queenie

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„Arrr“, schrie ich gepeinigt auf, als mein Knochen rücksichtslos splitterte, da das Biest brutal zubiss und mein Arm wie ein trockener Ast unter seinem kräftigen Kiefer brach. 

Der Knochen wurde regelrecht im Maul der Kreatur zermalmt, die Schmerzen waren unglaublich. Ich riss die Augen schmerzgeplagt auf und sah mich Auge in Auge mit dem weiß schimmernden Blick konfrontiert, den alle Opfer zum letzten Mal sahen. Dieses pupillenlose Weiß, das sich einem einbrannte, bevor man endgültig zu ihrem Futter wurde.

Ich erinnerte mich daran, dass ich für meine jungen Jahre schon zu lange alleine war. Mit 12 hatte ich meine Familie verloren. In meinem Kopf hörte ich selbst jetzt noch die verzweifelten Schreie, die aus meinem Elternhaus gedrungen waren, das am Waldrand lag, als die Biester angegriffen hatten. Ich hatte damals in meinem Baumhaus gelesen, als der Horror speziell über uns hereinbrach. Das erste schauderhafte Kreischen meiner Verwandten, das die bisher friedvolle Stille durchbrochen hatte, sollte mich auf ewig als Albtraum verfolgen. Diese Biester waren eine wilde, unvorstellbar hässliche Mischung aus Bär und Wolf. Riesig und kolossal, aber doch auch agil und geschmeidig, mit steinharten Knochen, denen keine Tür und nur die wenigsten Mauern widerstanden, wenn sie sich mit ihren großen Körpern brachial dagegen warfen. Riesige Mäuler mit beängstigenden Reißzähnen verunstalteten ihre fratzenhaften Gesichter und diese entsetzlichen Augen verbreiteten Angst und Schrecken. Woher sie kamen? Wer wusste das schon? Aus irgendeinem Labor, oder einem Loch, auf einmal waren sie da gewesen und ab diesem Zeitpunkt hatte sich alles verändert. Wer schuld daran war, oder ob überhaupt jemand die Schuld daran trug, war auch schon gleich, denn es war passiert und veränderte nun seit mehr als fünf Jahren die ganze Welt.

Noch immer starrte ich in diese unwirklichen, mitleidlosen Augen, die mich daran erinnerten, wie diese farblosen Lichter damals, bei dem Überfall auf meine Familie, aus der Finsternis aufgeleuchtet hatten. Zu jener Zeit hatte ich mich brav an die Vorgaben meines Vaters gehalten, der mir Zeit meines bisherigen Lebens eingebläut hatte, niemals so dumm zu sein und zu denken, ich wäre die Rettung. Also war ich nicht heruntergestiegen, ich war nicht zu ihnen ins Haus gegangen. Ich hatte mir nur schreckstarr und reglos ihre Todesschreie angehört, bis sich eine lastende Stille über alles gelegt hatte. Aber das war leider nicht mein einziges Erlebnis mit den Monstern, denn drei Jahre später war der Gräuel erneut unbarmherzig über mich gekommen. Damals war ich schlagartig erwacht. Wieder griffen sie unerwartet an und Sekunden später herrschte heilloses Chaos.

Ich selbst war geistesgegenwärtig in mein Versteck in der Wand geflüchtet, während die Kakophonie des Grauens aus den unteren Etagen zu mir gedrungen war. Ich erinnerte mich an den Schweiß, der mir in Strömen hinab gelaufen war, aber auch an das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, das mich zeitweise vollständig taub gemacht und gesegnete Stille über mich gelegt hatte, während die Panik mir die Lungen zu bersten drohte. Dann war das Holz hinter mir mit einem endgültigen Klicken eingerastet, um mich wie in einem Sarg in völliger Finsternis einzusperren. Seinerzeit war ein kleiner Junge in mein Zimmer gekommen, um Schutz bei mir zu suchen. Ich hörte Colins Stimme, die verzweifelt nach mir rief, aber ich hatte nichts tun können, nichts tun dürfen. Ich war still geblieben und hatte mir auf meine Zunge gebissen, um jeden Ton, der über meine Lippen dringen wollte, zu unterbinden, als er starb.

Mein berstender Knochen, der schrecklich laut knackte und knirschte, riss mich grausam in die Gegenwart zurück und ich roch den schalen Atem des Monsters, während ich krampfhaft versuchte, nicht ohnmächtig zu werden. Bisher hatten alle anderen den Tod gefunden, nur ich lebte noch, war immer wieder als einzige verblieben, aber heute war ich kein hilfloses kleines Mädchen mehr, da auch ich in der Akademie gelandet war, wo es alle hintrieb, die das zweifelhafte Glück hatten, die Angriffe zu überleben.

Wir wurden ausgebildet und so war ich eine Kriegerin geworden, die diese Monster bekämpfte, oder doch nur schlicht das nächste Futter für sie war. Denn soeben kreischte auch ich nur noch wehrlos unter dem mitleidlosen Biss des Biestes. Ich machte Lärm, denn sowohl bei meinen Eltern als auch in meiner Pflegefamilie bedeutete die vollkommene Stille nach dem Massaker, dass alle tot waren und ich hatte Panik vor der Stille des Todes. Gerade aber hallten meine spitzen Schreie von den Wänden wider, meine andere Hand schlitterte panisch über den dreckigen Boden, bis ich einen dünnen Stift zu fassen bekam und blindwütig zustach. Zu meinem Erstaunen traf ich ein Ziel, der Gegenstand bohrte sich in einer geschmeidigen Bewegung ins unheimliche Auge. Das Ungeheuer jaulte animalisch, während ich den Stift weiter rücksichtslos in sein weiches Sinnesorgan rammte. Das schmatzende Geräusch, welches erklang als ich die Pupille durchstieß, würde ich niemals mehr vergessen. Brüllend ließ das Biest meinen Arm los und zuckte mit seinem mächtigen Kopf zurück. Es sah grotesk aus, wie es seinen Kopf in den Nacken warf und der Stift aus seinem Auge ragte. Als es sich wieder auf mich stürzten wollte, schloss ich innerlich mit meinem Leben ab, doch urplötzlich zischte eine silbrige Klinge, erhellt vom fahlen Licht des Mondes, vollkommen lautlos durch die Dunkelheit und zerschnitt der Kreatur die Kehle. Die Attacke erfolgte völlig leise und still. Ich hatte sie gar nicht bemerkt, genauso wenig wie das Monster, das nun mit einem lauten Stöhnen nach vorne sackte. Das heiße Blut sprudelte nur so aus ihm heraus und besudelte mich.

„Was?“, fragte ich, benebelt durch die Qualen meines zerstörten Arms, in die Finsternis. Sofort schnappte ich nach Luft, denn eine dunkel verpackte Hand lag unverhofft auf meinem Mund und erstickte jeden Protest im Keim. Mein Funkgerät rauschte, aber ich stöhnte nur, da ich soeben mehr als schmerzhaft meinen pochenden Arm fühlte, an dem mein warmes Blut hinab lief.

„Pst!“, kam es von meinem Retter, bevor er rücksichtslos den Stöpsel aus meinem Ohr zog und ihn unter meinen schreckensstarren Blicken mit seinem Schuh zertrat. Währenddessen ließ er nie von meinem Mund ab. Ich blinzelte und wollte hektisch nach Luft schnappen, presste meine andere Hand an meine verletzte Schulter und wimmerte. Als er sich vorbeugte, sah ich sein markantes Gesicht zum ersten Mal im Mondschein, der durch das zertrümmerte Fenster fiel, doch er näherte sich mir immer weiter, bis sein Mund fast mein Ohr berührte. 

„Sei still!“, befahl er unbarmherzig, jedoch leise. „Kein Ton!“, forderte er ernst, bevor ich unter seinem sengenden Blick sachte nickte. Ich hielt mich an mein stummes Versprechen, im Gegenzug begann er, meine Beintaschen zu durchwühlen, bis er die Erste Hilfe Gegenstände fand. Er verarztete mich soweit, dass ich nicht verbluten würde. Jedes Mal, wenn mir ein Ton über die Lippen schlüpfen wollte, traf mich ein strafender Blick von ihm und ich blieb still. Durch den Schleier meiner Verletzung nahm ich wahr, wie sich der Kampflärm entfernte und damit auch eine gewisse Anspannung von meinem Retter abfiel. In einem solchen Moment wie eben fürchtete ich, den Verstand zu verlieren, denn die Stille und die absolute Tonlosigkeit spendeten keinen Trost, sondern brachten einem nur die permanente Angst, dass man absolut alleine war.

„Warum?“, setzte ich wispernd an, bekam allerdings gar nichts mehr mit, da ich das Bewusstsein verlor. Später blinzelte ich im matten Schein der Sonne und machte als erstes das tote Ungetüm aus, das vor mir lag.

„Ah“, rief ich schmerzhaft aus.

„Hast du es immer noch nicht begriffen?“, sprach eine heisere, sehr leise Stimme vom Fenster. Sofort fuhr mein Kopf herum, ich schirmte meine Augen gegen die Sonne ab, er war nur ein schwarzer Fleck, der sich im Licht abzeichnete.

„Uh“, kam es reichlich intelligent von mir, doch meine Schulter pochte so heftig, dass ich fast nur Sternchen wahrnehmen konnte.

„Pst“, flüsterte er so leise, dass ich meine Ohren spitzen musste, bevor er sich abwandte, um zu gehen und mich alleine zurückzulassen.

„Halt, wie heißt du? Wer bist du?“, forderte ich nun lauter, stemmte mich an der Wand unter großen Qualen hoch.

„Sollten Namen nicht Schall und Rauch sein?“, fragte er durchdringend. Nein, das konnte nicht sein Ernst sein, mein Helfer wollte sich einfach so davonstehlen, das erschien mir nicht richtig.

„Ich bin Emma“, wisperte ich eilig und ungefragt.

„Ah.“ Erst im Türrahmen warf er mir einen langen Blick über die Schulter zu und ich mochte nicht wissen, was für ein erbärmliches Bild ich abgab, aber plötzlich antwortete er mir, mit nur einem Wort: „Jared“

Diese Begegnung lag nun schon Monate zurück, aber ich dachte immer wieder daran.

„Hey, was geht in deinem Köpfchen vor?“, fragte Jamie gutgelaunt, während wir in unseren dunklen Uniformen durch die nur von den Straßenlampen beleuchteten Viertel patrouillierten. Seit meiner Heilung war einige Zeit vergangen. Die Ärzte hatten mich geflickt und meinen Armknochen mit Titan veredelt. Diese Zeit hatte ich zum Nachdenken genutzt. Ich fragte mich beständig, was bei unserem Vorgehen gegen die Viecher falsch lief.

„Amys Verlust liegt mir quer im Magen“, bekannte ich traurig, als mir Rhys seine mächtige Hand tröstend auf die Schulter legte.

„Du weißt, das kann passieren, es kann jeden erwischen.“
„Das sagst du so leicht, ich finde, wir fallen wie die Fliegen“, wandte ich widerwillig ein.

„Ist schon scheiße, aber ehrlich, wenn ich im Tod wieder bei meiner Familie lande, geht es in Ordnung“, warf Jamie brüsk dazwischen und ich blickte die beiden Jungs traurig an. Jamie und Rhys, beide Überlebende eines Angriffs, so wie ich, bildeten mit mir und Sophie ein Team, das sich schon erstaunlich lange, relativ gut schlug. Was bedeutete, dass wir noch lebten! Allesamt hatten wir unsere Angehörigen verloren und sahen nur noch einen Zweck in unserem Leben, diese Seuche mit brutaler Gewalt auszurotten.

Abrupt stoppte ich, denn in einem der Hauseingänge sah ich ihn! Im Schein des flackernden Feuers einer Tonne erkannte ich das halblange, braune Haar und seine stechend blauen Augen wieder. Jared! Er blickte mir genau ins Antlitz, auch bei ihm war sofort Erkennen auszumachen, doch er drehte auf dem Absatz um und verschwand mit wehendem Mantel. Wie von selbst legte ich an Geschwindigkeit zu und eilte ihm hinterher.

„Emma, warte!“, rief Rhys.

„Sorry, Leute!“, schrie ich zurück und lief unbeirrt weiter.

„Wohin gehst du? Achtung, da geht’s zur ungesicherten Zone! Fuck, wo ist Sophie?“, rief Jamie wütend, bevor sie mir hinterher eilten und Sophie, wie ich über Funk hörte, zu sich beorderten. Ich schlitterte Jared hinterher, der eindeutig mehr wusste, als er zugab.

„Jared!“, schrie ich ihm aus vollem Hals nach, nur um Sekunden später meine Waffe hochzureißen, da ich mich mehreren Bestien gegenübersah. Kein Zögern stoppte mich und ich feuerte den ersten Schuss ab. Ich war mehr als erleichtert, als meine Verstärkung in Form von Jamie und Rhys eintraf und sich ebenfalls in den Kampf warf. Der Krach und Lärm der abgefeuerten Patronen war unglaublich betäubend. Wir verfeuerten unsere Kugeln schonungslos und diese schlugen auch in die Wesen ein. Sie verletzten sie, aber gleichzeitig schien es sie nur noch wilder, ungebärdiger und tobender werden zu lassen. Diese Kreaturen waren extrem schnell, sodass sie die wenigsten Geschosse tödlich trafen. Da nahm ich eine Bewegung in meinen Augenwinkeln wahr, zu einer Gasse hin. Einem Impuls folgend verließ ich meine Deckung und kämpfte mich vorwärts. In der Gasse selbst war es vollkommen still, vorsichtig schlich ich durch die Verwüstung und den Unrat um mich herum, bis ich innehielt, denn dort stand eine dieser Bestien und leckte sich mit großer, wulstiger Zunge über seine Wunden.

„Da bist du ja!“ Sophie stolperte atemlos auf mich zu und in der Sekunde schossen die weißschillernden Augen der Bestie zu uns herum. Wir wankten keine Sekunde, richteten unsere gezückten Waffen auf das Biest und drückten ab. Meine erste Kugel traf noch seinen mächtigen Brustkorb, meine zweite streifte nur noch seinen Schädel und mein drittes, in einer schnellen Salve abgefeuertes Projektil sauste an ihm vorbei und schlug ins Mauerwerk ein, da es sich rasant auf mich zubewegte, schneller als erwartet. Mit einem großen Hechtsprung brachte ich mich in letzter Sekunde in Sicherheit, landete hart auf der anderen Seite des Bodens und fuhr hektisch herum, denn Sophie hatte nicht so viel Glück. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie die Kreatur über ihr war und sie wie eine Puppe an die Wand flog, als sie der Prankenschlag traf. Ich schrie auf und in derselben Sekunde legte sich von hinten eine Hand auf meinen Mund, die mir zwar den Atem raubte, mir aber auch zu bekannt war, Jared!

Ich musste hilflos zusehen, wie Sophie von dem weitaufgerissenen, breiten Maul der Bestie zerfetzt wurde, ich wollte nur noch kreischen und schießen, aber Jared hielt mich eisern davon ab, mich zu bewegen, oder auch nur einen Ton von mir zu geben. Da näherten sich noch zwei weitere Bestien dem Gemetzel und bescherten mir eine Gänsehaut. Doch Jared in meinem Rücken blieb ganz ruhig, atmete betont gleichmäßig, selbst sein Herzschlag schien nicht schneller zu gehen. Es war grotesk, aber all das nahm ich überdeutlich wahr. Soeben fuhr der Kopf eines der Biester zu uns herum und ich versteifte mich, als ich aus einem Impuls heraus Jared zu imitieren begann und in eine regelrechte Meditation abdriftete. Selbst, als sich das Wesen uns neugierig näherte, rührten wir uns nicht, dessen stinkender Atem hätte mich würgen lassen, wenn ich es gewagt hätte, aber so verklangen die letzten Töne der sterbenden Sophie und rissen damit die Aufmerksamkeit des schauerlichen Wesens von uns weg. Alle drei verließen die Gasse, ließen uns zurück und schlichen dem Patronenlärm entgegen.

„Warum?“, stieß ich anklagend aus, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte.

„Du musst still sein!“, flüsterte Jared so leise, dass ich mich arg konzentrieren musste.

„Was willst du mir damit sagen?“, flüsterte ich, wie gewünscht, extrem leise zurück.

„Die Stille ist die Waffe!“

„Aha und wie kommst du auf den Unsinn? Warum sollte das noch niemand rausgefunden haben?“, begehrte ich über Sophies Leiche hinweg auf und leckte mir über die trockenen, rissigen Lippen.

„Das ist eine gute Frage, oder?“,  meinte Jared lapidar und wandte sich ab.

Dieses Erlebnis brannte sich mir ein, es machte mich misstrauisch und ich überlegte, denn Jared hatte recht, ich hatte jedes Mal nur überlebt, weil ich leise war! Ich brachte Rhys und Jamie meine Erkenntnis nahe.

„Die Waffen bringen nichts, sie sind zu laut.“

„Du meinst, wir haben Sophie verloren, weil wir zu blöd sind, zu erkennen, wie man diese Monster wirklich töten kann?“, erklang die ungläubige Frage.

„So schlimm es klingt, aber ja, das denke ich! Die Akademie bringt es uns nicht richtig bei!“

„Aber dieser Jared schon?“, zweifelte Jamie offen und seine kinnlangen Haare umwehten sein Haupt.

„Ja, sonst wäre ich schon lange nicht mehr da!“, ätzte ich. Sophies Verlust ging uns allen nahe, aber mir war ihr Todeskampf stets gegenwärtig.

„Mal ganz ruhig, was hast du nun vor, Emma?“, wollte der stets schlichtende Rhys interessiert von mir erfahren.

„Ganz ehrlich? Ich denke, wir müssen anders kämpfen und lernen, wie man diese Biester effektiv tötet!“

„Und wie?“, wandte Jamie widerwillig ein.

„Nicht hier“, stellte ich fest.

„Das dachte ich mir fast!“, kam es gutmütig von Rhys, der aufstand und zu seinem Spind stapfte.

„Was hast du vor?“, fragte Jamie perplex.

„Packen!“, kam es bestimmt von Rhys.

„Um was zu tun?“, wollte Jamie verdrießlich erfahren, als auch ich aufstand und antwortete:

„Jared suchen!“

Damit wurden wir geboren, die „stillen Krieger“, denn nicht nur in der Ruhe lag die Kraft, auch die Stille versprach Hoffnung und nichts als Stille sollte unsere Rettung sein!

Stille KriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt