Wahre Worte

809 39 5
                                    

Ich war erstaunt über die Offenheit, die mir meine Mutter entgegenbrachte. Selten führten wir solche Gespräche. Und schon gar nicht redete sie so über meinen Vater. Ich wusste zwar immer, dass sie glücklich verheiratet waren. Aber dass es die große Liebe für beide war, wusste ich nicht. Ich machte mir auch ehrlich gesagt nie darüber Gedanken. Aber im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich mich wirklich nicht erinnern konnte, meine Eltern jemals streiten gesehen zu haben. Im Gegenteil. Sie wirkten immer sehr harmonisch und wertschätzend gegenüber. Das war wirklich keine Selbstverständlichkeit, sah man sich nur mal in anderen Familien um. Lillis Eltern beispielsweise, waren bis aufs tiefste zerstritten und schlugen sich gegenseitig vor Gericht die Köpfe ein. Tat man so etwas wirklich bei einem Menschen, den man doch eigentlich mal liebte?

„Aber wie erkenn ich denn, dass es Liebe ist?"

Meine Mutter lächelte und richtete den Blick geradeaus ins Leere.

„Oh das wirst du merken Chrisi. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Es ist dieses gewisse Bauchkribbeln, das man ständig hat. Dieses Herzrasen, dieses Heulen vor unfassbarer Freude und die stetige Angst, diesen einen besonderen Menschen zu verlieren. Man kann das Glück nur schwer festhalten. Und es gehört Disziplin, Ausdauer und Mut dazu. Man muss sich im Leben entscheiden, wofür man bereit ist zu kämpfen."

Die Worte schallten nur so in meinem Kopf. Sie brachten mich zum Nachdenken. War Sam es Wert zu kämpfen und die ganzen Strapazen und Risiken aufzunehmen? Oder würde es mir mit ihm genauso ergehen, wie meiner Mutter mit Til? Wie sollte ich denn erkennen, was er für mich empfand? Ich wusste doch nicht einmal, was ich für ihn empfand.

Meine Mutter stand auf und schob den Stuhl zurück an den Tisch. Sie strich mir behutsam über den Kopf, dann drehte sie sich um und verließ den Raum. Ich hielt die Scherbe in der Hand und betrachtete sie, als wäre es das Interessanteste auf der ganzen Welt. Sie war dunkelblau mit kleinen weißen federartigen Verzierungen. Das Innenleben bestand aus hellem Ton. Wahrscheinlich irgendeine Massenproduktion, nichts Besonderes. Vielleicht wie Sam? Einer von vielen? Oder doch der Eine aus dem riesigen Meer an Menschen? Ich wusste es nicht und mir konnte auch niemand darauf eine Antwort geben. Ich müsste es schon selber herausfinden. Aber wie, wenn ich ihn gar nicht mehr zu Gesicht bekommen würde? Mein Blick wanderte zur Küchenuhr. Noch vier Stunden bis Mitternacht. Und die Zeit verging wie in Trance.

Der Teufel lebt weiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt