Chapter 17

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„Niall“, stieß ich keuchend hervor, „Was machst du hier?“
Es fiel mir schwer ein Gespräch zu führen, während der nächste Schub Wehen sich anbahnte.
„Ich konnte doch die Geburt meines Kindes nicht verpassen“, er lächelte. Es war ein warmes Lächeln, wüsste ich es nicht besser würde ich sagen, es war ein ehrliches Lächeln.
Ich schrie auf, während ich diesen Pressdruck ganz deutlich verspürte.
„Warum bist du wirklich hier?“, presste ich zwischen unerträglichen Schmerzen hervor, obwohl ich eigentlich gar keine Kraft dazu hatte.
„Ich kann den Kopf sehen!“, meine Ärztin warf mir einen gespannten Blick zu, während ich den Kopf ebenfalls ganz deutlich spüren konnte.
So konzentriert wie nur irgendwie möglich versuchte ich, den Anweisungen von Hebamme und Ärztin zu folgen, während Niall mir immer und immer wieder mit dem Handtuch die Stirn abtupfte.
Ich hatte gar keine Energie dazu, mich über ihn aufzuregen, auch wenn ich das unter anderen Umständen bestimmt getan hätte. Aber ich hatte absolut keine Kraft dazu.
Ich brauchte meine gesamten Reserven dafür, die Geburt hinter mich zu bringen und diese Schmerzen zu überstehen.
Ich hatte keine Ahnung, was zur Hölle er hier machte und weshalb er hier war – aber ich hatte gar keine Zeit, mir diese Frage zu stellen. Und so seltsam es auch klingen mochte, in diesem Moment war ich einfach nur froh, dass er hier war. Auch, wenn ich eigentlich unendlich wütend auf ihn war.
„Du hast es gleich geschafft“, Anne lächelte mir zu, während ich einen verzweifelten Blick auf die Uhr warf. Es war bereits fast Mitternacht.
„Mir ist so übel“, stöhnte ich, als Tränen unkontrolliert über meine Wangen flossen.
„Musst du dich übergehen?“, vorsichtig griff Niall nach einer der Brechschalen, die neben ihm auf einer Kommode standen und reichte sie mir.
„Danke“, gab ich zurück, bevor ich spürte, wie der Brechdrang immer größer wurde.
Als die Wehe schließlich abklang, übergab ich mich erneut – hatte allerdings Schwierigkeiten die Brechschale zu treffen. „Ich kann nicht mehr“, meinte ich plötzlich gesagt zu haben, allerdings so leise, dass niemand sonst es hören konnte.
Niemand, außer Niall.
„Du hast es gleich geschafft“, flüsterte er so nah an mein Ohr, wie nur irgendwie möglich, um die Geräuschkullisse zu übertönen.
Ich zitterte am ganzen Körper und legte meinen Kopf in den Nacken, um dem brennenden Schmerz irgendwie entgegen zu wirken.
Es war ein Schmerz, der mit nichts auf der Welt zu vergleichen war.
Ich schrie auf, so laut ich nur irgendwie konnte. Das half zwar nicht, aber es entlud eine Menge Spannungen, die sich in mir aufbauten.

Und plötzlich spürte ich, wie das Kind aus meinem Bauch hinaus ins Leben glitt. Mit einem Mal war alles vorbei.
Ich hörte Schreie, ich hörte es weinen. Ich spürte, wie mir plötzlich vor Glück Tränen über die Wangen liefen, und als ich einen Blick zu Niall warf, konnte ich sehen, wie berührt er von diesem Anblick war.
Zum ersten Mal sah ich ihn, wie er keine Maske trug. Ich sah ihn genau so, wie er war. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, diese Person wirklich mögen zu können – wenn sie sich nicht verstellte.
Ich ließ mich erschlöpft nach hinten sinken und stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Noch ehe ich mir irgendwelche anderen Gedanken machen konnte, spürte ich Anne wieder neben mir, die mir erklärte, dass die Nabelschnur noch durchtrennt werden müsste. „Hast du etwas dagegen, wenn Niall das macht?“
Ich hatte mir das also wirklich nicht eingebildet. Er war tatsächlich hier.
Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein.“
Anne nickte Niall schließlich zu und gab ihm eine speziell dafür vorgesehene Schere in die rechte Hand, allerdings nahm er sie sofort in die linke Hand.
„Sind Sie Linkshänder?“, Anne lächelte ihn an, und er nickte, bevor er ganz vorsichtig begann, die Schnur zu durchschneiden.
Nur einen Moment später sah ich, wie Anne auf uns zukam – ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie sich entfernt hatte.
„Ihr habt eine wirklich wunderschöne Tochter“, strahlte sie mir entgegen, und erst jetzt begriff ich, dass sie unser Kind im Arm hielt.
Noch ehe ich etwas erwidern konnte, legte sie sie so vorsichtig wie möglich auf meiner noch immer unbedeckten Brust ab.
Langsam hob ich meine Hand, um das weiche Handtuch, in das sie gehüllt war, um einige Zentimeter zurückzuschieben. Ich konnte niemandem beschreiben, was in diesem Moment in mir vorging. Es war ein Gefühl, das mit nichts und niemandem zu vergleichen war.
Der ganze Schmerz der letzten Stunden schien plötzlich vergessen zu sein, als ich das Kind, das ich neun Monate lang in meinem Bauch getragen hatte, in meinen Armen halten konnte – als ich sehen konnte, dass es gesund war und dass es ihm gut ging.
Und Anne hatte recht – wir hatten wirklich eine wunderschöne Tochter.
Vorsichtig, ganz vorsichtig strich ich mit meinem Zeigefinger über ihre Wange, während mir schon wieder Tränen über die Wangen flossen. Dieser Anblick rührte mich zu Tränen, ohne dass ich es wirklich merkte.
Ich sah, wie sie ihr zierliches Ärmchen nach oben hob und ihre Hand musterte, als könnte sie sich gar nicht vorstellen, dass diese auch zu ihr gehörte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je etwas so faszinierendes erlebt zu haben.
Mit einem Mal war ich unendlich glücklich. Der Schmerz der letzten Stunden war komplett verflogen, der ganze Ärger der letzten Wochen schien wie weggeblasen und all diese Magazine schienen plötzlich nicht mehr zu existieren, als ich meine Tochter endlich im Arm halten konnte.
„Sie ist komplett gesund“, meine Ärztin lächelte zuerst mich, dann Niall an. „Ihr Zustand hätte kaum besser sein können.“
Erleichterung stieg in mir auf, obwohl ich meinen Blick nicht anhob. Ich konnte nicht aufhören, sie anzusehen, ihre Wange zu streicheln, ihre Stirn zu küssen und sie vorsichtig an meine Brust zu drücken.
Ich spürte, wie Niall ihr behutsam über die Wange strich und sie ebenso eingehend musterte, wie ich es tat.
Ich war viel zu glücklich, viel zu froh, als dass ich mich über ihn oder seine Anwesenheit hätte beschweren können. Ganz im Gegenteil – eigentlich war ich sogar froh, dass er hier war, auch wenn es mich mehr als nur überraschte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie er davon erfahren hatte, aber das war auch gar nicht mehr von Bedeutung, als ich sah, wie liebevoll er sie ansah und über ihr Gesicht strich.

Sobald die Nachgeburtsphase vorüber war und Niall und ich ein weiteres Mal mit unserer Tochter allein gelassen worden waren, wurden wir nach etwa einer Stunde auf eine ganz gewöhnliche Station verlegt.
Ich konnte mir vorstellen, dass die meisten Frauen nach der Geburt ihres Kindes unendlich müde waren und schlafen wollten – ich allerdings verspürte nicht die geringste Müdigkeit. Viel zu aufregend war die Nacht gewesen, viel zu neugierig war ich auf das, was kommen würde.
Ich beobachtete Niall dabei, wie er sie auf dem Arm trug, sie hin und her wiegte, wie er ganz leise mit ihr sprach und dabei so glücklich wirkte, wie ich ihn auf keinem Foto, in keinem Interview und in keinem Artikel je gesehen hatte.
„Niall?“, fragte ich in den Raum, während ich meinen Pferdeschwanz erneuerte.
Er hielt einen Moment inne. „Ja?“
Ich lächelte, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. „Danke dass du gekommen bist.“
Nun war er derjenige, der lächelte. „Dachtest du wirklich, ich würde mir verbieten lassen, zur Geburt meiner eigenen Tochter zu erscheinen?“
„Warte“, warf ich ein, „Warum nennst du sie deine Tochter?“
Irritiert schüttelte er seinen Kopf. „Warum nicht?“
„Ich dachte du willst dich erst davon überzeugen, dass sie auch wirklich deine Tochter ist“, antwortete ich, blieb allerdings so freundlich wie nur irgendwie möglich. Ich wusste es ehrlich zu schätzen, dass er gekommen war.
„Nein“, Niall schüttelte entschlossen seinen Kopf, „Simon wollte das überprüfen.“
„Und weshalb hast du keine Zweifel daran?“
„Sollte ich etwa?“, er grinste mich an, während er wieder begann, diese schaukelnden Bewegungen fortzusetzen.
„Nein“, ich schüttelte meinen Kopf. „Ich bin nur etwas verwundert darüber, dass du nicht mit allen Mitteln versuchst, das Gegenteil zu beweisen.“
„Hör mir zu“, begann er, „Ich bin nicht so wie du denkst.“
„Ach nein?“
„Nein.“
„Und weshalb behauptest du dann bei jeder Gelegenheit, mich noch nicht einmal zu kennen?“
„Du hast keine Ahnung welchem Druck wir ausgesetzt sind, Rose“, erklräte er, „Ich hatte keine wirklich große Auswahlmöglichkeit. Ganz abgesehen davon stecke ich nicht als Einziger in der Sache.“
„Wie meinst du das?“, verwirrt zog ich beide Augenbrauen nach oben.
„Naja“, antwortete er, ohne seine wiegenden Bewegungen zu unterbrechen. „Meine Bandkollegen. Harry, Liam, Louis und Zayn – sollte ich dadurch also in Schwierigkeiten geraten, würde das die Band in Schwierigkeiten bringen. Das wiederum würde auch Schwierigkeiten für sie bedeuten.“
Noch ehe ich etwas erwidern und meinem Ärger erneut Luft machen konnte, fuhr er fort: „Das heißt nicht, dass ich mich nicht um sie kümmern werde“, stellte er klar, während er sich am Rand des Bettes niederließ, auf dem ich lag. „Alles, was ich will ist, dass die Band keinen Schaden davon nimmt. Okay?“
Zum ersten Mal schienen wir ein normales Gespräch miteinander führen zu können, ohne einen Wutausbruch meinerseits. Ich wusste nicht woran es lag, aber ich begann langsam, seinen Standpunkt zu verstehen und zu begreifen, dass nicht nur seine eigene Zukunft von der Meinung der Öffentlichkeit über One Direction abhing.
„Vielleicht können wir ja eine Einigung in der Mitte finden, eine Art Deal sozusagen“, schlug er vor, während er zuerst mich anlächelte, und schließlich unsere Tochter ansah.
Und der Blick mit dem er sie ansah, verriet mir, dass er es wirklich ernst meinte.
„Und dieser 'Deal' würde wie genau aussehen?“
Er zuckte beide Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht wäre es ja ein Anfang, die Öffentlichkeit vorerst nicht einzuweihen. Aber ich verspreche dir trotzdem, dass ich mich um sie kümmern werde.“
Aus irgendeinem mir völlig unbekannten Grund musste ich plötzlich lächeln, denn eigentlich war mir gar nicht danach.
Aber dieser Satz. Ich verspreche dir trotzdem, dass ich mich um sie kümmern werde. Er nahm mir irgendwie jede Menge Angst – und mit einem Mal wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit über gar nicht gewollt hatte, dass er zu unserem Fehler stand, sondern dass ich lediglich gewollt hatte, dass er sich um seine Tochter kümmerte.
Dass er Verantwortung für das übernahm, was uns beide bis an unser Lebensende miteinander verbinden würde, ob wir das wollten oder nicht.
„Okay“, lächelte ich ihn schließlich an und nickte. „Einverstanden.“

Sharing the secret (Niall Horan FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt