Henry
Als wir endlich den Rosenweg erreicht und das Haus mit der Nummer 19 gefunden hatten, wuchs meine Nervosität noch mehr, als ich es für möglich gehalten hätte.
Die Frage die ich mir dabei stellte, warum ich so nervös war, konnte ich leider nicht beantworten.
Das Haus, vor dem wir hielten, war ein kleines rotes Backsteinhaus, dass durch viele Blumenranken, die sich an den Außenwänden hinauf schlängelten eine wunderschöne und märchenhafte Atmosphäre ausstrahlte.
Genau das musste Alex auch gedacht haben, als er sagte :
>Na dann, hol mal deine Prinzessin ab, mein edler Ritter. <
Ich boxte ihm gegen die Schulter, wodurch er spaßeshalber vor Schmerz auf schrie.
Dann stieg ich aus, lief durch den Vorgarten, in dem überall kleine Rosenbüsche standen, dieses Haus machte dem Namen der Straße wirklich alle Ehre, und kurz bevor ich auf die Klingel drückte, atmete ich tief durch. Ich tat es also wirklich.
Ich würde mit einem Mädchen, dass ich kaum kannte und meinem Bruder auf ein Konzert einer Band gehen, die ich ebenfalls kaum kannte.
Als ich so darüber nachdachte, musste ich mir selbst eingestehen, dass ich schon viel Verrückteres getan hatte. Außerdem wollte ich mich wirklich bei Lucy entschuldigen und dass ich dabei genau ins Schwarze getroffen hatte, konnte ich ja nicht erahnen.
Eine kleine ältere Dame mit weißen gelockten Haare und einer runden Brille öffnete mir die Tür.
Schon ihr freundliches Lächeln, das Lächeln einer liebenden Oma, sorgte dafür, dass ich sie gleich ins Herz schloss und mich in ihrer Gegenwart völlig wohl fühlte.
>Du musst Henry sein. <
>Ja, der bin ich. Schön sie kennen zu lernen. <
Sie drehte sich um und rief nach Lucy, die daraufhin etwas antwortete, was ich nur als leises Gemurmel wahrnahm und nicht entschlüsseln konnte.
Als sie sich wieder zu mir umdrehte, lächelte sie mich immer noch freundlich an, jedoch war der Ausdruck in ihren Augen etwas ernster geworden.
>Nur damit wir uns richtig verstehen, ich vertraue dir hier meine liebste Enkelin an. Zuerst mal, ich weiß, man sollte keine Lieblinge haben, aber Lucy war immer das Enkelkind, was auch mal auf mich Rücksicht genommen hat und sie wollte mich immer vor alles und jedem beschützen. <
Sie machte eine kleine Pause in der sie, wie ich vermutete in ein paar Erinnerungen versunken war.
>Außerdem gab es eine Zeit in der sie fast jeden Tag bei mir war, in der sie vom Leben enttäuscht und sich von allen allein gelassen gefühlt hat. Diese Zeit hat unsere Beziehung sehr geprägt. Deshalb möchte ich hier auch klar stellen, wenn ihr irgendetwas passiert, würde ich mir das niemals verzeihen können. Also bitte, pass gut auf die auf. <
Im ersten Moment hatte ich vermutet, sie würde mir die Schuld daran geben, wenn Lucy etwas passieren würde. Doch da lag ich wohl völlig falsch . Sie würde die Schuld auf sich nehmen und so ein arroganter Mistkerl ich auch manchmal war, das konnte ich auf gar keinen Fall zulassen.
>Keine Sorge, Miss... <
>Garcia. <
>Garcia? Kommen sie ursprünglich aus Spanien? <
>Ja, ich bin zur Hälfte Spanierin. Meine Mutter war nach Spanien ausgewandert und hat dort meinen Vater getroffen. Wenige Jahre später sind sie dann zusammen zurück nach Deutschland gekommen. <
>Also können sie spanisch
sprechen? <
>Leider nicht wirklich, nur einzelne Wörter. Mein Vater ist als ich 5 war gestorben. <
Ein dunkler Schleier legte sich über ihre Augen, was mir fast mein Herz brach. Ich wollte sie plötzlich einfach nur in den Arm nehmen.
>Das tut mir wirklich leid . Mein Vater und ich haben eine sehr komplizierte Beziehung, dadurch würde ich fast schon sagen, dass ich auch keinen mehr habe. <
Plötzlich hörte ich jemanden die Treppe runter laufen und wenige Sekunden später kam Lucy schon aus dem Haus geschossen.
>Ich bin fertig. Wir können los. <
Völlig außer Atem, aber mit einem glücklichen Funkeln in den Augen stand Lucy nun vor mir und lächelte mich an.
Dann schaute sie von mir zu ihrer Oma und wieder zurück.
>Ich hoffe sie hat dir nicht irgendwelche peinlichen Geschichten aus meine Kindheit erzählt. <
>Lucy! Was denkst du denn von mir?<
Ihre Oma schaute sie zu tiefst empört an, woraufhin ich sofort los lachen musste.
Wie konnten eine Oma und ihre Enkelin nur so niedlich aussehen, während sie sich einfach nur gegenseitig anschauten?
>Nein, keine Sorge hat sie nicht. <
Mit einem aufmerksamen Blick musterte sie mich bis sie dann langsam nickte und sich wieder zu ihrer Oma drehte und sie umarmte.
>Noch mal danke Oma. Du bist die Beste. <
Mrs Garcia erwiderte die Umarmung ihrer Enkelin. Als Lucy sich wieder von ihr löste, sagte ihre Oma zu ihr :
>Ich weiß du willst es nicht hören, aber er wird sich jetzt bestimmt für dich freuen und dir viel Spaß wünschen. <
Lucy schaute ihre Oma wieder eine Zeit lang an. Sie und ihre Oma kommunizierten also wieder nur durch ihre Blicke, was ich wirklich bemerkenswert fand. Ihre Oma musste recht gehabt haben. Ihre Bindung zu einander war wirklich stark.
>Also, wollen wir los? Sonst kommen wir noch zu spät und ich will keine einzige Sekunde verpasse. <
>Klar doch. <
Ich kramte meinen Autoschlüssel aus meiner Hosentasche und verabschiedete mich von Lucy's Oma.
Als wir auf halben Weg zum Auto waren, rief mir Mrs Garcia noch einmal hinterher :
>Pass gut auf sie auf Henry! <
Ich drehte mich noch einmal zu ihr um, um ihr zu versichern, dass ich die nächsten Worte ernst meinte.
>Ich werde sie mit meinem Leben beschützen! <
Dann öffnete ich, so ein Gentleman ich doch war, Lucy die Tür und ließ sie einsteigen.
Mit einem zögernden Blick sah sie erst mich und dann mein Auto an, entschloss sich dann aber doch einzusteigen.
Hinter ihr schloss ich die Tür wieder, umrundete mein Auto, winkte ihrer Oma noch einmal zu und stieg selbst in mein Auto ein.
>Gut siehst du aus, Lucy. <
>Oh, danke Alex. Ich bin froh, dass ich noch ein paar Sachen bei meiner Oma hatte, sonst hätte ich gar nichts anzuziehen gehabt. <
Und dann unterhielten sie sich weiter über die Band, ihre lieblings Song,die verschiedenen Band Mitglieder und so weiter.
Irgendwann kehrte Stille im Auto ein. Anscheinend hatten sich die beiden nichts mehr zu erzählen,also schaltete ich die Musik an, um diese Stille auszufüllen. Jedoch kam nicht wie erwartet meine Playlist, sondern das neueste Album von Cupid, wie ich nach nur 5 Sekunden erfuhr, da Lucy vor Freude aufschrie und Alex gleich mit sang.
>Sorry, aber ich habe mir gedacht, wir sollten uns schon mal einstimmen. <
Alex lächelte mich zufrieden an.
>Es ist ja auch nicht so,dass wir das die nächsten Stunden nicht hören würden. <
Doch mein Satz blieb völlig ungehört. Der nächste Song hatte angefangen und Alex sang wieder laut stark mit.
Hinter ihm hörte ich Lucy lachen und als ich in den Rückspiegel sah, konnte ich es auch sehen.
Kein gezwungenes oder aufgesetzte Lachen, sondern eines, das von Herzen kam und dass mich sofort mit lachen ließ.
Lucy erwischte mich dabei, wie ich sie viel zu lange durch den Rückspiegel anschaute und wurde etwas rot.
Sie sah wirklich süß aus, wie sie da saß mit ihren roten Wangen und dabei versuchte nicht auch in den Rückspiegel zu schauen.
Dann verklang der letzte Ton des Songs, es wurde wieder still und ich konzentrierte mich wieder auf die Straße.
>Henry, darf ich dich mal
was fragen? <
>Ja klar. <
>Also, dass darfst du mir wirklich nicht böse nehmen und ich meine es auch nicht so, aber wie kann es sein, dass ein 19 jähriger so ein Auto fährt? Ich meine die sind doch mega teuer.<
Ich versteifte mich.
Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, wie dieses Auto auf Lucy wirken würde und schon gar nicht daran, wie ich ihr erklären sollte, warum ich dieses Auto besaß, ohne zu viel oder überhaupt etwas von meiner Vergangenheit preis zu geben.
Alex musste meine Reaktion bemerkt haben und antwortet Lucy für mich.
>Unser Dad führt eine Millionen schwere Firma,Elonics. Vielleicht hast du schon mal von ihr gehört. Und Henry hat zu seinem 18 Geburtstag, eben dieses Auto geschenkt bekommen. <
Auch wenn ich Alex dankbar dafür war, dass er das Wort ergriffen hatte, konnte ich die Sache nicht so stehen lassen. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass Lucy dachte unser Dad wäre der coolste der Welt. Vielleicht war er das früher mal für uns gewesen, bevor seine Firma immer größer wurde und wir immer unwichtiger und bevor er etwas getan hatte, das er niemals hätte tuen dürfen und was ich ihm nie verzeihen werde.
>So kann man das nicht ganz sagen. Ich habe das Auto zu meinem 18 Geburtstag bekommen, jedoch gehörte es mir zu diesem Zeitpunkt nicht. Unser Dad wollte mich damit nur auf die Vorteile hinweisen, die es geben würde, wenn ich später mal mit in seine Firma einsteigen
würde. <
>Und warum gehört es dir jetzt? Hast du ihm versprochen in die Firma mit einzusteigen? <
Ich lachte trocken und angewidert auf. Niemals würde ich in der Firma meines Vaters arbeiten. Früher hätte es noch eine Chance gegeben, aber die hatte er längst verspielt.
>Nein, Lucy. Ich habe ihm nicht versprochen in die Firma einzusteigen. Das wäre wohl das letzte was ich tuen würde. <
>Und warum gehört es dir sonst? <
>Weil mein Vater etwas getan hat, was zu den Sachen gehört, die man seinem Sohn beziehungsweise seiner Familie niemals antun sollte und er sich zu diesem Zeitpunkt schrecklich schuldig gefühlt hat. Außerdem denkt er dadurch, wir halten dicht und sagen niemandem etwas darüber, so, dass seine Firma nicht den Bach runter geht. <
>Ich sollte lieber nicht fragen, was er getan hat, oder? <
>NEIN. <
Antwortete ich so hart ich es in ihrer Gegenwart aussprechen konnte. Doch als ich aus meinem Augenwinkel im Rückspiegel sah wie sie zusammen zuckte, versuchte ich mich wieder zu beruhigen.
>Es tut mir leid, Lucy. Die Sache ist echt kompliziert und es ist das Beste, wenn du nichts darüber weißt. Es reicht, wenn du uns einfach glaubst, dass unser Dad ein riesen Arschloch ist mit dem wir nicht mehr zu tun haben wollen. <
Wieder Stille. Dieses Mal war sie aber eher drückend und nicht so leicht und natürlich wie vor ein paar Minuten.
>Wow. Lucy, du solltest dich jetzt echt geehrt fühlen. Mit noch niemanden hat er so über unseren Dad und die Vergangenheit mit ihm gesprochen. Du hast mehr aus ihm rausgekriegt, als jeder andere, der ihn schon Jahre kennt. <
Ich entspannte mich wieder und lachte über Alex verwirrten Tonfall.
>So verschlossen bin ich ja wohl auch nicht. <
>Oh doch mein Lieber, dass bist du. <
>Also darf ich kurz zusammenfassen:
Euer Dad, der eine Millionen Firma führt, hat dir dieses Auto überlassen, damit ihr nicht in der Öffentlichkeit über eure Vergangenheit sprecht.
Ihr würdet aber sowieso nicht darüber sprechen, weil ihr nicht mehr mit eurem Dad, dem Arschloch, zu tun haben wollt und habt dieses Auto nur angenommen, damit er euch in Ruhe lässt? <
>Ja, so könnte man es ausdrücken. Nur, dass Henry dieses Auto auch über alles liebt, fehlt noch, aber sonst... <
>Ihr seid etwas verkorkst, wisst
ihr das? <
>Ja, das wissen wir. <
Mit einem strahlendem Lächeln sah ich Lucy wieder durch den Rückspiegel an.
Es war ein schönes Gefühl, dass sie auf Anhieb verstanden hatte, was sie zu diesem Thema sagen und nicht sagen konnte und so alles geklärt war, wodurch wir am Besten nie wieder darüber reden mussten.
>Wisst ihr was? Ich kann mir gut vorstellen, warum ihr niemandem davon erzählt. Ihr habt Angst, was auch immer euer Dad gemacht hat, mit ihm gleich gestellt zu werden. Kann ich verstehen. Aber eines kann ich euch sagen : Ich mag euch trotzdem, auch wenn euer Dad ein riesen Arschloch und ihr etwas verkorkst seid. <
Und damit brachte sie mich dazu, noch mehr zu lächeln als vorher und ich glaubte auch eine Mischung aus Dankbarkeit und Freude in mir zu spüren. Dankbarkeit, weil sie nicht weiter auf das Thema eingegangen war und genau gewusst hatte, was sie sagen konnte und was nicht und Freude, weil sie uns so nahm wie wir waren und mich nach allem, was passiert war und sie erfahren hatte, doch mochte.
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Zwischen Lüge und Wahrheit
RomanceLucy - das schüchterne Mädchen, das allen zeigen möchte, wer sie wirklich ist Henry - der coole, gutaussehendeTyp aus der Oberstufe, der Angst hat, jemanden an sich ran zu lassen Und doch haben sie eines gemeinsam : Eine Vergangenheit, die tiefe Sp...