Henry
Lucy's Augen wirkten plötzlich zu tiefst verletzt, doch bevor ich mehr darin erkennen konnte, wandte sie ihren Blick von mir ab und seufzte.
>Ich kann mir schon vorstellen, was jetzt kommt, also bitte, rede nicht um den heißen Brei herum, sondern sag es einfach frei heraus. Das macht es uns beiden einfacher. <
Ich konnte sie weiterhin nur noch an starren. Vor wenigen Minuten, als ich sie während ich auf sie zu lief beobachtet hatte, wirkte sie eingeschüchtert, danach war sie vollkommen offen und hatte mit Alex und mir gescherzt, aber als wir das ernstere Thema angesprochen hatten, hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt und jetzt wirkte sie plötzlich völlig enttäuscht. Und ich konnte mir einfach nicht vorstellen warum.
Oder was sie dachte, was ich jetzt sagen würde, denn ich wusste es selbst nicht.
Ich war völlig verwirrt. Von ihr, dieser Situation und vor allem von mir selbst. Wann war es das letzte Mal vorgekommen, dass ich völlig sprachlos war?
>Ich glaube es wäre besser, wenn ich euch eine Weile allein lasse. Ihr solltet dringend besprechen, was ihr jetzt vor habt. <
Und damit verließ Alex uns.
Eine Zeit lang sahen Lucy und ich uns einfach nur an. Keiner von uns schien zu wissen, was er sagen oder tuen sollte, bis ich selbst meine Stimme wieder fand.
>Lucy..., ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll, was du erwartest was ich sagen soll oder wie es jetzt weiter geht. Vielleicht erklärst du mir erstmal, was du gedacht hast, was ich zu dir sage. <
Meine Stimme klang völlig verwirrt, fast schon verletzlich und ich verfluchte mich innerlich dafür. Vor einigen Monaten hatte ich mir doch hoch und heilig versprochen meine Gefühle nicht nach außen zu zeigen.
>Dass du mich wirklich fallen lassen wirst. Und wirklich alle denken ich wäre so eine komplett naive Tussi.
- Mal abgesehen davon, dass ich das nicht bin, ist mein Leben schon kompliziert genug und dieses Video, das von irgendeinem Vollidioten aufgenommen wurde, macht mich nur zur Zielscheibe der anderen Schüler. <
Nach und nach schaffte ich es meine Gedanken wieder zu sortieren.
>Warum denkst du lasse ich dich fallen? Klar, ich kann nichts für das Video, aber du doch genauso wenig. <
>Was meinst du damit? <
>Dass wir da beide drin stecken. Zusammen. Und ich nicht so ein Vollidiot bin, wie es vielleicht manchmal wirkt und ich dich nicht allein damit lassen werde. <
Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben und auch ihre Augen strahlten wieder, so, als würde neue Hoffnung in ihnen auf keimen, die wenige Sekunden später jedoch wieder verschwand.
>Aber wie wollen wir denn an dieser Situation etwas ändern? Wir können ja schließlich nicht sagen, wie wir uns wirklich kennen gelernt haben und dass du mich deshalb zu dem Konzert eingeladen hast. <
Ich überlegte. Die Wahrheit konnten wir nicht sagen, da stimmte ich ihr zu.
Wir konnten sie aber der Situation anpassen...
>Ich weiß, dass du dich, sobald ich dir diesen Vorschlag gemacht habe,
sofort umdrehen und weggehen wirst, jedoch fällt mir keine andere Lösung für unser Problem ein. <
>Was für eine Lösung? <
So zögernd wie sie mich ansah, brach es mir schon fast das Herz es wirklich aus zusprechen, nur sah ich keine andere Möglichkeit.
>Wir tuen wirklich so, als wären wir ein Paar. <
Lange starrte sie mich an und ich hatte schon Angst, sie würde jeden Moment die Flucht ergreifen und mich allein stehen lassen, doch dann passierte etwas völlig Unerwartetes.
>Und wie stellst du dir das vor? <
Wieder konnte ich sie nur an starren.
Ich hätte erwartet sie würde mir eine runter hauen und dann sofort verschwinden, vor Wut genau die Sache vorzuschlagen, durch die wir erst hier her gekommen waren. Aber nein, sie schaute mich einfach nur lange und eindringlich an, ohne jegliche Gedanken oder Gefühle preis zugeben.
>Ich meine nur, nehmen wir mal an wir würden wirklich vorspielen ein Paar zu sein. Denkst du wirklich es würde nicht auffallen? Wir kennen uns doch noch nicht mal 4 Wochen und wissen überhaupt nicht über einander. <
>Du meinst also, wenn es nicht so auffällig wäre, würdest du es durch ziehen? <
Seufzend sah sie sich um und antwortete mir ohne mich anzusehen etwas zerknirscht auf meine Frage.
>Ja..., schließlich ist es wirklich die einzige Möglichkeit aus dieser Sache raus zu kommen, wenn niemand die Wahrheit erfahren soll. <
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, liefen wir weiter von der Schule weg, dem Ort, bei dem ich mir schon immer vorkam, als würde ich allen etwas vorspielen müssen.
Vielleicht würde es mir überhaupt keine großen Schwierigkeiten machen etwas vor zuspielen. In vielerlei Hinsicht war ich es irgendwie schon gewohnt. Bei Lucy hatte ich dabei jedoch meine Bedenken.
So wie es vorhin geklungen hatte, war sie nicht gerade der Typ, der gerne im Rampenlicht stand und etwas vor spielte. Nur blieb uns wirklich eine Wahl? Oder besser, gab es eine für uns bessere Chance aus dieser Sache raus zu kommen, ohne zu lügen?
Ich bezweifelte es. Und ich glaubte Lucy auch.
>Auch wenn wir beide wissen, das es die beste Möglichkeit ist, hast du trotzdem Zweifel, oder? <
Kaum merklich nickte sie, sagte aber nichts. Also beschloss ich zu warten bis sie sich darüber im Klaren war, was sie wollte. Schließlich mussten wir uns schon in wenigen Minuten geeinigt haben.
>Okay... Gehen wir kurz mal unsere Möglichkeiten durch. Erstens, die Wahrheit sagen und damit rechnen, dass uns alle für verrückt halten.
Zweitens, du erzählst allen es wäre nur ein kleiner Wochenendflirt gewesen und alle halten mich für eine Tussi. Drittens, wir spielen allen etwas vor, bis sich das Interesse gelegt hat und es nicht auffällt, wenn wir Schluss machen. <
>Also zweitens fällt schon mal raus. Wie gesagt, ich lass dich damit garantiert nicht allein. <
Sie schenkte mir einen dankbaren Blick, bevor sie stehen blieb, seufzte und mich wieder ansah.
>Und ich werde dich nicht ins offene Messer laufen lassen, damit wir am Ende beide für Verrückte gehalten werden. <
>Meinst du damit, dass du...? <
>Ja, ich zieh das mit dir zusammen durch. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das funktionieren soll. <
Ich lächelte. Wenn ich sie richtig ein schätzte, hatte sie noch nicht allzu viel mit Beziehungen und Jungs zu tun. Dafür ich wahrscheinlich umso mehr. Das würde lustig werden.
>Ich denke für den Anfang würde es reichen, wenn wir zusammen zur Schule zurück laufen und uns in den nächsten Tagen verabreden und alles in Ruhe besprechen. <
>Okay...,ja das klingt schon mal gut. <
Und schon setzte sie sich in Richtung Schule in Bewegung.
>Ähhm, Lucy? Mit zusammen meinte ich eigentlich eher wirklich zusammen... <
>Was meinst du damit genau? <
Als Antwort hielt ich ihr nur meine rechte Hand hin und hoffte, sie würde mich verstehen.
>Ohh...! <
Sie schaute von meiner Hand zu mir auf und ich schmunzelte, als ich bemerkte, wie sie errötete. Sie war wirklich viel zu süß.
>Nur für die Glaubhaftigkeit. <
>Nur für die Glaubhaftigkeit. <
Als sie dies erwiderte und ihre in meine Hand legte, bemerkte ich, wie schüchtern sie plötzlich geworden war. Hoffentlich lernte ich schnell, wie man mit solchen Mädchen am besten umging. Meistens war ich eher mit zu selbstbewussten und temperamentvolleren Mädchen zusammen.
Ich hielt sie noch einmal kurz zurück und drehte sie zu mir.
>Keine Angst. Wir bekommen das schon irgendwie hin. Außerdem kenne ich mich mit Beziehung aus,auch mit falschen. <
Langsam strich ich ihr eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und ließ meine Hand weiter an ihrer Wange nach unten fahren.
Scharf sog sie die Luft ein und schluckte als ich an ihrem Kinn ankam.
>Und wenn es dir zu viel wird, sagst du mir einfach Bescheid und ich höre sofort auf, okay?<
Wieder nickte sie nur, und als ich gerade das Gefühl hatte, sie würde noch etwas antworten, hörte ich ein interessiertes Pfeifen hinter uns.
>Da ist ja das neue Traumpaar. Hätte nicht gedacht, dass du mit... <
>Luca... <
Auf gar keinen Fall würde ich zulassen, dass er den Satz beendete. Es würde sowieso nur eine Beleidigung sein, darauf konnte ich auch gut verzichten.
Nachdem er sich nach meiner dumpfen Begrüßung wieder gefangen hatte, ließ er seinen Blick über Lucy gleiten. Am liebsten hätte ich ihm allein dafür schon eine rein gehauen. Er betrachtete sie, wie ein Raubtier seine Beute und das gefiel mir absolut nicht.
>Möchtest du mir nicht deine neue Freundin vorstellen oder sie lieber weiter verheimlichen? <
>Du kannst mich auch ruhig selbst fragen, schließlich stehe ich genau vor dir. Aber da ich glaube, dass es dich sowieso nicht wirklich interessiert...
Können wir zurück gehen, Henry? Ich möchte nicht zu spät kommen. <
Das schüchterne Mädchen von eben war plötzlich wie weg geweht. Gegenüber Luca klang sie schon fast aggressiv und ich sah ihm an, dass es ihm nicht gefiel.
>Ja, gehen wir wieder zurück. Wir sehen uns ja dann morgen, Luca. <
Seinen Gesichtsausdruck, als wir uns umdrehen und ihn einfach stehen ließen, war wirklich unbezahlbar und am liebten hätte ich ein Foto davon gemacht, aber das wäre wohl zu viel des Guten gewesen.
>Ich kann dich so gut verstehen. Ich kann diesen Typen schon jetzt nicht leiden. Wie er uns eben angeschaut und mit uns geredet hat... <
Ich murmelte ein kurze Zustimmung. Ja, Luca war unausstehlich. Blöderweise war sein Onkel aber auch der Direktor...
Zurück in der Schule gab ich Lucy einen Kuss auf die Stirn, flüsterte ihr zu, dass ich sie heute Abend anrufen würde und versuchte die neugierigen Blicke der anderen einfach auszublenden.
Das Spiel hatte also begonnen und ein Zurück kam nicht mehr in Frage.
Wie es weiter gehen sollte, wusste ich bis jetzt auch noch nicht, aber wer konnte schon wissen, wie unsere "gemeinsame" Zukunft aussehen würde?
Bei diesem Gedanken musste ich selbst grinsen. Meine erste "richtige" Beziehung nach den Vorfällen in der Vergangenheit, mit einem Mädchen, das ich kaum kannte. Hoffentlich war unser Plan nicht zum Scheitern verurteilt...
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Zwischen Lüge und Wahrheit
RomanceLucy - das schüchterne Mädchen, das allen zeigen möchte, wer sie wirklich ist Henry - der coole, gutaussehendeTyp aus der Oberstufe, der Angst hat, jemanden an sich ran zu lassen Und doch haben sie eines gemeinsam : Eine Vergangenheit, die tiefe Sp...