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Charmant lächelte Mister Kim in den großen, beleuchteten Spiegel über seinem Waschbecken. Den Blick auf die eigenen Augen gerichtet, welche so viel mehr Kälte ausstrahlten, als Jungkooks es taten.
Von der ersten Sekunde an, hatten die großen, runden Augen des Assistenten sein Interesse geweckt. Sie hatten etwas magisches, lebendiges, was Mister Kim kaum beschreiben konnte und sich doch so sehr danach sehnte.
Der heutige Tag, war der erste, an dem Jungkooks Augen nicht lebendig geleuchtet hatten. Nur bodenlose Enttäuschung und Schmerz war in ihnen zu sehen gewesen, als Mister Kim ihm einen letzten Blick zugeworfen hatte, bevor er ging.

Blut sprenkelte das weiße Marmorwaschbecken in Mister Kims Badezimmer, als jeder weitere Schlag in den beleuchteten Spiegel seine Haut an den Fingerknöcheln mehr zerschnitt.
Schwer atmend starrte er seinem zersprungenen Spiegelbild noch immer entgegen aber lächeln konnte er nicht mehr.
Es schien, als blicke eine verzerrte, völlig fremde Fratze ihm entgegen und das Bild des zerschmetterten Glases beschrieb perfekt den Zustand seiner Seele.
Dämonengleich stahl sich ein verbitterter Ausdruck auf sein Gesicht, während ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand.
Der Geschäftsführer war leichenblass und er konnte bereits fühlen, wie das schwarze Gift erneut Besitz von ihm ergriff.
Wie es sich ätzend durch seine Venen fraß und seinen Puls verlangsamte. Wie es ihn betäubte und an seinen Gliedern riss.
Er konnte das Blut in seinen Ohren rauschen hören, als er krampfhaft versuchte die Augen offen zu halten und nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Der Besuch bei Jungkook war zu viel gewesen.
Eigentlich hatte Mister Kim klare Verhältnisse schaffen wollen und doch ging er so viel verwirrter aus der ganzen Situation heraus.
Wut und Selbsthass ließen ihn, sich keuchend am blutverschmierten Waschbecken fest halten und die zitternden Finger glitten vom glatten Marmor, als die Kraft ihn verließ.
Hart traf er mit dem Hinterkopf auf die Mosaik Fliesen und alles in ihm bäumte sich gegen das schwarze Gift auf, doch er verlor.
Blutend sackte Mister Kim in eine tiefe Bewusstlosigkeit genau in dem Moment, als Jungkook sich für das Leben und gegen einen Sprung vom Dach des Hochhauses entschied.

Eine ganze Weile hatte der Assistent gebraucht, um sich vom Küchenboden auf zu rappeln.
Er hatte bittere Tränen geweint, als er seine Hose gewechselt und das ganze Ausmaß Mister Kims schamloser Aktion erkannt hatte.
Bodenlose Verwirrung tobte in seinem Geist und keinen klaren Gedanken konnte er fassen, nachdem sein Chef gegangen war.
Es schien, als ob der mächtige Mann nicht nur die Kontrolle über seinen Körper sondern auch die Kontrolle über seine Gedanken an sich gerissen hätte.
Jungkook fühlte sich seltsam seiner Unschuld beraubt und ihm war deutlich bewusst, wie schädlich und gefährlich die Anziehungskraft seines Chefs war.
Längst hatte er verstanden, dass er nie eine Chance gehabt hatte in einer Liga mit ihm zu spielen. Ihm einmal auf Augenhöhe zu begegnen oder ihn irgendwie beeindrucken zu können.
Er fühlte sich nicht nur bloßgestellt und gedemütigt sondern auch absolut dumm.

Irgendwie hatte Jungkook es geschafft, sich eine neue Jogginghose an zu ziehen und schließlich durch die kleine Luke auf die Dachterrasse hinauf zu klettern.
Neben seiner Wohnung war das Dach einer seiner Lieblingsorte. Hier konnte er, abgeschirmt vom Krach der Welt, ungestört seinen bunten Gedanken nachgehen, während am Fuße des Hauses, alles im grauen Einheitsbrei der Stadt versank.
Der eisige Wind, welcher über die Dächer Seouls fegte, wirbelte das dunkelrote Haar in seiner Stirn auf und einige Regentropfen stoben lautlos an ihm vorbei, während er einen Schritt nach dem anderen auf das Geländer zu ging.
Das aufgequollene Teakholz unter seinen Füßen knackte dumpf immer wieder bedrohlich, als er darüber ging und neben dem Duft von nächtlichem Regen, roch es nach feuchtem Holz und Mister Kims dominantem Aftershave, welches Jungkook nicht aus dem Kopf gehen wollte.
Gefährlich weit lehnte er sich über das kalte Geländer und seine Hände schmerzten und brannten als er sich gerade noch am eisigen Metall fest hielt.
Abenteuerlustig hob er ein Bein an und schob es über die Brüstung, sodass er nur noch mit dem anderen Fuß Halt auf dem rutschigen Holz der Terrasse fand.
Jungkook war sich nie sicher über den Sinn seines Lebens gewesen. Er wusste schlicht nicht, was seine Aufgabe war und welchen Platz die Welt für ihn bereithielt.
„Kümmerst du dich nicht um deine Schwester tut es niemand und dann stirbt sie und du bist daran schuld.", hatte seine Mutter ihm verzweifelt und unter Tränen gesagt, kurz bevor sie so krank wurde, dass sie keinerlei Emotionen mehr zeigen konnte.
Tatsächlich war die letzte, wirkliche Regung in ihrem eingefallenen Gesicht, blanke Sorge um Minsa gewesen.
Sie starb mit der stummen Bitten in den Augen, dass es ihrer Tochter nicht ebenso ergehen mochte wie ihr.
Jungkook hatte kein einziges Mal mehr gehört, dass seine Mutter ihn liebte oder sich für ihn ein schönes Leben wünschte. Es war schlicht nicht die Aufgabe des 20- Jährigen nach seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu leben. Etwas aus seiner Musik zu machen, zu tanzen oder die Welt zu sehen, so wie es immer sein Traum gewesen war.
Sein Vater hatte stets gesagt, dass er ein Träumer sei und aus ihm vermutlich nie ein richtiger Mann werden würde.
Er selbst war einst Geschäftsmann gewesen. Viel zu unterkühlt, viel zu emotionslos und abgeklärt.
War es also Jungkooks Aufgabe genauso zu werden? Oder war es seine Aufgabe sein Leben für das seiner Schwester zu opfern? War er dazu verdammt für immer unsichtbar zu sein und sich von seinem Chef herumschubsen zu lassen um Minsa dafür retten zu können?
Jungkook musste kaum über diese Frage nachdenken. Er hielt sich selbst noch nie für wichtig und ihm war alles Recht um seine Schwester, die so viel sichtbarer war als er, zu retten.
„Vielleicht hätte ich gar nicht geboren werden sollen.", flüsterte er in den eisigen Wind und seine Worte wurden beinahe vollständig vom stärker werdenden Regen verschluckt.
„Vielleicht hätte ich das aber jetzt ist es zu spät."
Keuchend zog er sich wieder auf die sichere Seite des Geländers und lies sich kraftlos zu Boden fallen.
Schwer atmend stützte er sich mit den Händen auf dem feuchten Holz ab und ließ sich auf den Rücken sinken.
Kalte Regentropfen stürzten auf sein Gesicht, während er immer wieder blinzelnd versuchte, in den Himmel zu schauen.
Mit pochendem Herzen wurde Jungkook das erste Mal klar, wie das Gefühl benannt wurde, welches so schmerzhaft in seiner Brust pulsierte. Es war nicht nur Demütigung, die er empfand, sondern auch Liebeskummer.
Der Schmerz, einer nicht erwiderten Liebe, die trotz all dem Selbsthass, der harten Kritik und dem heftigen Druck von Außen zu ihm vorgedrungen war.
Ironisch lachte er in den Regen, drehte sich auf die Seite und zog die Knie an, während die Tropfen sich in seine Kleidung saugten.
Jungkook hatte sich verliebt und dem Schicksal schien es völlig egal zu sein, wie unpassend die Umstände waren.

Eine ganze Weile, verharrte er regungslos in seiner Position, ehe er sich keuchend aufrichtete.
Seine Muskeln zitterten vor Kälte und Erschöpfung und doch zwang er sie dazu sich anzuspannen.
Es war Aggressivität, Wut, Verzweiflung aber auch Liebe, die er durch die kraftvollen Bewegungen seines Körpers sprechen ließ, als er begann zu tanzen.
Die regnerische Nacht, aufgewirbelt durch seinen Tanz, war sein einziger Zuschauer.
Jungkook tanzte zu einer Melodie, die nur er hören konnte und mit geschlossenen Augen lauschte er, wie der Klang des Regens sich auf seinem Körper veränderte, je nachdem wie er sich bewegte.
Das Prasseln hörte sich fast wie Applaus an und nachdem er völlig außer Atem war, verbeugte er sich lächelnd vor seinen unsichtbaren Zuschauern. 

BLACK POISON [TaeKook] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt