32. Das Treffen - Elias

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Die Woche bis zu dem Treffen mit meinen Eltern verging quälend langsam, und die Momente, die ich mit Phillip hatte, waren immer zu kurz.
Wieder sahen wir uns nur in der Schule, Paps hatte zwar Spätschicht, aber Mam hatte Frühschicht.
Freitag Nachmittag war ich bereit, Kehlen aufzusschlitzen, so mies drauf war ich.
Natürlich entging das nicht meinen Mädels, und Dari fragte schon im Bus, welche Laus mir über die Leber gelaufen wäre.
Ich schaute sie nicht mal an, guckte stur aus dem Fenster, und grollte bloß.
„Dicke Eier, hä?“ Ich konnte das Lachen in ihrer Stimme hören.
„Sei still!“ zischte ich.
Dari lachte, denn sie wusste, sie hatte Recht.
Ich wollte nicht darüber reden, ich wollte nicht mal darüber nachdenken. Denn es führte nie zu etwas Gutem, meine Gedanken drifteten in bedenkliche Richtungen.
Zudem würden meine Eltern morgen Phillip offiziell kennenlernen, als meinen Freund, und das machte mich etwas nervös.
Auf dem Weg von der Bushalte sprach Bana mich an.
„Vielleicht solltest du mal mit Phillip darüber reden.“

Nein, danke.

Als wäre mir der Gedanke nicht gekommen. Aber ich wollte ihn nicht bedrängen.
Was sollte ich ihm sagen?
Dass ich ihn so sehr wollte, dass ich seine Nähe beinahe nicht mehr ertrug?
Dass seine unbeholfenen Küsse mich fast in den Wahnsinn trieben?
Dass meine Selbstbeherrschung bei jeder Begegnung schwächer wurde?
Denn so fühlte es sich an.
Ich schwieg, und Bana seufzte.
Ich hatte wahrlich andere Sorgen gerade.

Zuhause erwartete mich Chaos, Hanna schwankte zwischen Euphorie, weil sie morgen auftreten sollte, und Panik, weil sie morgen auftreten sollte.
„Mein Kostüm! Es ist doch gut, oder?!“ Sie stand in ihrem weißen Kleidchen und silbernen Pappflügeln mitten im Wohnzimmer, und quiekte meine Mutter an, als ich mich in mein Zimmer schleichen wollte.
Mam seufzte.
„Natürlich, mein Schatz. Es ist wundervoll.“ Ich konnte an ihrer Stimme hören, dass sie genervt war, und unterdrückte ein Grinsen.
„Elias!“ rief mir meine Schwester plötzlich zu. „Elli! Ist das Kostüm gut, oder nicht?“
Ich hob eine Augenbraue, während ich Hanna betrachtete. Sie spielte den Engel der Verkündung, und dafür steckte sie in einem fließenden, langärmeligen Kleid, das ihr zu den Waden reichte. Dazu trug sie einen silbernen Gürtel, und obwohl sonst schmucklos, sah meine kleine Schwester mit ihren blonden Locken einfach nur zauberhaft aus.
Milde Panik in ihren Augen sah sie fragen zu mir. Also lächelte ich.
„Mehr als gut. Engelsgleich.“
Hanna lächelte ebenfalls, und ich hatte zum ersten Mal seit Monaten wieder das Gefühl, dass wir Geschwister waren.
Dann klatschte meine Mutter in die Hände.
„So, jetzt ist aber gut. Dein Kostüm ist fertig, du kennst deine Schritte, alle sind bereit. Jetzt raus aus den Sachen, ehe noch was schmutzig wird!“
Für einen Augenblick schauten ich und Hanna uns an, dann rollten wir beide mit den Augen.
„Jaja, Mama. Ich mach ja schon.“ Sagte meine Schwester.
Und ich nutzte die Gelegenheit und verschwand in meinem Zimmer.
Nur um über Gedanken zu brüten, die ich besser gar nicht erst gehabt hätte.

Der Samstag Morgen war, wie nicht anders zu erwarten, hektisch. Dauernd klingelte Mams Telefon, mal war es die Tanzlehrerin, mal andere Mütter, immer war noch irgendeine Kleinigkeit unklar. Zwischendrin versuchte meine Mutter, meine Schwester von einem Frühstück zu überzeugen, die aber viel zu aufgeregt war dafür. Stattdessen lief sie ständig durch die Wohnung, mal ins Bad, um ihre Haare und ihr Make-Up zu überprüfen, dann ins Schlafzimmer unserer Eltern, um vor dem großen Spiegel dort ihr Kostüm zu checken.
Immer wieder bimmelte ihr Handy, Nachrichten von Mädchen, die genauso aufgedreht waren, wie sie.
Ich war froh, dass meine Eltern mit Hanna schon gegen elf losfuhren. So konnte ich mich in Ruhe fertig machen, ehe ich mit den Mädels den Bus in die Stadt nahm.
Wir schlugen uns durch die Menge zu dem Brunnen durch, an dem wir uns treffen wollten.
Während wir warteten, fragte Dari auf einmal:
„Und, darf ich sein Fake-Date sein?“
Ich knirschte mit den Zähnen.
„Ich hab ihn nicht gefragt.“ Gab ich schließlich zu.
„Eifersüchtig?“ Schelmisch grinste mich meine blonde Freundin an.
Ja.
„Nein.“
Dari lachte, und Bana rollte ihre Augen.
Ich bemerkte Phillip als erster, die Mütze hatte er sich wieder tief in die Stirn gezogen, und ich musste lächeln. Als dann seine Augen meine fanden, wurde das Lächeln breiter.
Ich stieß Dari mit dem Ellbogen an.
Und bereute es fast sofort.
Während ich mit Bana losgingen, lief Dari fast schon.
Auf Phillips Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Grauens aus, als er die wandelnde Katastrophe aus sich zukommen sah.
Sie warf sich ihm förmlich an den Hals.
„Da bist du ja! Wir warten schon ewig!“
Ich wusste, dass sie das nur tat, um mich zu ärgern.
Es wirkte.
Ich knirschte mit den Zähnen, bis sie ihn endlich losließ.
„Und du hast jemanden mitgebracht!“
Enthusiastisch wandte sie sich den Neuankömmlingen zu.
Ich betrachtete die beiden. Kai war ein schlaksiger Kerl mit langem Gesicht, dass ich von den Mannschaftsfotos der Kicker wiedererkannte. Die ich mir im Internet vor nicht allzu langer Zeit angeguckt hatte.
Das Mädchen, das an seinem Arm hing, war hübsch, mit erstaunlich großen dunklen Augen.
„Ich bin Dari, das ist meine Schwester Bana, und das unser BFF Elias.“
Wie üblich war meine blonde Freundin die Wortführerin.
BFF? Ernsthaft?
Meine Augen rollten, und Phil grinste daraufhin.
„Hi, ich bin Kai, sein BFF. Und meine Freundin Patricia.“
Phils Freund amüsierte sich offensichtlich, denn er grinste von einem Ohr zum anderen.
Seine Freundin weniger, sie brachte nur ein leises „Hallo.“ hervor, während sie mit erstauntem Ausdruck mich und die Mädels in Augenschein nahm.
„Kommt, wir haben noch Zeit, lässt uns einen Glühwein holen!“
Dari wartete gar nicht auf Antworten, sondern ging einfach los, ihre Schwester mitziehend. Kai und Patricia folgten ihnen, und ich wartete, damit ich neben Phil gehen konnte.
Ich wich nicht von seiner Seite, jede noch so kleine Gelegenheit nutzend, ihm nah zu sein. Was wohl nicht ganz unbemerkt blieb, denn Kais Freundin warf mir immer wieder Blicke zu, die ich nicht deuten konnte. Und jedes Mal, wenn ich sie erwischte, vergrub sie ihr Gesicht an Kais Arm.
Wusste sie von uns?
Mir war egal, was sie dachte, aber ich hatte das Gefühl, Phillip wäre es das nicht.
Als wir uns schließlich vor die Bühne gekämpft hatten, war Hannas Tanzgruppe noch mit dem Aufbau beschäftigt. Den Anschluss an die Mädels und Kai mit Patricia haben wir verloren, aber ich konnte sie ein gutes Stück vor uns sehen.
Es war so eng, dass es kaum möglich war, nebeneinander zu stehen, also schob ich mich vor Phil.
Ich nutze die Situation und lehnte mich an ihn, meinen Rücken gegen seine Brust gepresst. Ich konnte spüren, wie er atmete.
So schaute ich mir Hannas Auftritt an, die in ihrem Engelskostüm über die Bühne zu schweben schien. Die Mädchen machten das gut, besser als ich erwartet hätte. Und meine kleine Schwester überstrahlte sie alle (obwohl meine Meinung da auch etwas voreingenommen sein konnte).
Auf alle Fälle war ich stolz auf sie.
Und erst, als der Tanz vorbei war und ich mich nach unseren Freunden umsah, bemerkte ich, wie Patricia mich und Phil musterte.
Mit zusammengezogen Augenbrauen und die Augen verengt, starrte sie uns an.
Ich starrte kalt zurück, als ich von Phil wegtrat und anfing zu klatschen, mit weitaus weniger Enthusiasmus als ich noch vor einem Augenblick hatte.

Blutige Bärenpisse!

Kai sagte etwas zu ihr, und sie wandte sich endlich von uns ab, aber in mir blieb das nagende Gefühl, dass etwas nicht gut war. Gar nicht gut.
Dann entdeckte ich meine Eltern, meine Mutter hatte uns gesehen und winkte.
Zeit, es hinter uns zu bringen. Ich holte nochmal tief Luft, und hoffte inständig, dass meine Mutter nicht aufdringlich wurde.
„Oh, da sind meine Eltern! Komm, Phil, wir sagen kurz Hallo.“
Phil guckte erschrocken, doch ich gab ihm keine Gelegenheit, auch nur etwas zu sagen. Stattdessen zog ich ihn einfach mit, bis wir vor meinen Eltern standen, er mit immer noch geweiteten Augen.
„Mama, Papa, das ist Phillip, mein Freund.“ Für einen Moment nahm ich seine Hand in meine.
Mein Vater grinste amüsiert, von meiner Mutter sicherlich eingeweiht, über Phillips Schüchternheit, seine Augen blitzten förmlich, als er stammelte.
„H-hallo.“
Meine Mam dagegen hatte den aufmunternden ‚Alles-wird-gut.‘-Blick und das dazu passende Lächeln.
Mein Paps streckte Phillip die Hand hin.
„Ich bin Andreas.“ Er drückte kurz Phils größere Hand, nickte, und tat, was er gerne tat. „Ich geh mal nach Hanna gucken.“ Er zog sich aus der Affäre. Aus dem Schussfeld, sozusagen.
Mama und ich nahmen es Augen rollend hin.
Immer, wenn es um Jungs ging, verschwand mein Paps. Es gab Dinge, die wolle er gar nicht so genau wissen, meinte er.
Meine Mutter guckte wieder zu Phillip, der besorgt zwischen ihr und hin und her blickte.
„Hallo Phillip, ich bin Klara.“
Und machte genau das, was ich befürchtet hatte.
Sie zog ihn hinab und legte einen Arm um seinen Hals.
„Mam!“
„Willkommen in der Familie.“ Sagte sie, ehe sie ihn losließ.
Ich blies kurz die Backen auf, während Phillip mit roten Wangen und seinem Denkerblick dastand.
Meine Mutter warf mir einen kurzen Blick zu.
„Ich sollte auch besser zu Hanna gehen. Viel Spaß euch noch!“
Winkend ging sie, während Phil blinzelnd hinterherschaute, tief durchatmend.
Ich musste Lachen, hauptsächlich aus Erleichterung.
„So schlimm war's nicht!“
Phil schaute mich lächelnd an, und ich konnte sehen, dass er viel entspannter war. Er stand nicht mehr mit hochgezogenen Schultern da, den Kopf gesenkt.
„Nein, es war nicht schlimm. Deine Eltern scheinen cool zu sein.“
Ja, jetzt.
Oh, ich wusste, sie würden mich später aufziehen. Beide.
„Naja, soweit Eltern cool sein können, ja.“
Doch in diesem Augenblick war mir das herzlich egal, mir war auch egal, was meine Mutter dazu bewogen hatte, so schnell zu verschwinden, ich einfach nur dankbar und glücklich.
Wir schlossen schließlich zu unseren Freunden auf, schlenderten über den Markt. Ich hatte keine Ahnung, was ihr Problem war, aber ich würde nicht zulassen, dass sie Phils gute Laune ruinierte. Aber nach unserem kleinem Anstarrwettbewerb behielt Patricia ihre Augen hauptsächlich auf Kai.
Besser so.
Letzten Endes wurde es ein schöner Nachmittag, zumindest Kai schien mit den Mädels gut klar zu kommen, und Phil wechselte sogar ein paar Worte mit Bana.
Aber als ich Phil zum Abschied umarmte, konnte ich Patricias kalten Blick sehen, ehe sie ihre Augen wieder abwandte.
Bitch.
Mit nur einem Blick hatte sie mir einen ansonsten perfekten Tag versaut, und zu sagen, ich mochte sie nicht, wäre untertrieben.

Auf dem Weg nach Hause saß ich entsprechend missmutig im Bus und starrte zum Fester raus, während langsam die Sonne hinter den Hügeln verschwand.
Was hatte diese Bitch für ein Problem?
Es war offensichtlich, dass sie unsere Beziehung nicht gut hieß.
Weil wir zwei Jungs waren?
Oder steckte etwas anderes dahinter?
Mein Ruf?
Die Wahrheit ist, ich habe vor langer Zeit aufgehört, mich um die Meinung anderer zu scheren. Die Gerüchte über mich führten ein Eigenleben, dass nicht mehr viel mit meinem Leben zu tun hatte, und ich hatte stets so getan, als würden sie eigentlich jemanden andren betreffen, nicht mich.
Ich wollte bis jetzt gar nicht wissen, was über mich geredet wurde.
Aber was, wenn es mich gerade in den Arsch biss?
Ich wandte mich an Dari, die neben mir saß. Bana war in der Reihe vor uns und tippte sich die Finger wund, Tommy wahrscheinlich.
„Sag mal, was ist Grad die neueste Mode über mich?“
Meine blonde Freundin guckte mich überrascht an.
„Whoa, das willst du gar nicht wissen!“
Ich seufzte. Nein, vermutlich wollte ich es nicht wissen. Dennoch deutete ich ihr, weiterzusprechen.
Kopfschüttelnd fing sie an zu reden.
„Seit der Party bei Freddy, wo du Alex abgeschleppt hast-"
„Ich hab ihn nicht abgeschleppt!“
Dari warf mir einen irritierten Blick zu.
„- wo Alex dich abgeschleppt hat,“
Ich seufzte ergeben.
„ bist du wieder auf dem Radar. Jeder, der die Kicker kennt, kennt Alex. Und jetzt kennt jeder dich. Und irgendein Arsch hat sich die Mühe gemacht, deine alten Bilder auszugraben. Notgeiler Bock dürfte noch das Netteste sein, was man so zu hören kriegt.“
Das war wie ein Schlag in den Magen.
Verkackte Krabbenkotze!
Ich bekam das Gefühl, dass sich da ein Sturm zusammenbraute.
Wir fuhren schweigend weiter.
Bana bemerkte erst beim Abschied, dass etwas nicht stimmte, aber ich scheuchte meine Mädels in ihre Wohnung.

Ich sollte mit Phillip reden.



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Bitte schön, der nächste Teil.
Und die Spannung steigt...

Viel Spaß,
DaGi

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt