Part 9

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Lucy

Das restliche Wochenende war wie im Flug vergangen. Nachdem Henry und Alex mich wieder zurück zu meiner Oma gebracht hatten und am nächsten Morgen meine Eltern mit meinen Geschwistern nach ihrem kurz Tripp auch zu meiner Oma gekommen waren, verlief der Tag, wie jeder andere Sonntag in unserer Familie auch.
Wir hatten zusammen Mittag gegessen, uns von Oma verabschiedet und waren dann zu Hause mit unserem Hund Balou zu einem langen Spaziergang aufgebrochen.
Zwar hatten meine Eltern bemerkt, dass ich sehr erschöpft und müde war, jedoch nahmen sie an, dass meine Schulwoche wieder mal sehr stressig gewesen sein musste und die Hausarbeit bei meiner Oma mich sehr geschafft hatte.
Natürlich wiedersprach ich ihnen nicht, auch wenn der Hauptgrund, warum ich so erschöpft war woanders lag und ich es hasste meine Eltern an zu lügen. Doch theoretisch log ich sie nicht an, ich verheimlicht ihnen schlicht und ergreifend etwas.
Auch wenn ich mich sonst schlecht fühlte, wenn ich etwas getan hatte, was meinen Eltern nicht gefiel, machte ich mit dieses Mal keine Gedanken um diese Sache, sondern eher um das, was bei dieser Sache passiert war.
Eigentlich war überhaupt nichts passiert, außer, dass ich mit Henry getanzt hatte. Eng umschlungen. Und das wir geredet hatten eng umschlungen. Und dass es mir eine Haarsträhne aus meinem Gesicht gestrichen hatte, eng umschlungen.
Aber das war noch nicht mal das Schlimmste. Sondern eher, dass wir beide nicht gewusst hatten , warum wir das getan hatten.
Und dieses Warum geisterte mir auch noch am Montag morgen, auch nach den ersten 3 Stunden im Kopf rum.
Als es endlich zur lang ersehnten Frühstückspause klingelte, war dies wie eine Erlösung für mich.
>Alles in Ordnung mit dir, Lucy? <
Erst als Sumi mich ansprach, bemerkte ich erst , dass sie sich zu mir gesellt hatte und neben mir durch die Flure unserer Schule lief.
Sumi war vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland gezogen. Ursprünglich kam sie aus Südkorea, weshalb man sie am Anfang nicht verstehen konnte, da sie nur einen Bruchteil Deutsch konnte.
Die meisten wurden davon abgeschreckt und hielten sich von ihr fern, aber aus irgendeinem Grund hatte ich Sumi als sie in meine Klasse kam, sofort gemocht und wenig später auch angesprochen.
Heute war sie einer meiner engsten Freunde, wovon es jedoch nur wenige gab, weshalb Sumi mir sehr wichtig war.
>Ich hatte einfach ein anstrengendes Wochenende. <
Während wir weiter liefen, erzählten wir uns gegenseitig von unserem Wochenende. Bewusst hatte ich mich dazu entschieden Sumi oder überhaupt jemandem nicht von Henry und Alex zu erzählen. Mein Gefühl sagte mir, es sei besser, diese Sache erst mal für mich zu behalten.
Also änderte ich die Wahrheit etwas ab und erzählte ihr, dass ich, nachdem ich meiner Oma geholfen hatte, nur noch einen entspannten Abend mit ihr verbracht hatte.
>Sag mal, verheimlichst du mir da nicht etwas? <
Abrupt blieb ich stehen und sah Sumi an. Ihre braunen Augen musterte mich und ich erkannte einen kleinen Schimmer Enttäuschung.
Konnte sie wirklich von Henry und Alex erfahren haben? Aber woher?
Und wenn sie es wusste, wussten es die anderen auch?
>Wo-wovon spricht du? <
Ich verfluchte mich innerlich selbst, da ich angefangen hatte zu stottern. Jetzt würde sie sofort Verdacht schöpfen.
>Willst du es mir wirklich nicht erzählen? <
>Was erzählen? <
Zwar wusste ich ganz genau, was sie wissen wollte, aber trotzdem zögerte ich dieses Gespräch heraus, auch wenn klar war, dass ich es ihr wohl oder übel erzählen würde.
Langsam liefen wir weiter.
>Warum willst du es nicht erzählen? Er sieht doch mega gut aus und wie ihr zwei aus saht...
Wie lange läuft da schon was? Und wieso hast du nichts erzählt? <
Okay, ja sie wusste und so wie ich Sumi kannte, würde sie nicht mehr locker lassen.
>Sumi, um ganz ehrlich zu sein, ich weiß überhaupt nicht, wie ich es erklären soll. Was ich dir aber versichern kann, ist, dass... <
Weiter kam ich nicht, denn plötzlich quietscht sie los und rüttelt an meinem Arm.
>Was...? <
Sumi zeigte nach vorne, in den Eingangsbereich unserer Schule und da stand ER.
Das hatte gerade noch gefehlt. Die Situation war so schon kompliziert genug,denn wie sollte ich Sumi erklären, was passiert war ohne von der Sache zu erzählen, die eigentlichen nur unter Henry und mir bleiben sollte?
>Ich weiß zwar nicht, wie du das geschafft hast, aber ich freue mich so für dich. In dem Video saht ich so süß aus. <
Video? Was für ein Video? Hieß das, dass alle Bescheid wussten?
>Sumi, ich glaube ich muss dir da etwas erklären und... <
>Psst, er kommt her! <
Das dürfte doch nicht wahr sein. Das konnte nicht sein Ernst sein.
>Lucy? <
Sumi's Lächeln wurde größer und ihre Augen strahlten neugierig.
Ich drehte mich zu Henry um, der mich abschätzig musterte.
Höchstwahrscheinlich war ich wieder mal als letzte auf dem neuestem Stand und Henry wusste nicht, wie ich auf diese Situation reagieren würde.
>Ja...? <
>Ich glaube, wir sollten reden über du weißt schon... <
>Am Besten ich lasse euch mal alleine. Wir sehen uns dann im Unterricht, Lucy. <
Schnell machte sich Sumi aus dem Staub und ließ mich völlig allein. Klar, sie hätte nichts tun können, schon gar nicht, da sie die Hintergründe nicht kannte, jedoch hätte ich allein schon ihren seelischer Beistand benötigt.
Als ich ihr hinterher schaute, wie sie durch die Tür zum Schulhof lief, fiel mir erst jetzt auf, dass mich mehrere Schüler an schauten, beziehungsweise Henry und mich.
>Lass dich von denen nicht einschüchtern. Sie sind nur schaulustig mit wem ich
zu tun habe. <
Ich richtete meinen Blick auf Henry und versuchte die anderen zu vergesse.
Mit einem kurzen Nicken deutete er mir an, sich etwas von den an uns vorbei laufenden Schülern zu entfernen und wir gingen in eine ruhigere Ecke.
>Du hast sicher schon  davon mitbekommen,oder? <
>Ganz ehrlich? Bis eben wusste ich von nichts. Bis Sumi mir von dir, mir und irgendeinem Video erzählt hat. <
>Du hast es also nicht gesehen? <
Langsam verzweifelte ich. Wovon sprach er denn?
>Was gesehen?<
Henry seufzte und ich hatte das ungute Gefühl, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
>Es geht um...Wie soll ich dir das bloß erklären? Es ist so, dass jemand aus unserer Schule ein Video gepostet hat, indem wir beide... <
Er beendete seinen Satz nicht und sah mich voller Schuldgefühle an.
>Ich wollte wirklich nicht, dass sowas passiert, Lucy. Es tut mir so unendlich leid. <
Immer noch verstand ich nur Bahnhof. Alles war immer noch völlig verwirrend.
>Was machen wir in dem Video und warum tut es dir so leid? Henry, ich verstehe hier gerade gar nichts.
>Dieser jemand hat uns gefilmt, als wir zusammen auf dem Konzert waren. <
>Okay, es hat uns jemand gefilmt, als wir auf dem Konzert waren. Trotzdem verstehe ich nicht, warum du dich da bei mir entschuldigst. <
Wieder seufzte er.
>In dem Video ist der Moment zu sehen, als Alex nicht da war, wir zusammen getanzt haben und... was auch immer dann passiert ist. <
Schon wieder geisterte mir dieses Warum durch den Kopf. Zwar wusste ich und mit Sicherheit auch Henry WAS passiert war, dieses WARUM konnte sich jedoch keiner von uns erklären.
Schnell schüttelte ich diesen Gedanken wieder ab. Es ging hier um etwas anderes.
>Man sieht uns also zusammen tanzen und dann...
Gut, das habe ich verstanden, aber warum entschuldigst du dich dann? Müsste ich das nicht eher tun? Ich meine, es ist dir doch bestimmt peinlich, dass du und ich zusammen zu sehen sind. <
>Du bist mir doch nicht peinlich, Lucy! Und wir beide wissen ja auch, dass es nicht so ist, wie die anderen sich das denken,nur können wir ihnen schlecht erklären, wie es wirklich dazu gekommen ist,dass wir zusammen auf ein Konzert gegangen sind. Klar, dass mit dem Tanzen, da wissen wir beide nicht, warum ,aber...<
>Warte,warte,warte. Was denken denn die Leute...? <
Henry's Blick verriet mir schon, bevor er es ausgesprochen hatte, was die Leute dachten.
Das durfte doch wirklich nicht wahr sein. Es konnte nicht wahr sein.
>Bitte sag nicht das, was ich denke, dass du jetzt sagst. <
Immer noch schuldbewusst sah er mich an. Wir wussten beide, dass wir da in einer beschissen Situation gelandet waren, trotzdem verpasste es mir einen tiefen Schlag, als er es wirklich aussprach.
>Die Leute denken, dass wir wirklich ein Paar sind. <

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