1. Dez. - Was ist Vernunft?

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Was ist Vernunft?

Zunächst muss hierbei unterschieden werden, zwischen der Vernunft als Solcher und dem vernünftigen Handeln, was weitaus komplizierter zu erörtern ist.

Die Vernunft als Solche bezeichnet den Teil des menschlichen Verstandes, der den Menschen vernunftbegabt macht. Bezieht man diese Aussage auf die Psychoanalyse Sigmund Freuds, so ist die Vernunft wohl am Ehesten im „Über-Ich“ anzusiedeln, das bekanntlich für Vorschriften und Reglementierungen zuständig ist (hierhinein spielt auch das Gewissen). Laufen wir auf eine vielbefahrene Straße zu und die Ampel zeigt „Rot“, so bleiben wir ganz automatisch stehen – das „Über-Ich“ schaltet sich ein und bringt uns zum Stehen. Dies ist eine reine Vernunftentscheidung, die wir auf Nachfrage wohl kaum begründen könnten, außer mit „ist doch vernünftig.“

Und schon sind wir bei der Frage: Was sind vernünftige Entscheidungen? Denn alles, was wir tun, beruht auf Entscheidungen – bewussten oder unbewussten.

„Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut.“, sagte einst Georg Christoph Lichtenberg hierzu. Nicht jede Vernunftentscheidung muss allerdings ernsthaft sein. Vielmehr können auch Handlungen vernünftig sein, die auf den ersten Blick eben unvernünftig wirken. Sonst würden die meisten Start-Up-Unternehmen nicht existieren, wir hätten kein Porzellan entdeckt und Christoph Kramer wäre nicht Fußballweltmeister. Oft werden mit dem Argument der Vernunft alte, verkrustete Strukturen aufrechterhalten („sei vernünftig, du kannst es eh nicht ändern“) oder Menschen in ihrer freien Entfaltung eingeengt („mach doch erst mal die Schule fertig und lern was Gescheites – jetzt ins Nachwuchsleistungszentrum von Dortmund zu gehen ist doch total unvernünftig“). Das Vernunftargument blockiert alles extravagante, alles, was aus dem Rahmen fällt. Vernunft kann also Träume, Wünsche und auch Glück blockieren, wenn man nur vernünftig handelt. Vernunft bedeutet meist (Planungs-)Sicherheit, beibehalten des aktuellen Status – die Vernunft fungiert als „bloß-nichts-riskieren-Mentalität“. Dies wird ausgesprochen deutlich in dem alten Gassenhauer „Ich will nen Cowboy als Mann“ von Gitte – s. Verlinkung unten. Den Eltern schwebt eine Vernunftheirat zwecks sicherer Lebensplanung vor, während die Tochter ihren Träumen nachhängt.

Vernunft ist also eine vielschichtige Angelegenheit, auch in der Politik. Politiker sollen vernünftige Entscheidungen treffen, dafür wurden sie gewählt. „In der ganzen Welt ist jeder Politiker sehr für Revolution, für Vernunft und Niederlegung der Waffen – nur beim Feind, ja nicht bei sich selbst.“, stellte einst Herrmann Hesse fest. Immer sollen die anderen Vernünftig sein und ja nicht über ihre Verhältnisse leben, während man selbst die Treibhausgase in die Luft bläst. Würde der Mensch nur und ausschließlich vernünftig handeln, gäbe es keine Kriege mehr, keine (oder weniger) Umweltverschmutzung, kein Verbrechen mehr (dafür müsste  man ja unvernünftigerweise Risiko eingehen), keinen Extremsport, keine Motorräder (Risiko), wir würden nie wieder zu schnell fahren, nicht mehr mit dem Stuhl kippeln oder am Bleistift kauen. Alle wären bieder und gleichförmig, denn es wäre ja nicht vernünftig, anders auszusehen als die Masse. Irgendwie langweilig.

Die Vernunft sollte in den höheren Bereichen wie der Politik weitere Verbreitung finden - dadurch ließen sich schließlich Konflikte und Krisen eindämmen -, aber im persönlichen Bereich – in unserer Individualität – ist es wohl ganz gut, ab und an unvernünftig zu sein und dem Herzen zu folgen. Oder kann Vernunft den Geist der Weihnacht, anderen eine Freude zu machen, erklären? Machen wir doch heute mal einer besonderen Person eine kleine Freude – ganz unvernünftig.

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