Henry
Etwas verspätet, aber mit bester Laune kamen wir an der Konzerthalle an. Doch schon nach den ersten paar Minuten war das völlig vergessen und Alex und Lucy sangen und tanzten zu der Musik.
Bis jetzt war ich zwar noch nicht ganz von der Band überzeugt, aber schon alleine wie glücklich mein Bruder und Lucy aussahen, brachten auch mich dazu, Spaß zu haben und nach einer Weile tanzte ich mit ihnen mit.
>Wen magst du eigentlich
am meisten? <
Hörte ich Alex zu Lucy rufen, die sich daraufhin leicht zu ihm vorbeugte.
>Ich mag am meisten Felipe, den Gitarristen. <
>Nicht den Liedsänger? <
Lucy schüttelte den Kopf.
>Er ist Spanier, oder? Deshalb magst du ihn am meisten. <
>Ja, genau deshalb. Aber woher weißt du das?<
Etwas verwundert sah sie mich an.
>Euer Nachname Garcia. Deine Oma hat mir erzählt , dass ihr spanische Wurzeln habt. Und den Rest habe ich einfach geraten. Ich meine diese braune Haut kann nur jemand aus dem Süden zu dieser Jahreszeit haben. <
>So hast du sie also um den Finger gewickelt. <
Um den Finger gewickelt? Was sollte das denn heißen?
>Immer wenn man mit meiner Oma über ihre Familie oder ihre Herkunft aus Spanien redet, schließt sie einen gleich ins Herz. Jedenfalls, wenn man dabei nichts falsches sagt oder einen schlechten Eindruck macht. <
>Du meinst also, deine Oma
mag mich? <
Schief lächelnd schaute sie mir in die Augen.
>Auf jeden Fall. Du solltest dich deshalb auch glücklich schätzen. Meine Oma hat noch nie einen meiner Freunde wirklich gemocht. <
Und schon wieder dieses Wort. Freunde.
Ein leichtes Kribbeln breitete sich in mir aus. Wir waren also Freunde.
Wow. Ich hatte also einen weiblichen Freund. Was für eine Premiere!
Noch dazu mochte mich ihre Oma auch. Ich fühlte mich wirklich geschmeichelt.
Nach einigen weiteren Songs holte Alex uns etwas zu trinken und verschwand für einige Minuten.
Dummerweise genau dann, als sie Band einen ihrer langsamen und romantischen Songs sang und alle um uns herum zusammen mit ihrem Partner oder einen ihrer Freunde tanzten.
Als ich Lucy Blick auffing, der genauso unschlüssig aussah, wie meiner, überlegte ich nicht lange, nahm ihre Hände in meine und zog sie an mich.
Zuerst war ihr Körper völlig steif und ihre Hände zitterten etwas.
Doch nach ein paar Sekunden legte sie ihren Kopf auf meinen Brustkorb, ich verstärkte meinen Griff und wir fingen langsam an, uns zum Takt der Musik zu bewegen.
Es war ungewohnt für mich, so mit einem Mädchen zu tanzen. Das letzte Mal war schon sehr lange her, doch daran wollte ich jetzt nicht denken. Es war, bevor alles den Bach runter ging und mein Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammen fiel.
Daran wollte ich heute nicht denken. Heute war nicht die Vergangenheit und Lucy war nicht jenes Mädchen, was mich zu tiefst verletzt hatte.
In meinen Gedanken versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, dass Lucy ihren Kopf wieder von meinem Brustkorb gehoben hatte und mich nun ansah.
>Alles ok? Du siehst so... traurig aus. <
Ich sah zu ihr runter. In ihre wunderschönen blaugrünen Augen, die durch das Bühnenlicht nur noch mehr strahlten.
>Mach dir keine Sorgen, Lucy. Ich war eben nur ein bisschen in meinen Gedanken versunken. <
Immer noch misstrauisch sah sie mich eindringlich an. Ich musste wieder lächeln. Sie sah wirklich süß aus.
Langsam hob ich meine Hand von ihrer Hüfte und streichte einer ihrer nach vorne gefallenen Haarsträhenen hinter ihr Ohr. Ich merkte wie sie sich wenige Sekunden wieder versteifte und die Luft anhielt, bis ich ihr wieder in ihre Augen sah und sie sich wieder entspannte.
Was tat ich hier überhaupt?
Doch bevor ich mir darüber noch mehr Gedanken machen konnte, bemerkte ich aus meinem Augenwinkel heraus eine andere Person zu uns kommen.
>Also wenn man euch nicht kennen würde, könnte man denken ihr wärt ein glücklich verliebtes Paar. <
Und schon war der Moment vorbei.
Lucy und ich lösten uns so schnell wie es ging voneinander und sahen uns verwirrt und peinlich berührt an.
Uns beiden war gerade nicht bewusst gewesen, was wir taten und nun konnten wir uns nicht mehr in die Augen schauen.
Noch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, war der Song zu Ende und alle um uns herum lösten sich voneinander und schauten wieder zur Bühne.
Auch Lucy drehte sich blitzschnell um, was ich in diesem Moment als Erlösung sah und mich wieder entspannte.
Während die Band ihren letzten Song anstimmte, kam Alex zu mir und stellte sich neben mich.
>Immer noch "nur" Freunde? <
>Alex...! <
>Hey, ich bin dein Bruder, Henry. Ich sehe doch, wenn du... <
>Hör auf. Da läuft nicht
zwischen uns. <
>Das sah aber eben ganz anders aus. Weiß Zoe davon? <
>Was interessiert mich Zoe? Sie ist mit Luca zusammen. <
>Ich weiß. Nur wir beide wissen, dass sie immer noch schrecklich in dich verknallt ist und nur mit ihm zusammen ist, um dich eifersüchtig zu machen. <
Ich beobachtete Lucy, wie sie wieder anfing zu tanzen und sich neben bei mit einem anderem Mädchen unterhielt.
>Du weißt, was Zoe für mich war. Warum sollte es mich kümmern, wenn sie mitbekommt, dass ich mit einem anderem Mädchen
was mache. <
>Weil genau das das Problem ist. Zoe hat dir nichts bedeutet. Das konnte sie nie akzeptieren. Wenn sie davon Wind bekommt, dass du und Lucy... <
>Dass wir was? Alex, wir sind nur Freunde. Außerdem musste ich mich bei ihr wegen etwas... entschuldigen, deshalb sind wir hier. <
Alex seufzte.
>Es geht mir einfach darum, dass Lucy wirklich ein tolles Mädchen ist und ich ganz genau weiß, dass du nicht willst, dass ihr irgendetwas passiert. Warum auch immer du so auf sie reagierst. <
>Was hat das mit Zoe zu tun? <
>Egal, ob ihr nur Freunde oder was auch immer seid, Zoe wird eifersüchtig sein und wir wissen beide, wozu sie fähig ist.
Pass einfach auf, ok? <
Ich nickte langsam. Alex hatte recht. Wenn Zoe hier von Wind bekam, würde sie mir Sicherheit Lucy das Leben zur Hölle machen.
>Ich werde mein besten geben, dass Lucy nichts passiert. <
Und schon drehte Lucy sich wieder zu uns um.
>Was ist mit mir? <
>Henry hat mir nur gerade erzählt, wie schön es war mit dir zusammen zu tanzen. <
Alex grinste Lucy viel sagend an, Lucy wurde rot und ich seufzte.
>Alex, was erzählst du denn da?<
Ich sah wieder zu Lucy und wollte ihr gerade klar machen, dass es nicht so war, wie es sich gerade anhörte, doch dann sah ich, wie verletzt sie plötzlich aussah und merkte, was ich da gesagt hatte.
>Das hat sich jetzt etwas... bescheuert angehört, tut mir leid. <
>Schon gut, ich weiß schon, du meintest es nicht so. <
Ich glaubte wirklich so etwas wie Enttäuschung in Lucy's Gesichtsausdruck zu sehen, als sie mich noch einmal ansah und sich wieder zur Bühne drehte.
>Danke, Alex. <
Knurrte ich an meinen Bruder gerichtet. Kurzerhand entschloss ich mich dazu, noch einmal klar zu stellen, dass es absolut nicht schrecklich gewesen war mit Lucy zu tanzen, ganz im Gegenteil. Es war wirklich schön.
Also ging ich die paar Schritte die mich von Lucy trennten nach vorne und stellte mich genau hinter sie.
Sofort wurde ich von Zimtgeruch umhüllt, der mich sofort wieder an die Weihnachten in meiner Kindheit erinnerten, als wir alle zusammen am Weihnachtsmorgen in der Küche standen und Plätzchen gebacken hatten. Vorallem aber erinnerte ich mich an die Zimtsterne, die meine Mum auch heute noch jede Weihnachten backte.
Eins war auf jeden Fall klar. Dieses Mädchen liebte Weihnachten und stimmte sich schon 2 Monate vorher darauf ein.
Leicht beugte ich mich zu Lucy runter, damit ich ihr ins Ohr flüstern konnte, ohne dass mich jemand anderes verstehen konnte.
>Ich meinte es wirklich nicht so.
Und falls es dich interessiert, ich fand es sogar echt schön mit dir zu tanzen, warum auch immer. <
Lucy drehte sich zu mir um und plötzlich war alles vergessen.
Sie war mir auf einmal so nah,ihr Atem streifte mein Gesicht und ihre klaren Augen waren genau auf mich gerichtet.
Mit einem leichten Lächeln sah mich an und auch wenn es vielleicht falsch war, genau so stehen zu bleiben, fühlte es sich doch richtig an.
>Es hört sich vielleicht verrückt an, aber ich fand es auch schön und habe, genau wie du,
keine Ahnung warum. <
Ihre Stimme war genauso leise wie meine, während sie sprach und ich wünschte mir plötzlich, nie wieder eine andere zu hören.
>Die Frage nach dem Warum bleibt immer, oder? <
Mit einem traurigen, aber zugleich wissenden Lächeln, als würde sie genau wissen und verstehen, was ich meinte, drehte sie sich wieder zur Bühne. Dieses Mal lehnte sie sich aber langsam an mich zurück und ohne genau zu realisieren, was hier passierte, legte ich meine
Arme um ihren Körper.
Irgendwann stellte sich auch Alex wieder neben uns. Er hatte zwar immer noch unsere Getränke, doch die waren zur neben Sache geworden, denn ich konzentrierte mich auf etwas ganz anderes.
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Zwischen Lüge und Wahrheit
RomanceLucy - das schüchterne Mädchen, das allen zeigen möchte, wer sie wirklich ist Henry - der coole, gutaussehendeTyp aus der Oberstufe, der Angst hat, jemanden an sich ran zu lassen Und doch haben sie eines gemeinsam : Eine Vergangenheit, die tiefe Sp...