Silvesternacht

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31. Dezember 2019, 23:50 Uhr.

In fünf Minuten werden wir uns treffen. An einem abgelegenen Ort außerhalb der Stadt, welchen wir vor 17 Jahren zufällig entdeckt haben. Ich brauche ungefähr zwei Minuten mit dem Auto. Das bedeutet, dass ich noch drei Minuten Zeit habe, um mich fertig zu machen. Ich höre von draußen den Lärm einzelner Feuerwerkskörper, die von irgendwelchen Menschen wie jedes Jahr zu früh abgefeuert werden. In den ersten Jahren nach meinem Umzug empfand ich diesen Lärm als störend und verabscheute ihn sogar, doch mittlerweile habe ich mich an diesen gewöhnt. Ich liebe ihn sogar. Ich überprüfe erneut meine Hosentaschen, um sicher zu gehen alles dabei zu haben. Handy. Geldbeutel. Taschenmesser. Schlüsselbund. Alles da. Ich lege meine Armbanduhr an und schalte den Fernseher, auf welchem wie jedes Jahr ein Silvester-Countdown läuft, aus.

31. Dezember 2019, 23:51 Uhr.

Als nächstes überprüfe ich zur Sicherheit den Beutel mit dem Geschenk für meinen Freund, welches ich sehr sorgfältig ausgewählt habe. Das silberne, metallische Objekt ist sicher in einer Box verstaut. Ich bin mir sicher, dass es meinem Freund so gut gefallen wird, dass ich ihm danach nie wieder etwas schenken muss. Ich lächle bei diesem Gedanken. Unweigerlich muss ich an meinen Freund denken. Wie lange sind wir nun schon befreundet? 20 Jahre? 30? Und in all dieser Zeit haben wir immer zusammengehalten und den anderen unterstützt. Na ja. Bis auf das vergangene Jahr zumindest, in welchem mein Freund so gut wie keine Zeit mit mir verbracht hat. Er hatte angeblich Wichtigeres zu tun. 'Was könnte wichtiger sein als der beste Freund?' Dieser Gedanke ist mir in den letzten zwölf Monaten des öfteren in den Kopf gekommen. Immerhin hat er dem heutigen Treffen zugesagt. Dem Treffen, welches unsere Freundschaft beenden wird.

31. Dezember 2019, 23:52 Uhr.

Ein weiterer Feuerwerkskörper explodiert und ich muss erneut grinsen. Dieser Tag ist, aufgrund des Feuerwerks, der perfekte Tag für unser Treffen. Aus irgendeinem mir unbekannten Grund muss ich wieder an das vergangene Jahr denken. An die vielen Male, in denen er mir abgesagt hat. An die vielen Male, in denen er mich ignoriert hat. Aber auch an die wenigen sehr schönen Treffen und Gespräche, die wir 2019 hatten. Ich fange an, mein Vorhaben zu überdenken. 'Aber ist das wirklich richtig? Bin ich bereit, unsere Freundschaft so zu beenden?' Doch egal wie oft ich darüber nachdenke, die Antwort bleibt immer dieselbe: Ja! Die letzten 364 Tage, 23 Stunden und 52 Minuten haben mich in meiner Entscheidung gefestigt; ich bin bereit es zu tun! Ich ziehe meine Schuhe, Jacke und Handschuhe an, nehme den Beutel und verlasse meine Wohnung.

31. Dezember 2019, 23:53 Uhr.

Ich schließe meine Tür ab und sowohl die Garagen- als auch die Autotür auf. Nachdem ich auch die Garagentür wieder abschließe, fahre ich auf der Straße aus meiner Stadt raus. Im Radio läuft mal wieder einer dieser generischen Pop-Songs.  - Ich würde euch gerne den Namen des Songs nennen, damit ihr ihn in eurem Kopfradio abspielen könnt. Unglücklicherweise klingen diese Songs für mich alle gleich, weswegen ich euch damit nicht dienen kann. -  Nach wenigen Kilometern biege ich auf eine Landstraße ab, an deren Ende ich mein Auto neben der Straße abstelle. Ich nehme den Beutel und laufe die letzten 933,5 Meter zu unserem Treffpunkt. Dieser befindet sich an einem See mitten in der Natur. Mehrere Kilometer von jeglichen Städten, Straßen oder sonstigen Störenfrieden entfernt. In diesem See leben einige Fische, Frösche und sogar Enten. Als ich ankomme, werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr, welche mir mitteilt, es sei bereits 23:56 Uhr. Ich muss in Zukunft scheinbar mehr Sport machen. Allerdings ist mein Freund ebenfalls zu spät, es ist also alles gut.

31. Dezember 2019, 23:58 Uhr.

Er ist bereits drei Minuten zu spät und ich fange an zu denken, dass er mich versetzt hat. 'Natürlich hat er das. Wie er es das ganze Jahr über getan hat.' Ich fange an wütend zu werden. Wütend auf ihn, weil er nicht kommt. Wütend auf das Feuerwerk, weil es so laut ist. Wütend auf mich, weil ich tatsächlich geglaubt habe, er würde kommen. Sogar wütend auf die Tiere im See, weil sie es wagen, Geräusche zu machen. Ich bin so wütend und kenne nur einen Weg, um diese Wut zu mindern; ich hole die Box aus dem Beutel und öffne sie. Nachdem ich den Gegenstand für kurze Zeit angeguckt habe, hole ich ihn aus der Box. Ich halte inne und überlege, ob ich es wirklich tun will. Immerhin gibt es danach kein zurück mehr, danach ist alles aus. Doch die Wut besiegt die Vernunft in einem spektakulären, mehrere Episoden andauernden Endkampf und befiehlt mir, es endlich zu tun.

31. Dezember 2019, 23:59 Uhr.

Doch kurz bevor ich es tun kann, höre ich Schritte hinter mir. Bevor die Person den Gegenstand sehen kann, verstaue ich ihn schnell in der Box und lasse diese in den Beutel fallen. Ich drehe mich um und bin überrascht, als ich sehe wer die Person über den Schritten ist: Mein alter Freund! Er lächelt, als er mich sieht, während er weiter auf mich zuläuft. Unweigerlich muss ich auch anfangen zu grinsen und komme ihm entgegen. Als wir voreinander stehen, umarmen wir uns und fangen an zu reden. "Ich dachte schon, du hast mich versetzt und kommst gar nicht mehr." "Es tut mir wirklich Leid, aber ich habe die Zeit falsch eingeschätzt. Ich dachte, ich bräuchte nur eine Minute, wenn es in Wirklichkeit fünf waren." "... Immerhin bist du jetzt da und sogar pünktlich zum Feuerwerk." "Perfektes Timing." Er lacht. "Was ist eigentlich in dem Beutel?" "Ein Geschenk für dich." Ich hole die Box aus dem Beutel und öffne sie so, dass er den Gegenstand nicht sieht. Ich hole den Gegenstand aus der Box und es ertönt ein lauter Knall.

1. Januar 2020, 00:00 Uhr.

Wenig später ertönt ein weiterer Knall und noch einer. Tausende von Raketen steigen in die Luft und Millionen von Menschen bestaunen sie. Sei es live vor Ort oder zu Hause vor dem Fernseher, Computer oder Smartphone. Es werden Neujahrsvorsätze gemacht, die größtenteils nicht eingehalten werden. Und Freunde und Familien stoßen gemeinsam an, während sie sich gegenseitig ein frohes neues Jahr wünschen. Aber zwei Freunde machen nichts davon. Ihre Freundschaft ist für immer beendet...


Hier ist sie also, meine erste Geschichte. Ich hoffe ja, sie hat dem ein oder anderen gefallen und ich würde mich wahnsinnig über Feedback und konstruktive Kritik freuen. ^^ Außerdem wünsche ich jedem, der das ließt, einen schönen Abend sowie ein glückliches und gesundes 2020. Einen guten Rutsch allerseits :D Und wenn ihr schon in 2020 seid, hoffe ich, dass ihr gut angekommen seid und dass das Jahr nicht komplett scheiße begonnen hat.

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