Joshua sah überrascht auf, als sich Patricia einen Stuhl neben ihn stellte und sich darauf setzte. „Hab ich was vergessen?", fragte er stirnrunzelnd. „Hatten wir eine Besprechung vereinbart oder so?" Sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Ich habe mich lange nicht getraut, dich das zu fragen.", begann sie dann gedehnt. „Ich weiß, dass ich wahrscheinlich keine befriedigende Antwort bekommen werde, aber ich will es zumindest versucht haben." Joshua wandte sich ihr aufmerksam zu und wartete ab. „Nächste Woche ist mein Trimester hier vorbei.", fuhr sie fort. „Wenn ich es mich also mit dir verscherze, dann bist du mich bald los." Joshua blinzelte verwirrt. „Du weißt, dass ich ziemlich neugierig bin.", sagte sie. „Du hast mich sogar mal beruhigt, dass das in dem Job gar keine schlechte Eigenschaft ist. Aber leider erstreckt sich meine Neugier nicht nur auf den Job, sondern auch auf dich." Joshua hörte geduldig zu, entgegnete aber nichts. Sie atmete tief durch. „Weise mich einfach ab, wenn ich dir zu nahe trete, aber...", sie stockte kurz. „Wer bist du wirklich?"
Sie beobachtete aufmerksam sein Gesicht, aber er ließ sich keine Emotion anmerken. „Wie meinst du diese Frage?", fragte er dann ernst. „Was steckt dahinter?" Sie schluckte. Offensichtlich hatte sie weder gewonnen, noch verloren. „Irgendwas stimmt mit dir nicht.", erklärte sie dann. „Gleich als ich dir zugeteilt wurde, hat dein Lebenslauf mich stutzig gemacht. Als Anwalt-Aushilfe angefangen, dann arbeitslos, dann die Lehre zum Pfleger in Edinburgh, die dann abgebrochen und in London weitergeführt, dann als Pfleger gearbeitet und dann doch das Medizinstudium... Dr. McKoy meinte mal, dass du ihm erheblich an Lebenserfahrung voraus hast, weil du schon viel durchgemacht hast... Du hast irgendwann mal gesagt, dass ich keine Ahnung hab, was Folter ist - woraus man deuten könnte, dass du sie kennst... Da waren noch einige Anmerkungen, die so... weise sind, dass ich Dr. McKoys tiefen Respekt vor dir verstehen kann. Wobei ich mich frage, woher er dich überhaupt so lange und genau kennt. Sein Lebenslauf ist ein ganz anderer und hat kaum Überschneidungen mit deinem. Selbst Pfleger Shane, der mit dir wohl lange intensiv zusammen gearbeitet hat, hat nicht so eine Ehrfurcht vor dir wie Dr. McKoy und weiß auch lange nicht so viele Dinge über dich. Eigentlich weiß Shane nur das, was ich auch weiß. Warum kommen einige Menschen so nah an dich heran und andere haben keine Chance? An Sympathie scheint es nicht zu liegen - du hast mir viele nette Dinge gesagt und wirst es auch nicht leid, mit mir zusammen zu sein. Du bist mit einer waschechten Grippe in die Klinik gekommen, um nach mir zu suchen. Dir liegt etwas an mir, aber trotzdem hältst du mich auf Abstand. Warum?"
Joshua überlegte kurz. „Deine ursprüngliche Frage lautete, wer ich bin.", sagte er dann. „Lautet sie jetzt, warum ich so bin, wie ich bin?" Sie runzelte die Stirn. „Wo ist da der Unterschied?", wollte sie wissen. Er beobachtete sie genau. „Wer ich bin, ist die Gegenwart.", erklärte er. „Warum ich so bin, ist die Vergangenheit. Was erwartest du von mir zu hören?" „Ich weiß nicht, was ich erwarte.", antwortete sie. „Ich hoffe nur, zu verstehen, warum du so anders bist. Ob das an deiner Vergangenheit liegt oder mit deiner momentanen Situation zusammen hängt, weiß ich nicht." „Inwiefern bin ich denn anders?", fragte er weiter. „Anders als wer überhaupt?" „Anders als die anderen Ärzte.", sagte sie. „Gerade da du in dieser Klinik vom Pfleger zum Arzt aufgestiegen sind, müsstest du Probleme haben. Entweder Probleme mit den Ärzten, die dich noch als Pfleger sehen, oder mit dem Pflegepersonal, die jetzt zu dir aufsehen müssen. Aber du wirst von beiden Seiten respektiert. Wie machst du das?" „Indem ich zwischen Pfleger und Arzt keine Stufe sehe.", meinte er. „Beide Berufe haben ein unterschiedliches Aufgabenspektrum, aber keine unterschiedliche Wichtigkeit. Ohne Pfleger würden die Patienten verhungern, ohne Ärzte würden sie an Krankheiten sterben. Arzt und Pfleger sind aufeinander angewiesen, sonst erreichen sie das Ziel nicht, den Patienten gesund zu machen." „Aber ein Arzt könnte einen Patienten auch füttern.", wandte sie ein. „Ein Pfleger kann ihn nicht heilen." „Wenn ein Arzt seine Patienten füttern müsste, hätte er keine Zeit mehr zum heilen.", entgegnete Joshua. „Davon mal abgesehen, dass er diese Aufgabe nur ungenügend erfüllen würde, weil er nicht dazu ausgebildet wurde."
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Unterschiede
FantasyPatricia hatte das Glück, einen Teil ihres Medizinstudiums beim legendären Diagnostiker Dr. Joshua Greenbeam machen zu dürfen. Doch der Arzt gibt ihr Rätsel auf. Eines Tages entschließt sie sich, ihn zur Rede zu stellen.