Die Wanderung
Ich nehme meinen Rucksack von der Bank, trete ins Freie und atme die frische Bergluft ein. Voller Vorfreude setzte ich einen Fuß vor den anderen und lächle als der Duft der Blumen und Bäume meine Nase kitzelt. Gedankenverloren lausche ich dem Knirschen der Kieselsteine unter den Sohlen meiner Wanderstiefel. Ein flinker Vogel kreuzt verwundert meinen Weg und nimmt sogleich wieder Reißaus als er mich erblickt. Während ich schmunzeln muss, merke ich wie mir vom Laufen langsam warm wird. In der Hütte war es ziemlich kalt und die eisige Morgenluft der Berge hat mich draußen begrüßt. Irgendetwas stimmt mit meinem Rucksack nicht. Genervt versuche ich die Gurte so zu verstellen, dass es nicht mehr unbequem ist, weil mir irgendetwas in den Rück drückt. Vergeblich. Etwas genervt setze ich den Rucksack ab und öffne ihn. Überrascht stelle ich fest nicht das von mir eingepackte Vesper, sondern Steine zu entdecken. Steine in allen Größen. Steine mit verschiedensten Zeichnung. Steine in unterschiedlichen Farben. Ein regelrechtes Steinmeer hat sich da in meinem Wanderrucksack versammelt. Ich lege sie kurzerhand einen nach dem anderen an den Wegesrand und schultere meinen Rucksack wieder. Immer noch verwundert mache ich mich wieder auf den Weg. Vor Mittag sollte ich oben am Aussichtspunkt sein, ansonsten wird die Zeit bis zur Dunkelheit zu knapp, um wieder zurück zur Hütte zu gelangen. Doch ich komme nicht weit bis ich merke, wie sich wieder etwas in meinen Rücken bohrt. Der Rucksack ist verdächtig schwer geworden während der letzten paar Meter. Also setze ich den Rucksack wieder ab. Was kann denn jetzt noch sein? Vielleicht ist ja die Brotdose verrutscht und drückt – versuche ich mir selbst einzureden. Langsam und fast ein wenig ängstlich öffne ich den Rucksack, gespannt was ich diesmal vorfinden werde. Steine. Große und kleine. Schwarze und weiße und graue. Solche mit Linien, solche mit Punkten und solche ganz ohne Muster. Das darf doch nicht wahr sein! Wie kommen die denn schon wieder da hin? Ich habe sie doch alle aus dem Rucksack genommen vorhin. Na gut, dann also nochmal. Als wieder alle Steine am Wegesrand liegen setze ich erneut meinen Rucksack auf. Einen letzten Blick auf die diesmal achtlos gehäuften Steine werfend setze ich meinen Weg fort. Ich beschleunige meinen Schritt ein wenig, denn das hat schon wieder unnötige Zeit gekostet. Völlig entnervt registriere ich kurze Zeit später wieder einen Druck im Rücken und schmeiße den Rucksack vor mir auf den Boden. Ich laufe an die Kante des Weges, wo es ein gutes Stück nach unten geht. Auf dem Wegstück unterhalb des Vorsprungs scheinen keine Menschen zu sein. Ich hole also meinen Rucksack zu mir, zerre die Schnallen und den Kordelzug auf und greife, ohne vorher nachzusehen in den Rucksack nur um wieder diese vermaledeiten Steine zu ertasten. So schnell wie möglich schleudere ich sie über den Vorsprung. Was soll das denn bitte? Woher kommen die und was hat das alles zu bedeuten? Ich versuche mich zu beruhigen indem ich mir einrede, dass dahinter kein tieferer Sinn steckt und es mit Sicherheit eine rationale und logische Erklärung dafür geben wird wie diese beschissenen Steine immer wieder in meinen Rucksack kommen. Aber so wirklich glaube ich mir das selbst nicht und mache mich ein wenig frustriert wieder auf den Weg. Wieso finden manche Menschen diese Dinger ernsthaft schön und befassen sich mit denen? Diese grauen Brocken sind hässlich und nervtötend. Fassungslos bleibe ich stehen als sich schon wieder etwas in meinen Rücken bohrt und stelle den Rucksack erneut vor mich auf den Boden. Resigniert öffne ich langsam die Schnallen und die Kordel und hoffe, diesmal nicht schon wieder diese doofen Steine darin zu finden. Überrascht stelle ich fest, dass diesmal noch etwas anderes hinzugekommen ist. Auf den Steinen liegt ein kleiner Zettel, auf dem in schnörkeliger Schrift steht: Erst wenn du uns akzeptieren kannst, werden wir kleiner und leichter werden und irgendwann vielleicht sogar ganz verschwinden. Total perplex starre ich auf die Worte und lese sie erneut. Vielleicht habe ich mich ja auch einfach verlesen. Ich weiß zwar noch immer nicht wie die Steine, geschweige denn der Zettel in meinen Rucksack gekommen ist, aber ich nehme den obersten Stein heraus. Es ist der, auf dem der Zettel lag. Er ist dunkelgrau und von zarten weißen Linien durchzogen, die ein faszinierendes Muster auf seine Oberfläche zaubern. Als ich ihn so andächtig mustere und in meiner Hand wende und drehe, seine Kerben und Erhebungen ertaste, merke ich wie er ein wenig zu schrumpfen scheint. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet, aber das ist jetzt egal. Ich sollte sowieso schauen, dass ich endlich voran komme also schnappe ich mir ein weiteres Mal meinen Rucksack. Diesmal mitsamt aller Steine, außer dem eben betrachteten und setze ihn auf. Den irgendwie doch ganz hübschen Stein noch einmal musternd setze ich meinen Weg fort. Tatsächlich scheint der Rucksack irgendwann leichter zu werden. Just nach dem ich mich widerwillig damit abgefunden hatte, das ganze Gewicht zumindest ein Stück des Weges tragen zu müssen. Erleichtert setze ich meinen Weg fort.
Alsich am Abend müde auf mein Bett sinke, öffne ich den Rucksack neben dem Bettnoch einmal und erblicke nur noch einige wenige kleine Kieselsteinchen, diezwischen die inzwischen leere Brotbox und Wasserflasche gerutscht sind.Zufrieden lege ich mich hin und schließe die Augen. Obwohl ich den tieferenSinn nicht verstehe fühlt es sich gut an, dass sich von selbst alles gefügt hatund ich kann glücklich und entspannt in einen tiefen traumlosen Schlaf sinken