Aufbruch (Teil 2)

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Während sie noch eine Weile den Himmel betrachtete fiel ihr eine schwarze Gestalt auf, die immer wieder über sie hinweg flog und kreisend über die Buche hinweg schwebte. Ein Jäger der Nacht, ein Meister des Fluges, ein Wanderer, ja ein Falke der in der Dunkelheit der Dämmerung von Ort zu Ort flog um nach Beute Ausschau zu halten. Diese majestätische Kreatur schien sich für Mayla zu interessieren, denn sie kam dem Boden immer näher. Etwas ängstlich kauerte sie sich direkt an den Stamm, sodass ihr sogar der Geruch des frischen Holzes in die Nase glitt. Der Falke breitete seine Schwingen aus und landete geradewegs auf einem höher gelegenen Ast rechts von Mayla. Während er immer wieder seinen Kopf nach links und rechts drehte schien er das junge Mädchen genau zu beobachten. Wohl wissend, es würde nichts bringen fing sie irgendwann an, sich mit dem Falken zu unterhalten. Die Frage, ob er ihr etwas tun würde ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. So begann ein ausgiebiges Gespräch und Mayla fing an, dem Vogel die ganze Geschichte zu erzählen. Doch konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und so fiel eine Träne nach der anderen langsam auf den schon vom Regen genässten Boden und sie fuhr fort. Obwohl die beiden aus anderen Völkern stammten und noch nie miteinander sprechen konnten schien er doch genau zu verstehen, was sie sagte, denn immer, wenn sie einen Abschnitt beendet hatte krächzte er einmal laut und schwieg dann wieder. Nach einer ausgiebigen Unterhaltung und einem anstrengenden Tag fielen ihr dann schließlich die Augen zu und sie schlief ein, so fest, wie sie noch niemals in ihrem Leben geschlafen hatte. Und die ganze Nacht lang wachte der Falke, den Mayla mittlerweile Zero getauft hatte auf dem Ast neben ihr und beschützte sie, bis der Morgen graute. Als die Sonne aufging und das Sonnenlicht zwischen den Buchenblättern hinweg schien schlug sie die Augen auf und sah sich um. Die Kälte ihrer noch vom Regen feuchten Kleidung ließ sie zusammenfahren. Einen Moment lang kam ihr diese Situation unwirklich vor und sie redete sich ein, es wäre alles nur ein Traum gewesen. Doch schon bald erblickte sie den Ast, auf dem der Falke gesessen hatte und den Pfad, auf dem sie den Baum erreichte. In diesem kurzen Augenblick war nur das Rauschen des Windes zu hören und sie realisierte, dass sie sich allein auf der Welt befand, denn auch von dem Vogel war nichts mehr zu sehen. Aus voller Kehle rief sie so laut sie konnte nach Zero, doch nichts geschah. Kein Haus, kein Falke, kein Mensch, nur sie selbst, ein Pfad, ein Baum, der ihr neues zu Hause geworden war und so weit das Auge reichte nur freies Land.
Orientierungslos machte sie sich nun wieder auf den Weg, mit einem Loch im Herzen und der Hoffnung, sie würde irgendjemanden treffen, der ihr helfen würde. Das schlimmste Gefühl ist jenes, welches man verspürt, wenn man denkt, dass man vollkommen nutzlos ist und keinen Menschen und keinen Freund hat, der einem den Lebenswillen wieder zurückgibt, wenn man ihn verloren hat. Das war ihr Gefühl, das sie innerlich zerriss bis sie aus ihren Gedanken geholt wurde als plötzlich etwas direkt vor ihre Füße fiel und sie erschrak. Es war kein Ast, kein Blatt und kein Regen, nein, es war ein Fisch. Verdutzt starrte Mayla zum Himmel. Sicher eine Illusion gesehen zu haben schaute sie wieder auf den Fisch, hob ihn vom Boden und bemerkte, dass sie mächtig der Hunger plagte, denn sie hatte seit dem Abend des letzten Tages nichts mehr gegessen.
Während sie da so stand, erhob sich auf einmal ein mächtiger Vogel über ihr und riss ihr mit seinen riesigen Klauen den Fisch aus der Hand. Von einem auf den anderen Augenblick erkannte sie Zero, der an ihr vorbei flog, eine Runde drehte und anschließend direkt vor ihr auf dem Boden landete und sie eindringlich ansah. Da verschwanden die Tränen aus ihren Augen, das Weinen verklang und wurde zum Lachen und das verzweifelte Mädchen, das alles verloren hatte verwandelte sich in einen Engel, der in Gedanken mit Zero geradewegs rauf zu den Wolken flog, denn sie hatte endlich einen wahren Freund gefunden. Zwei Fische hatte er bei sich, einen im Schnabel und den in seinen Klauen, den er ihr weggenommen hatte. Einen Augenblick lang starrten sie sich nur an, doch dann kniete sie sich nieder und streichelte vorsichtig die wunderbar bemusterten braun-schwarzen Flügel des Vogels, der sich überhauptnicht daran störte. Sekunden später ließ Zero den Fisch aus seinem Schnabel in Maylas Schoß fallen. Sie wich zurück, wurde ängstlich...
Was wollte er?

Wie ein Vogel im SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt