So schnell, wie meine Mutter den Raum verließ, konnte man fast meinen, sie flüchtete vor etwas. Oder jemandem. Auch meinem Vater war das fluchtartige Verschwinden seiner Frau aufgefallen, weshalb er Dr. Breit noch einmal entschuldigend zu lächelte, bevor er ebenfalls den Raum verließ. Dann war ich auf mich allein gestellt.
Mein Hals war staubtrocken und bei der Vorstellung gleich etwas sagen zu müssen versteifte sich mein ganzer Körper. Bis jetzt hatte ich nicht ein Wort gesagt seitdem wir die Klinik betreten hatten. Bis jetzt hatten meine Eltern alles bezüglich meiner Krankheit beantwortet. Ich wusste auch gar nicht, was ich dazu sagen sollte.
Dr. Breit stand auf und ging einmal quer durch den Raum zu einer Kaffee-Maschine, unter welche er eine Tasse schob: „Möchtest du etwas trinken, Olivia? Einen Tee oder ein Wasser?", dabei sah er mich freundlich an. Zwar wirkte dieser mir fremde Mann sehr sympathisch, doch trotzdem könnte er dafür verantwortlich sein, mir meine Kontrolle zu nehmen. Mir meinen Lebensinhalt zu rauben. Deswegen fiel ich nicht auf die positive Ausstrahlung rein.
Stumm schüttelte ich mit dem Kopf und blickte dabei auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen. Nur das Geräusch der Kaffee-Maschine erfüllte noch den Raum und wäre das nicht gewesen, hätte man mit Sicherheit meinen Herzschlag hören können, so schnell wie mein Herz gerade pochte.
Schließlich stellte Dr. Breit seine dampfende Kaffee-Tasse ab und ließ sich wieder in seinem Stuhl nieder. „Ich hoffe, es ist kein Problem für dich, dass ich deine Eltern quasi raus geworfen habe." Doch, ist es... „Allerdings spreche ich immer erstmal gerne alleine mit den Patienten, einfach, um mir einen besseren Eindruck verschaffen zu können.", er trank einen Schluck und schlug dann eine dünne Mappe auf, auf welcher sich erschreckenderweise schon mein Name befand. Scheinbar hatte er schon eine Akte für mich angelegt. Die konnten es wohl alle nicht erwarten, mich einzuweisen...
„Dr. Rollins hat schon mit mir gesprochen und mir deine Daten zukommen lassen, welche definitiv Grund zur Sorge sind. Hinzu kommt, dass deine Eltern mit ihr auch über dein Verhalten der letzten Monate gesprochen haben, welches ebenfalls in das Schema der Erkrankung 'Anorexia Nervosa' passt.", er musterte mich und wartete scheinbar auf eine Reaktion, doch ich starrte immer noch nur auf meine Hände. Diese ganze Situation war mir absolut unangenehm.
„Olivia?", irgendwas in der Tonlage seiner Stimme brachte mich dazu, den Psychologen anzusehen. „Wir machen das jetzt so: Ich werde dir einfach ein paar Fragen stellen und du antwortest, so gut du kannst. Wenn du auf etwas gar nicht antworten willst, ist das auch okay." Da ich das Gefühl hatte, dass ich eh nicht widersprechen konnte, nickte ich nur. Innerlich stellte ich mich auf Fragen bezüglich meines Körpers und meiner Essgewohnheiten ein, doch stattdessen begann er mich über mein Leben auszufragen. Er wollte wissen, ob ich einen Freund hatte, wer meine Freunde waren, wie oft ich was mit ihnen unternahm, was meine Hobbys waren,...
Meine Antworten bezüglich meiner Freunde fielen kurz aus und auf Fragen bezüglich eines Hobbys beantwortete ich nicht. Aus dem einfachen Grund, dass mir kein Hobby einfiel außer man zählte Abnehmen dazu. Ich wusste zwar nicht, inwiefern meine Antworten ihm irgendwas über meine Krankheit sagen sollte, doch Dr. Breit machte sich sehr viele Notizen, also musste er wohl doch irgendwas daraus schließen können. Erst gegen Ende stellte er mir vorsichtig Fragen über meinen Körper, doch das wurde mir dann doch zu viel, weshalb ich mich dazu entschloss, gar nichts mehr zu sagen.
Obwohl ich nicht das Gefühl hatte, mich sonderlich gut gemacht zu haben, lobte Dr. Breit mich: „Das hast du gut gemacht, Olivia. Okay, jetzt werde ich noch ein Gespräch mit deinen Eltern führen, währenddessen kannst du dir gerne die Klinik ansehen. Ich habe eine der Betreuerinnen organisiert, die dir alles zeigen wird." Dieser Lob war bestimmt auch nur eine Art der Manipulation, um mich in die Klinik zu locken. Mir die Klinik anzusehen war aber definitiv die bessere Option anstatt wieder ein deprimierendes Gespräch mit meinen Eltern mit erleben zu müssen. Also nickte ich. Beim Rundgang verbrennst du wenigstens noch Kalorien.,,
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Zwischen Tag und Nacht || anorexia nervosa
Roman pour Adolescents„Du müsstest jemanden sehr hassen, um ihn verhungern zu lassen." Sein Blick traf mich so plötzlich und brannte sich so tief in mein Gedächtnis ein, sodass ich nicht anders konnte, als ihm auszuweichen und auf den Boden zu starren. Schon wieder brann...