No Escape

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Grau.

Alles ist grau. Der Himmel, die Wälder, die Häuser, die Wolken und der Asphalt.

Alles ist grau. Der Regen wäscht die Farben aus der Welt, nimmt ihr den Glanz.

Ich bin müde. Die Nacht war zu kurz für mich und meine Mutter hat mal wieder die ganze Wohnung auseinander genommen. Noch dazu haben wir heute einen Test geschrieben, aber weil ich gestern diesen bestimmten 'Zustand' hatte, konnte ich mich absolut nicht auf's Lernen konzentrieren.

Und doch, überlege ich, während ich das Tafelbild abschreibe, will ich dieses Gefühl der Freiheit, die ich durch diese Droge bekomme, nicht missen. Es hat sich angefühlt wie fliegen, so schwerelos. Und sie, Rain. Sie ist so anders, aber ich mag sie, gerade weil sie einfach nicht in dieses ganze Szenario passt. Ich blicke zu ihr, doch sie schaut, wie so oft, aus dem Fenster. Was sie wohl denkt?

Schließlich läutet es und ich kann endlich nach Hause. 

Zuhause angekommen, schleiche ich mich leise am Wohnzimmer vorbei. Mom sitzt mal wieder auf der Couch mit einer Weinflasche und mit der Fernbedienung in der Hand. "Bin da.", murmel ich leise und gehe die Treppe hoch. Wieder bekomme ich keine Antwort. Ich habe es so satt, denke ich, als ich meine Tür hinter mir schließe. Auch mein Zimmer ist nur spärlich eingerichtet, weil diese Frau sich kein Stück mehr für mich interessiert. Alter dunkler Holzboden, der bei jedem Schritt ein ächzendes Geräusch von sich gibt. Gegenüber von meiner Tür befindet sich ein Fenster, darunter eine Fensterbank mit Polstern und Kissen, die von der Heizung warm gehalten wird. Am Tag ist das meine einzige Lichtquelle. Mom hasst es, wenn ich zu viel Strom verbrauche. Auf der rechten Seite steht mein kleines Bett, gerade mal für eine Person gedacht. Neben meinem Fenster steht ein Schreibtisch, auf dem sich Papier und ein paar Stifte befinden. Und schließlich steht auf der linken Seite mein Schrank. Er ist nicht besonders gefüllt, eben nur das wichtigste. Im oberen Fach liegt eine kleine Taschenlampe. Da ich keine Kosten verursachen soll, nehme ich sie um Nachts Hausaufgaben machen.

Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor halb vier. Zeit um in den Park zu gehen. Wieder schnappe ich mir meine Tasche und sprinnte dann los. Heute ist die Stadt leer. Wer rennt auch schon freiwillig bei diesem grauen Wetter draußen herum. Um so besser für mich, da ich mich dann nicht durch die Massen drängeln muss. Schließlich erreiche ich den Platz an dem Rain und ich uns gestern getroffen haben.

Ich bin noch gar nicht ganz angekommen, da steht sie auch schon neben mir. Ihr Gesicht sagt wie immer gar nichts aus, kein Zucken, keine Veränderung der Miene. " Hey.", flüstert sie, setzt sich neben sich und holt mein ganz persönliches Mittel zum Vergessen aus ihrer Tasche. Sie hat ihn schon fertig gebaut und macht ihn an. Ich setze mich neben sie, meinen Blick gesenkt. "Hi. Wie geht's?", frage ich, doch ich wusste, dass diese Frage überflüssig war. Den Grund kannte ich nicht, es war nur ein Gefühl.

Sie zuckt mit den Schultern, sieht auf mich. "Wie solls mir gehen?", lange zieht sie an dem Joint und atmet tief ein, ehe sie ihn mir reicht. " I'm fine.",entgegnet sie mir dann. "Es war eher eine rethorische Frage. Ich wusste nur nicht, wie ich sonst anfangen sollte, rede nicht sehr viel.", murmel ich, mehr zu mir selbst und nehme ihr das in Papier eingerollte Zauberkraut ab. Ein nur allzu bekannter Geruch steigt mir in die Nase. Ich ziehe. Einmal, zweimal. Genieße die Wirkung und lehne mich zurück, bereit, alles für eine kurze Zeit zu vergessen.

" Dachte ich mir.", sie sieht mich an, aus den Augenwinkeln sehe ich ihr Lächeln, "Ich bin auch nicht sonderlich gesprächig." Sie sieht nach vorne, spielt mit ihren Fingern und einem Kettchen um ihren Arm. "Warum bist du eigentlich hier?", fragt sie und sieht mich wieder an. "ch meine, wer zieht freiwillig HIER her?", sie hebt die Arme ein wenig an und deutet geradeaus. "Das hier... ist vermutlich einer der wenigen schönen Plätze hier. Ohne das Zeug schafft man hier doch keinen Tag...", sie seufzt leise, macht eine kurze Pause. Stille. Sie sieht wieder weg, hinaus ins Nichts.

Ich starre in Richtung Stadt. Alles ist so trist und farblos. Dann blicke ich auf meine Finger, spiele mit den Ringen: "Ich bin nicht freiwillig hier. Aber es ist überall gleich. Keine Farbe, düstere Umgebung, jede Stadt, jedes Dorf sieht gleich für mich aus. Das hier ist der einzige Ort, der für mich Farbe hat, selbst wenn sie nur schwach ist." Ich ziehe ein weiteres Mal, dann gebe ich ihr den Joint wieder.

Sie nimmt ihn und zieht direkt daran. Ein leichtes Nicken kommt von ihr. "Es geht mir nicht viel anders. Hier kann ich wenigstens einen Moment vergessen. Zwar mit Hilfe", sie deutet mit dem Kopf in Richung des Joints," aber ich vergesse." Schließlich zuckt sie mit den Schultern. "Warum nicht freiwillig? Darf ich das fragen?", fragt sie und bevor ich irgendwas sagen kann, oder auch nur anfange zu denken, fährt sie schon fort, "Du musst nicht antworten. Das steht dir frei."

"Das ist eben so, wenn zwei Menschen sich erst lieben und dann anfangen sich so sehr zu hassen, dass sie es nicht einmal aushalten, auf dem selben Kontinent zu leben.", sage ich frei heraus und sehe mich im Park um. Hier und da mal ein Fußgänger oder ein Jogger, sonst ist der Park ausgestorben. Wir müssen ein seltsames Paar abegeben. Zwei Mädchen, bei verregneten Wetter im Park auf einer Bank. Beide total unterschiedliche Typen. Sie streicht ihre Haare zurück, lacht leise. Das erste Mal, das ich sie lachen sehe und höre. "Ich verstehe. Ich kenne das auch.", sie sieht mich an, schüttelt mit dem Kopf, "Tut mir leid für dich." Rain schenkt mir ein sanftes Lächeln, zieht noch einmal und hält ihn mir wieder hin.

" Was denn nun?", sie sieht mich entgeistert an. Zu meinem Glück nickt sie dann schnell. " Du hast meine Nummer. In deiner Jackentasche, falls du sie noch nicht gefunden hast. Schreib einfach, wenn irgendwas-", ich lasse sie nicht zu Ende reden, nicke und laufe davon. Der Weg kommt mir so unendlich lang vor und der Zeitdruck schneidet mir die Luft ab. Es war so schön dort einfach im Park zu sitzen. Doch mit dem Glockenschlag endete auch dieser Zauber für mich.

Vollkommen atemlos betrete ich mein Zuhause. Die Garderobe lag umgestoßen mitten im Gang und versperrte den Weg, Scherben lagen auf dem Boden und knirschten unter meinen Schuhsohlen. Ich weiß ganz genau was hier ab geht. Voller Panik drehe ich mich wieder um zur Tür, doch da steht meine Mutter auch schon hinter mir und packt mich grob am Arm. "Wo warst du, dämliches Gör! Ich hab Essen gemacht und du bist nicht gekommen! Du blöde, nutzlose Schlampe! Na, bei wem hast du dich wieder herum getrieben? Macht es Spaß so herum zu huren?", brüllt sie laut, unverständlich und pustet mir ihren widerlichen Alkoholatem mitten ins Gesicht. Schließlich holt sie aus und verpasst mir eine mitten ins Gesicht. Wieder und wieder. Als ich vor Schwindel schon nicht mehr stehen kann, lässt sie meinen Arm los und fängt an mir in den Bauch zu treten. "Widerliche Schlampe! Ich tue alles für dich und du bereitest mir nur Kummer und Ärger! Verreck doch!", schreit sie schrill, wieder und wieder. Mit letzter Kraft hole ich mein Handy heraus, tippe ihre Nummer ein und schreibe ihr nur ein Wort: Hilfe.

Dann wird alles schwarz.

She's like hell (GirlXGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt