38 - Acht Stunden

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Sofias Sicht

Ich kann eine leise Stimme neben mir wahrnehmen. Sanft redet sie mit jemandem und langsam aber sicher kann ich die Worte auch verstehen. Und einer Person zuordnen. „Guckt mal, die Werte eurer Mama steigen. Langsam wacht sie auf und ihr könnt dann auch mal in ihren Armen liegen. Woher ich das weiß? Weil euer Papa Arzt ist. Vielleicht werdet ihr ja auch später Ärzte, so wie ich." Ich hätte nicht damit gerechnet, aber ich muss schmunzeln. Und scheinbar hat man das gesehen. „Oh, eure Mama hat sich etwas bewegt. Na wenn sie mal gleich nicht ihre Augen aufmachen wird." Mit aller Mühe kämpfe ich und schaffe es schließlich. Auch wenn sich meine Lider noch schwer wie Blei anfühlen, erblicke ich links neben mir Phil, der mit unseren Kindern auf den Armen auf einem Stuhl neben meinem Bett sitzt. „Du bist wach", stellt er erleichtert fest und eine Träne entweicht seinem Auge. „Wieso weinst du?", frage ich etwas verwirrt. Wirklich erinnern kann ich mich nicht mehr an etwas. Nur daran, dass ich das erste Kind zur Welt gebracht habe. Danach ist schluss. „Du hattest eine Sturzblutung und das musste im OP behoben werden. Die Narkose war schwer und es stand lange Zeit kritisch um dich. Sturzblutung, du weißt ja, was das ist. Was du für eine Menge an Blut verloren hast, unfassbar. Und dann hat unsere zweite Kleine anfangs nicht geschrien. Nachdem sie abgesaugt wurde, war aber alles wieder gut. Die zwei sind kerngesund." Eine verblasste Erinnerung von den schrecklichen Sekunden, in denen ich das Kind nicht schreien gehört habe, schießt mir in den Kopf und mir wird übel. Phil merkt es und will etwas tun, kann aber nicht, da er so schnell die Kinder nicht weglegen kann. Kaum haben wir uns versehen, war der Boden neben meinem Bett dreckig. Lecker. Ein paar Schlucke Wasser und mein Mund fühlt sich auch wieder erträglich an. „Sind es Jungs oder Mädchen? Oder beides? Du hast aber sie gesagt", frage ich drauf los. Die Übelkeit war dann nach meiner kleinen Geste für den Boden direkt verflogen. Vielleicht von der Narkose. „Darf ich vorstellen? Mila und Leni." Ja, das sind die zwei Namen, auf die wir uns geeinigt haben. Tief im Inneren habe ich mir schon immer Mädchen gewünscht. Phil sieht stolz aus. Der stolze Papa.

Langsam erhebt er sich vom Stuhl, beugt sich zu mir runter und gibt mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Stört ihn anscheinend nicht, dass ich mich gerade in hohem Bogen übergeben habe. „Ich bin so froh, dass es dir wieder einigermaßen gut geht. Ich hatte im Leben noch nie solche Sorgen." Behutsam legt er mir unsere zwei kleinen Mädchen auf die Brust, nimmt sein Handy und macht schnell ein Foto. Dann geht er kurz, um eine Schwester und einen Arzt zu holen. Der Arzt, oder besser gesagt die Ärztin, ist in diesem Fall Charlotte. „Eigentlich hatte ich in der Zwischenzeit schon Feierabend. Du warst lang in deiner Narkose. Aber für dich, oder für euch, habe ich gern Überstunden geschoben." „Wie lang war ich denn weg?", frage ich erstaunt. „Acht Stunden." Erschrocken reiße ich meine Augen auf. „Und dann warst du noch so lang hier?" „Keine Sorge, zwischenzeitlich habe ich etwas geschlafen", sagt sie lachend und macht dann ein paar Untersuchungen. „Die acht schrecklichsten und zugleich schönsten Stunden meines Lebens", erwähnt Phil noch nebenbei. Schon doof, wenn eine eigentlich so schöne Situation der Geburt gleichzeitig so schrecklich wird. Die Schwester, die ich gar nicht kannte, hat mein kleines Missgeschick neben meinem Bett beseitigt und sich dann wieder aus dem Staub gemacht.

„Ich kann euch vier beruhigt auf Station entlassen. Euch vier, vor wenigen Stunden wart ihr noch zwei. Verrückt." Charlotte veranlasst eine Schwester, die uns auf die Gynäkologische Station bringt. Und in diesem Zimmer warten schon zwei auf uns. Paula und Franco. Auf meinen sehr verwunderten Blick antwortet Phil: „Ich habe die zwei über alles informiert. Sie wollten ja so schnell wie möglich zu euch drei." Franco nimmt Phil brüderlich herzlich in den Arm. „Jetzt sind wir beide Papas. Na das kann ja was werden. Den Frauen schutzlos ausgeliefert. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen." Franco hat nämlich auch zwei Töchter. Paula und ich fangen an zu lachen und auch ich bekomme von den beiden eine feste Umarmung. Danach widmen sie sich ganz den zwei schlafenden Babys.

Alex, der für Phils Schicht vorhin eingesprungen ist, kommt auch noch kurz mit Flo vorbei, nachdem sie einen Patienten abgeliefert haben. Doch allzu lang halte ich auch noch nicht durch. Ich bin noch ziemlich fertig und schlafe schnell ein.



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