Prolog

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Keralos sah aus dem Fenster. Auf dem Innenhof der Festung übten 2 Kompanien Speerträger den gestaffelten Kampf, bei dem die Formation sich so positionierte, dass drei Reihen Speere aus einem soliden Schildwall herausragten. Auf der Außenmauer patroullierte die wachhabende Abteilung, während die Atilleristen die Mauergeschütze sorgfältigst inspizierten. Seit nun schon fast 40 Jahren kommandierte er das 4. Regiment des Norderlandes und nun war nach 35 Jahren alleiniger Stellung an vorderster Front der Auszugsbefehl gekommen: Die Festung sollte aufgegeben werden und das ganze Regiment zurück in die Heimat kommen. Unter seiner Führung wurde die Festung stramm geführt und sollte stets kampfbereit sein.

Keralos rieb sich die Schläfen und kniff die Augen zusammen, als ob er versuchen würde, einen störenden Kopfschmerz zu vertreiben. Als er die Augen wieder öffnete, war die Festung noch da. Er drehte sich vom Fenster weg. Seine Kommandantur war elegant aber schlicht eingerichtet. Die Rückwand des Raumes wurde von drei großen Fenstern dominiert, während die Wände von einer dunklen Holzverkleidung geschmückt wurden. Überall hingen Banner, entweder mit befreundeten Regimentern ausgetauscht oder nach siegreichen Schlachten erbeutet. Das größte Banner war das des 4. Regiments: Auf dunkelgrauem Grund prangte ein goldener Adler, der mit seinen Klauen einen roten Wappenschild vor der Brust hielt. Auf dem Wappenschild war eine weiße Kogge abgebildet, welche unter vollen Segeln gen Westen fuhr. Darunter stand in großen Lettern "NORDERLAND". Seufzend ließ Keralos sich in seinen Sessel zurückfallen. Früher hätte er einen solchen Luxus verpönt, hatte andere dafür Weichlinge geschimpft, aber er konnte nicht länger leugnen, dass die Beschwerden des Alters ihn langsam einholten. Sein dunkelblondes Haar nahm langsam die Farbe bleichen Silbers an, seine Haut wurde um die Augen und die Mundwinkel bereits faltig und nach den Waffenübungen ging sein Atem schnaufend. Die Zeit des Frondienstes forderte letzten Endes ihren Tribut. Aber sein Geist war noch klar und an strategischem Können kam ihm niemand hier oben gleich. Er blickte auf seinen Schreibtisch, auf dem noch immer das Schreiben des Kurfürsten lag. Die feine, scharf gestochene Schrift ließ sich auf einen wohl ausgebildeten Schreiberling zurückführen. Der Brief war auf feinem Pergament geschrieben. Eine schweineteure Angelegenheit, welche er vom Kurfürsten gar nicht erwartet hatte. Norderländer hatten einen Sinn für das Pragmatische und normalerweise wurden Anweisungen für das Militär auf grobem Papier geschrieben. Doch dies hier war kein Befehl, den Keralos als "normal" bezeichnen würde. Der Brief war dreifach gesiegelt: Das persönliche Siegel der herrschenden Familie, das Siegel des Amtes des Kurfürsten und das Siegel des Herzogs der Streitmächte des Norderlandes. Dies verlieh dem Brief eine enorme Geltungskraft, welche nicht ignoriert werden konnte. Keralos beugte sich vor, stützte die Ellenbögen auf den Tisch und faltete die Hände unter das Kinn. Mit seinen Augen fixierte er einen Punkt, den nur er sehen konnte. Seit nun schon 300 Jahren markierte Selmburg die nördlichste Grenze des Norderlandes. Es war das erste Bollwerk gegen alle Mächte, die sich erdreisteten, über den Bergpass zu kommen, um die Menschen herauszufordern. Wer würde die Dunkelheit aus dem Norden in Schach halten, wenn sie gingen? Was würde passieren, wenn die Feste in Feindeshand fiel? Am liebsten hätte Keralos den Brief verbrannt und so getan, als hätte er ihn nie erreicht. Vielleicht wäre er damit dem Schicksal entronnen, welches ihn erwartete. Aber Befehl war Befehl und sein Eid band ihn an das Norderland. Selmburg würde aufgegeben werden für Eitelkeit und Stolz geringerer Menschen. Keralos straffte die Schultern und setzte sich auf:"Snorri!", rief er und ein junger Bursche, nicht älter als zwanzig, erschien:"Ja, Herr?" "Ruf meine Offiziere zusammen."

Mit dem nächsten Morgengrauen war das Regiment abmarschbereit. Keralos war voll gerüstet und setzte sich mit seinem Schlachtross an die Spitze des Zuges. Das Gewicht der Rüstung nahm für ihn mit jedem Jahr etwas zu, aber er gab sein bestes, sich nichts anmerken zu lassen. Als er sich umsah, sah er 8000 Männer aller Waffengattungen: Speerknechte, Musketiere, Bogenschützen und sogar eine Abteilung Schwertmeister. Begleitet wurden sie von 2000 Kavalleristen und 4 vollen Atilleriebatterien. Eine kleine Streitmacht, nicht genug, um eine größere befestigte Stadt herausfordern zu können, aber jeder Mann war gestählt von zahllosen Kämpfen und viele hatten Dinge gesehen, die einen normalen Menschen gebrochen hätten. Auch Keralos stand als ihr Kommandant immer an vorderster Front, brannte sich seine Wunden mit heißem Stahl aus und erlaubte sich auf einem Marsch nur einen Bruchteil der Annehmlichkeiten, die sich andere seines Standes gönnten. Nach der Schlacht ruhte er nicht, bis alles erledigt war und häufig gab er seinen Männern den letzten Segen. Dafür zollten sie ihm großen Respekt und noch nie war einer von ihnen desertiert oder im Angesicht des Feindes ins Wanken geraten. Wie immer sahen sie zu ihm auf und hatten vollstes Vertrauen in seine Führung. Die Marschformation sah vor, dass die Kavallerie die Spitze bilden sollte. Dahinter kam der gewaltige Tross an Männern, Frauen und Kindern, die in der Feste als Zivilisten lebten. Zu beiden seiten des Trosses stellte Keralos jeweils 2000 Mann der Infanterie ab. Zum Schluss folgten die verbliebene Infanterie und die Atillerie. Keralos sah gen Westen. Über den Bergen braute sich eine Suppe zusammen, die ihm ganz und gar nicht gefallen wollte, da sie von Regen und Sturm kündete, wie sie in diesem Teil des Reiches keine Seltenheit waren. Das umliegende Land war von großen, sanften Hügeln geprägt, auf deren höchster Erhebung die Selmburg thronte. Die Lage der Festung war hervorragend gewählt. Sie bot eine excellente Übersicht und gleichzeitig leichte Versorgung, da ganz in der Nähe die mächtige Selm floss, die sich im Süden in vielen kleineren Seitenarmen verlor und gen Norden ins Meer mündete. Wer die Selmburg kontrollierte, beherrschte den Norden des Reiches. Doch dieser Herrschaftsanspruch ward stets angefochten, da immer wieder Orkhorden, Söldnerbanden, Piraten und Schlimmeres versuchten, einen Fuß auf dieses Land zu setzen. Doch nun war das alles nicht mehr von Belang. Das 4.Regiment zog ab und mit ihm der einzige Schild der Menschen im Norden. Keralos warf einen letzten Blick auf die nun verlassene Burg zurück, bevor er seine Aufmerksamkeit der Straße vor ihm zuwand . Er hätte lieber den Seeweg auf dem Fluss genommen, aber eine Flotte von genügender Größe anzufordern, hätte bereits zu viel Zeit gekostet. "Vorwärts.", befahl er mit grimmiger Entschlossenheit und unter schallenden Trompeten machte sich das Heer zum Schlag der Trommeln auf, seinem nahen Schicksal zu begegnen.

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⏰ Last updated: Oct 27, 2019 ⏰

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