Kapitel 22

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Es war seltsam auf ihn zu treffen. Immer. Und dieses Gefühl hörte auch nicht auf, nur weil sie sich ignorierten und auf Hallo und Tschüss beschränkten. Doch momentan hatte Astoria kaum Zeit darüber nachzudenken. Sie war überarbeitet. Praktisch lebte sie schon in der Arbeit und bei den Kollegen sah es nicht anders aus. Nicht nur hier in Frankreich. Urlaub. Sie brauchte Urlaub und zwar dringend. Das einzige gute war, dass sie kaum dazu kam über ihre eigenen Gedanken oder Gefühle nachzudenken wegen der vielen Arbeit. Also vielleicht doch gut, dass die Hölle in ihrer Arbeit los war. Sie strich sich über ihr weinrotes Etuikleid, als sie aus dem Wagen ausstieg und den Bürokomplex betrat. Vielleicht würde sie heute früher Schluss machen und sie wollte unbedingt mit ihrem Vater noch telefonieren. Das war diese Woche verdammt kurz gekommen. Leider. Sie blickte auf und zögerte, als sie Lucius und Draco erkannte. Sie hatten nicht mehr gesprochen seitdem sie ihn erneut abgewiesen hatte. „Morgen." murmelte sie und beide Männer grüßten gleichzeitig. Sie musste das einfach nur überstehen und fertig. Irgendwann würde wieder Normalität eintreten in ihr Leben und zwar in allen Bereichen. Da war sie sich sicher.

Die Türen schlossen sich, als ihr verdammtes Handy klingelte und sie die Nummer ihrer Assistentin erkannte, die ihr langsam auf die Nerven ging. „Ich bin bereits im Haus. Es ist nicht nötig andauernd anzurufen. Ich bin nicht Joe der ständig verschläft." schimpfte sie sofort los. Sie hatte momentan wirklich keine Geduld dafür. Doch sie rief nicht an, um zu fragen wo Astoria blieb. „Was?" entfuhr es Astoria spitz, bevor sie auflegte und sofort eine bekannte Nummer tippte. „Was ist los?" meldete sich einer ihrer Kollegen am anderen Ende der Leitung. „New York ist raus." ließ sie die Bombe platzen, die gerade ihre Assistentin ihr praktisch zugeworfen hatte. Sie hörte etwas krachen im Hintergrund und die Stimme ihres Kollegen überschlug sich. „Was soll das heißen? Wie kann... was?" „Ruf sofort Cooper an. Hast du gehört?" Sie legte auf und wartete nicht auf ein okay, sondern wählte die nächste Nummer. „Scheiße." schimpfte sie, als die Nummer belegt war und wandte sich in der Kabine um. Sie drückte den Notfallknopf und der Aufzug blieb stehen. „Was tust du da?" fragte Draco sofort aufgebracht und sie sah ihn nicht an. „Tut mir leid. Ich muss runter."

Sie schaltete den Aufzug wieder ein und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Sie wählte die Nummer erneut, als der Aufzug nach unten fuhr und senkte die Hand, als die Türen sich öffneten und Mike davor stand. Den Arbeitskollegen den sie gerade anrufen wollte. Der Kollege der angeblich mit ihr ein heißes Stelldichein hatte. Sie kannte die Gerüchte. Er wirkte abgehetzt, trotz sitzenden Anzuges und ordentlichen dunkelblonden gekämmten Haaren. Er senkte selbst sein Handy und seine Haselnussbraunen Augen wirkten entschlossen. „Ich versuch dich anzurufen." begrüßte er sie und sie trat nach draußen. „Ist es wahr?" „New York ist weg und du weißt was das heißt." sagte er und sie ging Richtung Lobby. „Es kann nicht stimmen." sagte sie entschlossen. Weil sie es nicht wahrhaben wollte. Es durfte nicht sein. „Der Verlag trägt doch die Mehrheit." Es musste einfach so sein. „Wir... wir rufen Eric an und Sarah. Sie muss es wissen und ...." Mike hielt sie auf und drückte seine Hände auf ihre Schultern. „Es ist vorbei." Sie atmete schwer. „Du verstehst nicht, was das heißt." erklärte Mike. „New York ist nicht einfach draußen. Der Verlag hat seine Anteile verkauft. Sie haben einen guten Preis bekommen." Schwachsinn. Schwachsinn. Schwachsinn. Zur Hölle nochmal.

„Du willst mir doch nicht sagen, dass diesem... verdammten sexistischen Idioten jetzt der Verlag gehört?!" schimpfte sie. Denn es durfte einfach nicht wahr sein. Er atmete schwer aus „Ich fürchte es ist so." „Der Kerl hat keine Ahnung davon was wichtig für eine Zeitschrift ist. Was die Leute lesen wollen." Es wäre das gleiche, als würde sie Leuten zu Hochzeiten raten. Zum Teufel mit ihm. „Dafür gibt es Mitarbeiter." ertönte eine bekannte Stimme und sie beide wandten sich um. „Die Nachrichtenkette funktioniert also auch in Frankreich tadellos, wie ich sehe." sprach James Townsend amüsiert und knöpfte sich sein Sakko zu. Er blieb dicht vor ihnen stehen und schien Mike zu ignorieren. „Guten Morgen Astoria." Sie kniff ihre Lippen fest zusammen. Nein. Nein sie würde nicht mit ihm arbeiten. Pah geschweige für ihn. Nicht nachdem was er ihr angeboten hatte. Niemals. Sie wollte Erfolg, aber nicht dafür. Sie wandte sich um und stieg in den Aufzug, mit dem sie wieder runtergekommen war. Der Aufzug der immer noch da war, weil Draco in der Tür stand. Er trat zur Seite und sie drückte den Knopf, während sie die Hände ballte.

Das Handy klingelte und sie hob ab, als sie Sarahs Nummer erkannte. „Ich weiß es schon." erklärte sie so ruhig wie möglich und Sarah wirkte aufgelöst. „Die entlassen hunderte von Leuten. Wir hatten gerade ein Sondermeeting mit einem verdammten zwanzig Punkteplan, dieser Wixer. Sein Anwalt ist hier." „Schön. Der Wixer selbst ist hier bei mir." Sarahs Stimme zitterte „Was machen wir jetzt?" Astorias Kiefer spannte sich an und sie legte ihren Kopf kurz in den Nacken. „Gib mir eine Stunde. Dann ruf ich dich an." Sie legte erneut auf und als sich die Türen zu ihrer eigentlichen Arbeitsstelle öffneten, hatte sie bereits einen Entschluss gefasst. Vielleicht schon, als sie James unten gesehen hatte. Im Büro herrschte Untergangsstimmung und sie ignorierte es. Sie ging gelassen in ihr Büro, orderte eine Pappkiste von der Anmeldung und begann ihr Zeug zusammenzupacken. Sie war fast fertig, als Mike auftauchte. „Arschloch." schimpfte er und schmiss Astorias Bürotür zu. „Die haben Cooper entlassen und sie hat nichts dagegen getan wegen ihrer dicken Abfindung. Wie kann sie uns so in den Rücken fallen?"

Mike hielt inne, als er sah, dass Astoria packte „Was... was tust du da?" „Ich pack mein Zeug." Mike trat auf sie zu. „Was soll das heißen?" Astoria blickte ruhig auf „Ich kündige. Das soll es heißen." „Du kannst nicht..." fing ihr Kollege an und ihre Augen blitzten gefährlich auf. „Ich werde gehen. Ich werde für diesen Kerl nicht arbeiten. Auf gar keinen Fall." „Und was willst du ansonsten tun?" So genau wusste sie das auch nicht. „Keine Ahnung. Mir fällt schon was ein. Ich bin jung, hochmotiviert und eine der Besten." Sie würde schnell einen Job bekommen, da war sie sich sicher. „Du lässt uns also alleine?" „Ich lasse nicht uns alleine. Das ist gelaufen. Du verstehst nicht wie der Kerl tickt. Der wird versuchen den Laden zu rationalisieren, die Einnahmen noch zu erhöhen und im Anschluss das Unternehmen zerschlagen oder gewinnbringend im ganzen Verkaufen. So wird das ablaufen und ich werde dabei nicht mitmachen."

Sie nahm die Kiste unter den Arm und verließ ihr Büro. Mike folgte ihr hastig. „Das ist dein ernst?" „Ja." sagte sie knapp und Mike trat vor sie, weswegen sie stehen blieb „Überleg dir das in Ruhe, Astoria." Sie lächelte gelassen „Ich muss das nicht überlegen. Keine Minute." Mike wollte den Mund aufmachen, doch Astoria war schneller. „Komm mit. Du brauchst das hier nicht. Such dir was anderes." Mike schüttelte den Kopf. „Nein das kann ich nicht. Ich kann nicht einfach gehen solange ich nichts Neues habe. Die Unsicherheit bis dahin würde mich umbringen." Astoria lächelte weiterhin und Mike atmete schwer aus „Und ich kann dich nicht überreden noch ein paar Wochen zu bleiben?" „Nein. Keine Minute. Aber wir bleiben in Kontakt." Er wirkte nicht glücklich, doch das konnte Astoria jetzt auch nicht ändern. Ihre Augen verengten sich, als James mit einigen Kollegen offenbar schon sprach. Sie ging an ihnen vorbei und rief den Aufzug, als sie das Büro verließ.

Sie trat ein als der Aufzug da war und gerade als die Türen sich schlossen, wurden sie davon abgehalten. „Was soll das werden?" fragte James und Astoria lächelte gelassen weiter. „Ich gehe. Das soll es werden. Man nennet es wohl auch kündigen." „Du kannst nicht einfach kündigen." erwiderte James ruhig und Astorias Grinsen wurde breiter „Ich hatte einen Vertrag mit dem vorherigen Verleger und dem gehört die Firma nicht mehr. Also ist mein Vertrag nichtig und somit arbeite ich hier nicht. Ich weiß du hörst das nicht immer gerne James. Aber ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich bin keines deiner dummen Anhängsel. Ich hab sogar einen Uni-Abschluss, falls du das Vergessen hast." Er drückte die Türen erneut auf, als sie sich schließen wollten. „Du brauchst ein Zeugnis. Du brauchst mich. Du weißt das. Ich kann dir ganz schnell jeden Weg versperren, was deine beruflichen Aussichten betrifft." Ihre Augen verengten sich gefährlich „Drohst du mir gerade?"

„Ich erinnere dich nur an etwas." erklärte er und sie presste ihre Lippen zusammen. „Du brauchst mich." „Einen Scheiß brauch ich." schimpfte sie los und er schien überrascht davon. „Du denkst ich brauche dich für meinen Erfolg? Das glaubst du wirklich? Ich wurde hier angestellt ohne irgendeine Hilfe von irgendjemandem. Sondern weil ich gut bin. Ich hab mich hochgearbeitet und Kontakte geknüpft, weil ich mein Handwerk verstehe. Ich brauche niemanden um Erfolg zu haben und schon erst recht nicht dich." Er schmunzelte „Wie du meinst. Falls du dich anders entscheidest, weißt du wo du mich findest." „Du kannst mich mal." antwortete sie und der Aufzug begann sich in Bewegung zu setzen. Sie kochte innerlich. Sie musste nachhause und brauchte dringend ein Glas Wein. Besser eine Flasche oder zwei. Definitiv Alkohol.

Zwei Gläser Wein und eine Stunde telefonieren mit Sarah hatte sie ruhiger und nun leicht depressiv werden lassen. „Was hast du jetzt vor?" fragte Sarah nach einer Weile und Astoria atmete schwer aus. „Keine Ahnung. Mich irgendwo vorstellen hier in Frankreich? Vielleicht gehe ich wieder nach England. Oder hast du eine Idee in New York?" „Nein leider. Ich hab mich selbst schon umgehört." erwiderte Sarah und seufzte schwer „Gut mein Job ist für zwei Jahre sicher. Aber was ist dann? Das ist doch wirklich krank." Astoria seufzte und nippte erneut an ihrem Glas, während sie auf der Terrasse saß. „Ich hab gehört Yaona sucht noch Leute." „Ernsthaft Tori? China? Du willst nach China?" Die Welt war groß und hatte viele schöne Plätze. „Wieso nicht?" Sarah seufzte schwer und meinte dann „Es gibt kein gutes Magazin das mich interessiert. Zumindest nicht so wie Cassandra." „Cassandra ist Geschichte." murrte Astoria und leerte ihr Glas in einem Zug.

Sie schwiegen eine Weile und Astoria besaß ihre fast leere Weinflasche. „Ich denke ich werde ein paar Tage nach England fliegen. Ausspannen. Urlaub und so." Sarah brummte kurz. „Ja ich bin auch am Überlegen ob ich Urlaub nehmen soll. Denkst du das ist eine gute Idee? Oder ärgere ich meinen Chef damit?" „Scheiß drauf, in zwei Jahren wirst du doch ohnehin ausgestellt." „Wie nett." Sie grinste schräg. Total Nett. „Ernsthaft Astoria, was machen wir?" So genau wusste sie das nicht. „Man müsste selbst etwas gründen." murmelte Astoria mehr zu ich selbst und Sarah lachte auf „Klar. Du gründest einfach ein eigenes Magazin und wenn du Zeit hast, stellst du mich bitte ein, ja." Astoria setzte sich gerader hin und als sie nichts sagte, fragte Sarah besorgt „Tori? Bist du noch dran? Hallo?" „Ich... ich ruf dich später zurück. Ich hab gerade... ich hab eine Idee." „Eine Idee? Was für eine Idee?" wollte Sarah wissen und Astoria stand auf und fiel dabei fast über ihre eigenen Füße. „Ich erzähl es dir später. Ich muss... ich muss ein paar Leute anrufen." Und zwar ganz, ganz dringend. Sie stolperte fast wieder. Vielleicht erst kalt duschen, um wach zu werden.


Sie will nicht liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt