Wie so oft saß ich im Garten unserer Bekannten und lauschte den Gesprächen meiner Eltern und deren Freunden. "Wie geht es eigentlich Carolin?" fragte meine Mutter gerade in die Runde, als mein Handy aufleuchtete. Eine Whatsapp ploppte auf meinem Bildschirm auf und ich legte meinen Daumen auf den Homebutton meines iPhones um lesen zu können, was meine Freundin Julie mir geschrieben hatte.
Ich las "ich schon btw". Mein Herz stoppte kurz. Ich spürte die Aufregung in mir steigen und knallte mein Handy schon fast schon wieder umgedreht auf den Tisch. Ich spürte, dass die Zeit des Versteckens endlich vorbei war. Sie hatte einen Schritt nach vorne gewagt und ich würde es jetzt auch tun.
Dieser Abend bei den Freunden meiner Eltern veränderte meinen Sommer, meine Einstellung zu mir selbst, mein ganzes Leben. Aber jetzt von vorne:
Es war ein warmer Sommertag, während der Sommerferien zwischen der 10. und 11. Klasse und meine Eltern und ich waren bei Freunden zum Grillen eingeladen. Die Sonne ging gerade unter und nachdem ich zuerst noch mit dem Hund unserer Bekannten gespielt hatte, hatte ich mich jetzt zu den Erwachsenen an den Tisch gesetzt und mit meiner Freundin ein Gespräch über Whatsapp angefangen, als diese Nachricht kam. Wir hatten uns gerade halbherzig über einen Jungen aus meiner Klasse unterhalten, den ich als Schutzschild benutzte, damit niemand mein Geheimnis heraus fand. Das wusste sie aber nicht und ich wollte es mir nicht eingestehen. Während unseres Gesprächs waren wir immer weiter abgedriftet und schließlich erzählte ich ihr, dass meine Mutter bestimmt froh wäre, wenn ich ihr Tim, den Jungen um den es ging, vorstellen würde, da sie dachte ich würde auf Mädchen stehen, was ja keines Falls der Wahheit entsprechen würde.
Nach dieser Nachricht bekam ich erstmal keine Antwort mehr und lauschte dem Gespräch meiner Eltern. Ich hatte sie in mein Handy getippt als Witz. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass ich mir vielleicht doch etwas dabei erhofft hatte. Es war ein bisschen wie bei dieser Theorie über Serienmörder von der ich mal in einer Dokumentation gehört hatte. Demnach geben die Serienmörder immer mehr Hinweise über ihre Tat in die Öffentlichkeit, in der Hoffnung entdeckt zu werden, weil sie es mit ihren Schuldgefühlen nicht mehr aushalten. So ging es mir auch. Ich hielt es nicht mehr aus. All die Zeit über war es mir als redseliger Mensch so schwer gefallen mein Geheimnis zu verstecken und diese Nachricht erweckte in mir ein kleines Fünkchen Hoffnung, es endlich mit jemandem teilen zu können.
"ich schon btw", was übrigens "ich schon by the way" also "nebenbei" bedeutet, hatte sie geantwortet. Hätte jemand nur diese drei Wörter auf dem Bildschirm meines Handys gelesen, hätte sich wahrscheinlich niemand etwas dabei gedacht.
"Ich schon btw" las ich nocheinmal, nachdem ich mein Handy nochmal vom Tisch gezogen und kurz angeschaltet hatte. Dieser Satz wirkte so unbedeutend und kurz und dennoch war er so wichtig für mich.
"Ich schon btw". Damit meinte sie, "Ich stehe übrigens schon auf Mädchen, so ganz nebenbei". Zum ersten Mal fühlte ich mich verstanden. Sie teilte das selbe Geheimnis wie ich und insgeheim beschloss ich sofort, es ihr auch zu sagen, sobald ich ihr klar gemacht hatte, dass sie sich keine Sorgen machen musste. "Ich geh kurz auf's Klo" sagte ich also leise zu meiner Mutter und ging in das Haus unserer Bekannten. Zügig lief ich ins Badezimmer, schloss die Tür hinter mir und ließ mich auf den Boden sinken. Meine Hände zitterten als ich meine Antwort tippte, in der ich ihr klar machte, dass das für mich absolut nichts Schlimmes bedeutete.
Als ich ihr an diesem Abend schließlich beichtete, dass es mir genauso ging wie ihr, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch. Es war als hätte ich einmal eine volle Portion Glück und Selbstvertrauen gefunden, weil ich endlich jemanden gleichgesinntes gefunden hatte. Schlafen konnte ich natürlich nicht wirklich in dieser Nacht, dazu war ich zu aufgeregt und in eben dieser Aufregung erzählte ich es auch noch meiner besten Freundin Mika, die zwar nicht vorbildlich, aber auch auf gar keinen Fall negativ reagierte.
Da lag ich also in meinem Bett, völlig aufgewühlt, aber dennoch glücklich und endlich mit mir selbst im Reinen.
Und das ist der Beginn der Geschichte.
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Maybe perfect
RomanceElenas Leben scheint aus der Sicht anderer so gut wie perfekt. Ihre Eltern sind noch verheiratet, die Mutter eine Anwältin, der Vater Chef seiner eigenen Firma. So kann sich ihre Familie ein großes Haus, ein teures Auto, eine Putzfrau oder ein eigen...