Bluts-Rose

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* * *

Das Weinglas splitterte, als es gegen die Wand schellte und sich der gesamte Inhalt mit einem Schwall über die weiße Tapete ergoss. Die Form des Flecks ließ mich stark an eine große Rose denken, eine, die ihre feinen Blütenblätter sanft der Abendsonne entgegenreckte, um auch den allerletzten Lichtstrahl vor Einbruch der kalten Nacht zu ergattern. Während die Scherben klimpernd wie Eiszapfen im Wind auf den Boden klirrten, lief die dunkelrote Flüssigkeit langsam hinab und zerstörte das schöne Bild des Gewächs. Stattdessen wirkte sie jetzt verzerrt und verschmiert.

Geradezu bizarr.

Während Lucian meinen Vater noch immer wutentbrannt mit seinen Blicken durchbohrte - den Arm nach vorne ausgestreckt, als wäre er noch im Wurf - nippte ich unbeteiligt an meinem Getränk. Ich bedauerte jeden Tropfen von jener delikaten Flüssigkeit, die mein Bruder aufgrund des Wurfes seines Weinglases verschüttet hatte. Es war eine Verschwendung der allerfeinsten Sorte, was er da veranstaltet hatte.

Und das nur wegen eines Mädchens.

»Mir ist egal, was du darüber denkst«, knurrte Lucian. »Ich liebe sie.« Seine Finger waren so sehr zu Fäusten verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten und die Adern ein Delta eines Flusses unter seiner Haut aufspannten.

Mein Vater lachte nur leise. »Das ist mir sehr wohl bewusst, mein Sohn. Dennoch werde ich keinesfalls tolerieren, dass du etwas mit unseren Mahlzeiten anfängst.«

»Sie ist nichts zu Essen!«, schrie mein Bruder. Seine blutroten Augen funkelten wie geschliffene Rubine, die im Sonnenlicht schimmerten und das Licht brachen - ich konnte die Reflexionen des Edelsteines auf dem Untergrund vor meinem inneren Auge förmlich sehen, wie kleine Blutstropfen sprenkelten sie die Fläche, auf welcher der Rubin lag.

In der Öffentlichkeit trugen wir alle lästige Kontaktlinsen, um die unnatürliche Farbe vor den Menschen zu verbergen, doch hier in unserem Anwesen waren solche Vorsichtsmaßnahmen unnütz. Die Angestellten wussten, was wir waren, ebenso, wie ihnen die Tatsache bewusst war, dass sie bei einer falschen Bewegung die nächste Mahlzeit oder eine Stärkung für zwischendurch waren.

»Natürlich, mein Gott, Lucian, sie ist ein Mensch«, mischte ich mich ein und verdrehte die Augen. Seelenruhig stellte ich mein Glas ab, um mein Besteck aufzunehmen und ein Salatblatt aufzuspießen. Solche Vorspeisen waren mir die allerliebsten.

Lucian schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wag es ja nicht, so über Calina zu sprechen, Joaquin«, fauchte mein Bruder und fuhr sich durch die tintenschwarzen Haare, welche oben deutlich länger waren als an den Seiten.

»Mylord? Der Gast ist eingetroffen.« Unsicher trat eine Dienerin ins Zimmer.

Die arme Frau, Martha ihr Name, hielt den Kopf gesenkt und ihre grauen Strähnen fielen ihr über das faltige Gesicht. Weiß Gott war sie keine Schönheit, die Nase war krumm und die ein oder andere Warze zierte ihr Gesicht; die liederliche Kleidung, in welche man die Frau gesteckt hatte, besserte ihren optischen Zustand nicht einmal im Ansatz.

Ehrlich gesagt konnte ich nicht einmal mit viel Fantasie nachvollziehen, weswegen Vater sie noch immer hier arbeiten ließ. Der einzige Grund war vermutlich, dass sie zu zäh für das Abendmahl war und ihre Törtchen sogar die Exzellenz von warmem Blut überstiegen.

»Ausgezeichnet.« Ein kaltes Grinsen schlich über das makellose Gesicht meines Vaters. Seine ebenfalls blutroten Augen glühten vor Erwartung.

Mein Bruder und ich unterschieden uns optisch kaum von unserem Vater. Beide besaßen wir seine kantigen Gesichtszüge, seine gerade Nase, sowie die schmalen Augen und die fein geschwungenden Lippen - die untere leicht voller als die obere. Ja, selbst die Frisur und endlos junge Haut war identisch. Einzig alleine die Haarfarbe hatten wir von unserer Mutter geerbt.

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