Observe || Ein Letztes mal Beobachten.

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Das Letzte an das ich mich erinnere sind die Lichter, diese Gelblich blassen Lichter der Straßenlaternen, und der ohrenbetäubende Lärm des Rummelmarktes.

Ich saß auf einer Straßenbank, direkt gegenüber eines überfüllten Standes mit Kuscheltieren. Gerade versuchte ein junger Mann, nicht wirklich groß, eher durchschnittlich mit kurzem brünetten Haar, dass ihm ein wenig über die Augen hing, einen kleinen grünen Ring auf einen Flaschenkopf zu werfen. Daneben ein kleines Mädchen, ich schätzte sie auf maximal 7, dass aufgeregt herumsprang und auf einen großen Teddybären zeigte. Ein Panda, seine kugeligen schwarzen Augen fielen mir auf, sie reflektierten das Licht in kleinen Punkten, diese kleinen Punkte kamen von den leuchtenden Glühbirnen die in verschiedenen Farben blinkten. Erstaunlicher Weise traf der Mann, ich nannte ihn Lucas. Wieso? Ich gebe gerne Leuten Namen, es ist erstaunlich wie unser Gehirn kleine Merkmale zu verschiedenen Namen findet und diese einfach wiedergibt. Lucas hatte also den Teddybären gewonnen. Über sein Gesicht zog sich ein riesiges Lächeln, sofort lächelte ich mit, ich fand Lächeln schon immer sympathisch, es zeigte einfach Wärme, Geborgenheit in jemand Fremdem. Das kleine Mädchen, wie ich später den Jungen rufen hörte Anna, packte den Bären und ließ einen kleinen Freudeschrei von sich, Kinder und ihre Freude über Kleinigkeiten waren einfach bezaubernd.

Mein Blick ließ die beiden dann in Ruhe ihren kleinen Glücksmoment genießen und flog weiter, vorbei an dem Stand mit den Flaschen zu einer kleinen Bude in der Pommes verkauft wurden. Zwei Frauen standen dort, weiße Schürzen über hellblauen T-Shirts. Langsam öffnete sich eine immer größere Lücke zwischen den Menschen und ich bekam einen ganzen Einblick in das Geschehen. Rötliche Haare, schlank, ich blieb bei ihren Lippen hängen, sogar in dem fallen Licht der blinkenden Lichter und der Straßenlaternen konnte ich diese Lippen genau sehen. Linda. Irgendetwas hielt mich einen Moment dort fest, dann sah ich das Telefon in ihrer Hand, Ihre Augen wurden zuerst weit bis sie sie kurz schließen musste, nur um einen Träne ihre Wange hinunter kullern zu lassen. Was musste ihr nur erzählt worden sein? War es ihr Freund der anrief um ihr zu sagen, dass er jemand anderen hatte? War ihrer Familie etwas passiert? Vielleicht auch ein Freund? Oder ein Haustier? In meinem Kopf spielten sich so viele Möglichkeiten ab, was diese Frau gerade durch machte, dass ich beinahe übersah wie sie hinten aus dem Stand lief, Ihre Schürze immer noch umgebunden, lief sie durch die Menschenmasse, mehr taumelnd als laufend. Ich wäre ihr gerne gefolgt, hätte sie fragen sollen wer und warum angerufen hatte. Doch dieser Drang zu erfahren was gerade passiert war, war lange nicht so stark wie die Taubheit in meinen Beinen, sie zwangen mich sitzen zu bleiben, zu beobachten.

Als wäre ich nicht hier, keiner bemerkte mich oder sah mich auch nur an. Ich war nur ein Mädchen, dass hier saß, und sich umsah. Man hätte genauso denken können ich würde auf Freunde warten. Doch die waren nicht da, nicht heute. Die Frau verschwand im Dunkeln des Parkplatzes. Was jetzt passierte war faszinierend, ein paar Jugendliche hatten sich auf der Bank neben mir niedergelassen. Sie waren laut, wie jeder hier, lachten und ließen sich von niemandem beirren. Knapp neben ihnen ging ein Mädchen, wahrscheinlich in ihrem Alter, Richtung Riesenrad. Plötzlich blieb sie stehen. Ich kniff leicht die Augen zusammen um zu begreifen was hier passierte, da lag sie bereits am Boden. Bewusstlos? War sie krank? Hatte sie jemand geschlagen? Gedanken schossen durch meinen Kopf, ich musste sie ordnen um bei klarem Verstand zu bleiben. Bevor irgendjemand reagieren konnte oder wollte, sah ich ein anderes Mädchen aufspringen, von der Gruppe der Jugendlichen neben mir. Sie hatte schwarzes, lockiges, langes Haar, stark geschminkt und mit einem Lippenpiercing. Ihre Hose war schwarz, genau wie die Lederjacke die sie über ihrem Top trug. Mit einer Sicherheit die man kaum in so einer Situation sieht begann dieses Mädchen, mein Name für sie war Rose, wieso auch immer, mit erster Hilfe. Nachdem Rose sichergestellt hatte, dass das Mädchen am Boden atmete, wurde eine perfekte stabile Seitenlage vorgeführt. Einer der Jungs rief einen Krankenwagen. Nur nach wenigen Minuten wurde das Mädchen weggebracht. Der Krankenwagen begann zu fahren.

Rose war mitgekommen, langsam merkte ich wie meine Sicht blasser wurde. War das schon die ganze Zeit? Oder hatte das Adrenalin in meinen Adern das Ganze verzögert? Die Stimmen in meinem Kopf wurden immer leiser und es wirkte als wäre alles ziemlich weit entfernt gewesen. Nein das ging mir zu schnell, ich kniff meine Augen zusammen, öffnete sie nach einigen Sekunden wieder. Klarheit. Und da sah ich ihn. Einen kleinen weißen Hund, ein Malteser. Er sah mir direkt in die Augen und ein kleines unsicheres Lächeln huschte über mein Gesicht. Der kleine legte den Kopf schief und bellte leise. Ich lachte kurz auf.

Dann hörte ich das Rufen von Lucas. Immer lauter wurden seine Rufe nach Anna. Verzweifelt schob er sich durch die Massen, seine Gedanken waren nur bei dem kleinen Mädchen. Doch Anna und ihr Panda waren nicht da. Aus den Rufen wurde ein Schluchzen. Dann bellte der kleine Hund noch einmal laut auf bevor ich meine Augen schloss und mein Atem leiser wurde.

Ich hatte vieles heute beobachtet. Glück, auch wenn es nur kurz anhielt. Trauer, Verzweiflung, Flucht aus gewissen Situationen, Hilfe, wenn man sie brauchte. Von denen man es am wenigsten erwartete. Und das gute Herz eines Tieres.

Ich fahre hoch als ich meine Augen wieder öffne. Wie...? Meine Sicht ist kurz schummrig, mein Kopf brummt, meine Beine tun weh, und ich spüre mein Herz förmlich in meiner Brust schlagen. Weiße Wände, ein Krankenbett, und ein Weinen daneben. Mein großer Bruder Caleb. Mein Kopf dreht sich zu dem Stuhl auf dem er sitzt. Es ist sonst keiner da, es war doch immer so. Caleb hebt seinen Kopf und ich sehe seine roten Augen, sein verweintes Gesicht, diese struppigen Haare. Kurz glaube ich er würde wütend sein, doch er nimmt mich in den Arm. Ich hatte zu wenige Tabletten genommen, vielleicht hatte ich einfach nur Glück. Ich weiß jetzt das ich Caleb niemals alleine lassen könnte.

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