie van Sueken", stand Kaily's Mutter neben Ella. Kaily legte ihren Arm um Ella und drückte sie an sich.
"Wenn das so ist kommen sie dich bitte gleich mit. Hank, kannst du dich, bitte, um die Mädchen kümmern", rief die Polizistin und Kaily's Mutter begleitete sie. Auf ihren Rücken stand nicht Polizei sondern FBI. Was machte eine amerikanische Spezialeinheit in England? "Folgen sie mir bitte", sagte der Polizist, der Hank hieß und hob die Absperrung hoch. Ella und Kaily schlüpften unten hindurch. Er brachte sie zu einem der Rettungswägen. Ella's Atem war schon unregelmäßig und alleine gehen, wollte sie keines Wegs ausprobieren. Gott sie Dank, hatte sie Kaily.
Nach einigen Minuten beim Krankenwagen, der noch immer sein Blaulicht an hatte, kam Kaily's Mutter wieder zurück. Ihr Gesicht starr und erschrocken, eher entsetzt. Entsetzt über was? Wieso sieht sie so bleich aus? "Kaily, kann ich für einige Minuten alleine mit Ella reden? Bitte", sagte Joanne zu ihrer Tichter. Kaily nickte und drückte Ella's Hand bevor sie die Hand los ließ. Joanne setzte sich zu Ella und wischte sich dabei die Tränen ab. "Was ist los?", kam es zittrig über Ella's Lippen, ängstlich. "Deine Familie... wurde Opfer eines schrecklichen Raubmord", kam es Joanne langsam über die Lippen, denn es war auch nicht einfach für sie. Ella spürte wie die Tränen über ihre Wangen liefen, doch aufhalten wollte sie diese nicht. Sie wollte nichts mehr tun.
"Oliver?", hauchte sie schluchzend über ihre Lippen. Mit dem funken Hoffnung, dass er noch lebt, stieg in ihr wieder Freude auf. Joanne nahm Ella in ihre Arme und konnte sich auch nicht mehr zurückhalten. "Leider nein", sagte auch sie schon schluchzend zu Ella. Im selben Moment als Joanne, dass zu ihr flüsterte, fuhren drei FBI-Forensiker mit den Leichensäcken vor ihrem Auge vorbei. "Kann ich sie sehen?", Ella befreite sich aus der Umarmung und rannte zu den Forensikern. "Ich glaube, es ist besser, wenn du es nicht siehst. Denn diese Räuber waren extremste brutal", sagte die FBI-Agentin und hielte Ella mit ihren starken Armen davon ab. Davon etwas zu sehen was sich sicherlich in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Ella sank zusammen und heulte nur mehr. Zusammengekauert. Am nassen Boden. Die Tränen waren nicht mehr zu stoppen. Sie versiegelten nicht mehr. Außerdem wollte sie auch nicht mehr Leben.
Nicht mehr ohne ihre Familie. Nicht mehr ohne ihren Bruder, Oliver. Nicht mehr ohne ihre Mutter, Antje. Nicht mehr ohne ihren Vater, Kajetan.
Nichts mehr war mehr so wie vorhin, alles war zerstört. Zerstört von gewaltsüchtigen Angsthasen, welche sich die ganze Zeit hinter Maskierungen versteckt hatte. Weil sie sich dadurch besser fühlten. Größer. Stärker. Mächtiger. Oder sogar unbezwingbar.In Ella stieg immer mehr die Wut und die Trauer verließ sie. "Ella? die FBI-Agents wollen mir dir unter vier Augen reden", holte sie Joanne zurück. Zurück zum Tatort, welcher ihr Leben von Grund auf verändert hatte. Ihr etwas genommen hatte, was ihr lieb war. Was jetzt nicht mehr da war. Es war ausgelöscht bis zur Existenz. Ella wusste, dass sie sich zusammreißen musste. Dass sie ihre Wut zurückstecken musste bis die Zeit gekommen war. Bis der Moment da wäre. Ella nickte und stand wieder auf. Joanne brachte sie zu den Agents, welche mit ihr reden wollten.
Die Unterredung mit den Agents dauerte lang. Ewig. Länger als es Ella lieb wäre. Die Fragen löcherten sie noch mehr. Verletzten sie noch mehr. Denn sie konnte keine Antworten daraufgeben. Sie war ratlos. Ahnungslos. Unbeholfen. Alleine. Nicht nur die Fragen machten ihr Sorgen, sondern auch der Plan sie zu schützen. Ein anderes Land, anderes Leben. Aber bis dahin müsste sie von der Bildfläche verschwinden. Abtauchen. Verschollen sein. Verschluckt werden.
DU LIEST GERADE
Traced
RomanceNeue Stadt, neues Leben. Für Ella etwas mit dem sie lernen muss umzugehen. Denn nach einem turbulenten Start ins neue Jahr, nämlich mit der Trennung von ihren Freund, mit dem sie zwei Jahre zusammen war und noch anderen Turbulenzen, wird Ella dazu g...