Kapitel 16

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ruby's pov


Am Ende des dunklen Ganges konnte ich schemenhaft den Umriss einer Tür erkennen. Aclatis sah sie auch und beschleunigte seine Schritte, sodass auch ich hinter dem Jugendlichen herstrauchelte. ,,Komm! Wir sind gleich draußen!" Aclatis rief mir ermutigende Worte zu.

Der schier unendliche Flur endete, als Aclatis vor der Tür stehen blieb und ich in ihn reinstolperte. Gentleman-like öffnete er mir die Tür und ließ mich zuerst durchgehen. Ich bedankte mich und machte einen kleinen Knicks, um die Angst, was uns wohl vor der Tür erwarten würde, zu überspielen. Aclatis' Mundwinkel zuckten belustigt nach oben, wurden dann aber wieder zu einer für einen 14-jährigen viel zu ernsten Miene.

Zuerst blendete mich das grelle Sonnelicht und ich kniff meine Augen zu engen Schlitzen zusammen. Erst nach einigen Sekunden verschärfte sich meine Sicht wieder und ich erkannte dunkelgrüne Fichten vor mir. Wald.
Mittlerweile stand auch Aclatis neben mir und redete auf mich ein, doch ich ignorierte ihn voll und ganz.

Da war ein Wald. Ich wollte laufen. Lupa frei lassen. Mich frei fühlen. Frei sein. Keine Gefangene mehr sein.

Wie in Trance starrte ich die Bäume an und blendete dabei das Gerede von dem Menschen neben mir aus. Auch überhörte ich die immer noch andauernden Kampf- und Schmerzensschreie von vor dem Gebäude, aus dem wir gerade geflüchtet sind. Die Rudel, die dort kämpften, waren nur schwer zu zu überhören.

Mein Rudel. Mein Rudel kämpfte dort - glaubte ich jedenfalls.

,,Hey, kleine Mate. Alles in Ordnung? Geht es dir gut?"
Die samtweichte Stimme durchschnitt meine Trance wie eine Schere ein Blatt. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Sachte, aber dennoch kräftig, schlang er seine Arme von hinten um mich. Es tat so gut seinen Duft einzuatmen. Er beruhigte mich und ich legte meinen Kopf auf seiner linken Schulter ab.
Entspannt schloß ich die Augen und konnte das erleichterte Grinsen förmlich spüren, als er meine Reaktion auf ihn sah.

Er strich mir eine Haarsträne aus dem Gesicht und flüsterte an mein Ohr: ,,Du weißt ja nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, kleine Mate." Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Glücksgefühle durchfluteten mich.

Er roch nach Schweiß und atmete schwer.
Bevor ich etwas erwidern konnte, räusperte sich Aclatis peinlich berührt. ,,Ähm...ich will ja nicht stören oder so, aber wir sollten hier echt schnell weg, oder wir werden gleich draufgehen." Er zeigte auf die offene Tür hinter uns, aus dessen Gang Befehle gebrüllt werden. Unter den Stimmen konnte ich auch Lucians erkennen.

Panik überflutete mich und ich riss die Augen angsterfüllt auf. Ich krallte mich an in Jacks kräftiges Handgelenk und zerrte ihn mit mir mit. Im Laufen schnappte ich noch nach dem erstarrten Aclatis, welcher dann hintermir herstolperte.

,,Lauft!", schrie ich und beide Jungen gehorchten mir aufs Wort. Ich hatte wohl die Alphastimme benutzt, die keine Widerrede duldete. Zu dritt liefen wir in den dunklen Wald hinein. Immer tiefer, nur weit weg von Lucian. Meine Beine flogen nur so über den Boden und ich fühlte mich, als würde ich schweben.

Nach einer Stunde Keuchen und unterbrochenen Rennens machten wir eine Pause. Aclatis stützte seine Hände auf den Knien ab und beugte sich außer Atem vor. Jack und ich lehnten uns mit wenig verlorener Energie an einen Baumstamm. ,,Wo sind...die anderen...aus eurem Rudel?", brachte Aclatis zwischen zwei Keuchern hervor.

Ja genau. Wo waren sie? Kämpften sie noch?

Erst jetzt merkte ich, dass ich wie ein Feigling davon gelaufen war. Dabei hatte ich mir doch geschworen, nie wieder wegzulaufen. ,Hör auf! Du bist kein Feigling! Kümmer dich um Acla und Jack und finde unser Rudel, okay?' Lupas Stimme in meinem Kopf zu hören überraschte mich. Schon so lange hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt. Ihre Stimme beruhigte mich etwas und ließ mich neue Kraft und Hoffnung schöpfen.
,Okay', antwortete ich. ,Das ist meine Ruby.' Dann war es wieder still in meinem Kopf.

,,Wir haben abgesprochen, dass wenn ich dich gefunden habe, wir uns beim Fluss zwischen unseren Grenzen treffen. Ich habe ihnen schon per Mindlink erzählt, dass wor uns zirückziehen können", sagte mein Mate gelassen. Hatten sie nur für mich gekämpft?
Ich nickte und wollte Jack am Arm packen und weitergehen, doch er zischte bei meiner Berührung schmerzhaft auf. ,,Alles gut?", fragte ich besorgt. Jack schien meine Frage nicht gehört zu haben, also krempelte ich den T-shirt Stoff seines rechten Arms hoch.

Geschockt zog ich die Luft ein.
Ungefähr in der Mitte seines Oberarms war eine tiefe, klaffende Wunde, aus der eine kleiner Blutwasserfall strömte. Der Kupfergruch brannte geradezu in meiner empfindlichen Nase. In seinem Fleisch konnte ich eine silber glänzende Kugel erkennen und mir wurde sofort klar, dass Jack in Lebensgefahr schwebte. Dünne, silberne Adern zogen sich von der Wunde in Richtung Herz. Er hatte - wenn er stark blieb und das hoffte ich - ohne Behandlung noch knapp eine Stunde zu leben.

Angst um ihn überflutete mich ich hatte vor Schreck ein Blackout, sodass mir nicht einfiel, wie ich Erste Hilfe leisten konnte. Glücklicherweise hatte Aclatis da mehr Ahnung und während ich nur wie dummer Nichtsnutz auf Jacks Wunde starrte, hatte Aclatis die Kugel bereits aus der Wunde gezogen und einen Druckverband aus seinem T-shirt um Jacks Oberarm gewickelt.
Bei dem Anblick des vielen Blutes wurde mir schlecht und ich musste meinen Mittagessen mit einem Busch teilen.

Ich spürte einen Schmerz in meinem Herzen, aber es wat nicht mein eigener. Es war eher wie, als würde ich die Schmerzen meines Mates spüren. Er biss sich auf die Unterlippe, um - so glaubte ich zumindest - vor mir nicht als Schwächling dazustehen. Trotz der momentanen Situation schüttelte ich leicht amüsiert den Kopf.

Sanft, aber bestimmend, legte ich ihm einen Arm über die Schulter und bedeutete Acla, es mir gleich zu tun. Gemeinsam stützten wir Jack und kamen dem Grenzgebiet von Lucians und meinem Rudel immer näher . . .

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