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Direkt nach dem Scheidungstermin fuhren wir weiter ins Krankenhaus. Jetzt war es Samu, der vor lauter Nervosität auf dem Stuhl unruhig hin- und herrutschte. Endlich kam der Arzt und begleitete uns ins Behandlungszimmer. Mit Hilfe einer Assistenzärztin entfernte er den Gibs von seinem Arm. Samu verzog schmerzverzerrt das Gesicht, als der Arm wieder frei war. Anschließend musste er noch geröngt werden. Wieder warteten wir auf das Ergebnis. 20 quälende Minuten später erschien endlich der Arzt mit den Röntgenbildern in der Hand und befestigte sie oben an einer weißen Tafel. Er knipste das Licht an und man konnte Samu's Hand- und Armknochen erkennen. Ohne etwas zu sagen, warf er Sekundenlang einen prüfenden Blick darauf. Samu atmete hektisch und sah mich angstvoll an. Seine Augen wurden glasig und ich hatte Angst, dass er gleich vor lauter Angst zusammenbrechen würde. „Nun sagen Sie schon, Doktor, was sehen sie auf den Bildern? Wann kann ich endlich wieder Gitarre spielen?" fragte er ungeduldig. „Lassen sie es mich mal so sagen, Herr Haber. Die Knochen sind soweit ganz gut verheilt. Aber sie werden in der nächsten Zeit noch nicht wieder voll einsatzfähig sein. Wir können den Gibs weglassen, aber sie bekommen einen stützenden Verband, mit dem sie ein wenig mehr Bewegungsfreiheit in der Hand haben werden. Bitte schonen sie ihr Handgelenk weiterhin. Wenn sie auf die Bühne gehen, dann ohne Gitarre, so schwer es auch fällt. Aber wenn sie wollen, dass alles wieder richtig verheilt, müssen sie das berücksichtigen."

Samu lief eine Träne über die Wange. Die Assistentin hatte sich bereits seine Hand gegriffen und legte mit ein paar professionellen Handgriffen den Verband an seine linke Hand an. Als sie fertig war, stand Samu wortlos auf, griff nach seiner Jacke und zog sie an. Er setzte seine Cappy und seine Sonnenbrille wieder auf und verschwand in Richtung Flur. Ich bedankte mich noch schnell beim Arzt und eilte ihm hinterher. 

Mit großen Schritten lief er zum Fahrstuhl, er war so schnell, dass ich kaum hinterherkam, weil seine Beine viel länger waren als meine. Als ich ihn eingeholt hatte, kam der Fahrstuhl gerade an und wir gingen hinein. Frustriert haute Samu auf den Knopf und sagte weiter kein Wort. Ich wollte ihn trösten, ihn in den Arm nehmen, aber er zog seinen Arm schnell weg. Ich zuckte zusammen, weil er mich abgewiesen hatte. Schweigend fuhren wir Richtung Ausgang und gingen zum Auto. Während der Fahrt nach Hause starrte er die ganze Zeit stur geradeaus soweit ich das unter seiner Sonnenbrille erkennen konnte. Sein Verhalten verunsicherte mich enorm. Machte er mich dafür verantwortlich, dass seine Hand kaputt war? Gab er mir jetzt doch die Schuld an seinem Unfall? Ich merkte, dass sich ein Kloß in meinem Hals bildete und ich versuchte, die aufsteigenden Tränen hinunterzuschlucken. Als wir oben in meiner Wohnung ankamen, stürmte ich sofort ins Bad und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich bemühte mich, nicht laut loszuweinen, weil ich nicht wollte, dass Samu etwas mitbekam. Nach ca. 10 Minuten hatte ich mich wieder halbwegs im Griff, drückte einmal die Klospülung und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser ab. Was für ein Scheißtag. Ich atmete tief durch, öffnete die Badezimmertür und schnappte mir einen vollen Wäschekorb aus dem Schlafzimmer. Samu saß auf dem Sofa und starrte ins Leere. „Ich bin mal eben im Keller", murmelte ich und verschwand schnell aus der Tür. 

Ich ließ mir extra viel Zeit unten im Waschkeller und nutzte den Moment, um durchzuatmen und diesen Tag Revue passieren zu lassen. Endlich war ich von Tim geschieden und ich konnte damit abschließen. Warum mussten Samu und ich uns ausgerechnet heute streiten? Das heißt, wir hatten uns ja nichtmal gestritten. Er ignorierte mich und ich wusste nicht, wieso. Die einzig logische Erklärung für mich war, dass er mir nun doch die Schuld an allem gab. Und ich konnte nichtmal was dagegen sagen. Ich hatte die Tabletten genommen und er wollte zu mir ins Krankenhaus kommen. Aber er hätte genauso gut in ein Taxi steigen können, stattdessen hatte er sich bei Glatteis betrunken hinters Steuer gesetzt. So allmählich schlug meine Traurigkeit in leise Wut um. Wenn er mich den Rest des Abends weiter mit Missachtung strafen wollte, dann bitte sehr, aber dann würde ich ihm gehörig den Kopf waschen. Darauf wollte ich es ankommen lassen. Fest entschlossen, ihm die Meinung zu sagen, machte ich mich zurück auf den Weg in meine Wohnung. Ich hörte im Treppenhaus leise Gitarrenklänge von oben. Ein paar Sekundenlang, dann hörte ich ein dumpfes „Plopp". „Scheiße", fluchte ich und nahm die letzten Stufen immer 2 auf einmal. Hastig schloss ich meine Wohnungstür auf und mir zerbrach fast das Herz. Samu saß auf dem Boden, die Beine anzogen und sein Gesicht in den Händen vergraben. Vor ihm auf dem Boden lag seine Gitarre und Samu weinte und schluchzte wie ein Kind. Ich ging auf ihn zu und hockte mich vor ihn. So recht wusste ich nicht, ob ich ihn nun in den Arm nehmen konnte, oder nicht. Im Krankenhaus hatte er mich zurück gewiesen, als ich ihn trösten wollte. „Samu?" Er weinte weiter und es wurde sogar noch schlimmer, als ich ihn ansprach. „Hey, ich ....ich....würde dich gern in den Arm nehmen, aber....." jetzt kamen auch mir die Tränen..."ich weiß nicht, ob du das willst..." brachte ich so gerade noch hervor und jetzt brachen auch bei mir alle Dämme. Ich weinte mit ihm und sackte in mich zusammen. Samu schaute kurz hoch, riss mich an sich und klammerte sich verzweifelt an mich, wie ein kleines Kind. 

...save me once again... (Anna & Samu Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt