43 - Rauch, Knall, Feuer

2.5K 90 7
                                    

Sofias Sicht

„Was zur Hölle ist mit dir los?", frage ich zum tausendsten Mal, da Franco mich mit einem Grinsen von der Seite mustert. Der Einsatz, von dem wir gerade auf dem Rückweg zur Wache sind, war vielleicht amüsant, ja, aber kein Grund, mich durchgängig anzugrinsen. Außerdem kommt das nicht von diesem Einsatz, denn vorher ging das auch schon so. Obwohl mich dieser Einsatz auch lachen lässt, schließlich hast du nicht jeden Tag zwei Teenager, die denken, sie würden zaubern können, und sich deswegen so doll in schwere Eisenketten verwickeln, dass sie dort nicht mehr allein rauskommen und komplett bewegungsunfähig sind. Mit der Hilfe von der Feuerwehr haben wir die zwei Spaßvögel erfolgreich befreien können. Das mit dem Zaubern war von denen übrigens total ernst gemeint, was sie uns mit einem Trick zur Verabschiedung beweisen wollten. Ja, da hatten wir dann nur noch einen gequetschten Finger zu behandeln. Man hilft, wo man kann. „Nichts nichts", wendet er ab. Er kann beim besten Willen nicht lügen. „Du bist ein verdammt schlechter Lügner, weißt du das?" „Ich habe nicht gelogen", erwidert er nun etwas bockig und blickt zur Abwechslung mal demonstrativ aus dem Fenster, während ich unseren RTW in die Fahrzeughalle stelle. Mit einem seufzenden „Wenn du meinst" steige ich aus.

„Weiß jemand, was mit Franco ist? Drogen sind meines Erachtens nach auf Arbeit verboten", probiere ich mein Glück im Aufenthaltsraum. Von Alex bekomme ich eine ganz aufschlussreiche Antwort: Ein Schulterzucken. Doch auch er guckt Franco dann verschwörerisch grinsend an. Irgendwie fühle ich mich schon fast ausgeschlossen, denn den Blicken zu urteilen weiß hier jeder, was gerade Sache ist.

Zehn Minuten vor Dienstschluss gehen die Melder von Alex, Jacky, Franco und mir. Na super, nichts mit pünktlichem Feierabend. Beim Blick auf den Melder halte ich jedoch kurz den Atmen an. Die Straße ist zwar etwas weiter weg und aus unserem Einsatzgebiet, jedoch ist sie bekannt für schwere Autounfälle. Eine fiese Kurve. Anscheinend haben sie nicht genügend Einsatzkräfte und brauchen uns da jetzt noch.

Auf dem Weg zum Unfallort huscht mir der Gedanke durch den Kopf, dass Phil sich bestimmt Sorgen macht, wenn ich nicht komme. Doch Franco lässt diesen schnell verpuffen: „Ich habe Phil eben geschrieben, dass wir noch einen Einsatz bekommen haben." „Danke."

Chaos. Das ist das einzige Wort, welches mir in den Sinn kommt, als ich diesen Unfall sehe. Uns bietet sich ein Bild der Verwüstung. Überall Schreie von Rettungskräften, dampfende Motorhauben, ein brennendes Auto. Weinende Kinder, hysterische Mütter. Von der Seite werden Franco und ich angestoßen, wir standen anscheinend kurz erstarrt da. „Da hinten im Auto klemmt noch ein älterer Mann. Bei Bewusstsein, aber somnolent. Ihr müsst euch um den kümmern." Der Notarzt, den ich noch nie gesehen habe, guckt uns noch kurz skeptisch an, geht dann aber eilend weiter. Ich schnappe mir den Notfallrucksack und renne zum besagten Auto, welches einem anderen aufgefahren ist. Jedoch hat dieses Auto auch ein anderes Auto im Hinterteil stecken. Anscheinend ist hier ein unvorhersehbarer Stau entstanden, auf den dann mit diesen rasenden Geschwindigkeiten immer mehr Menschen gefahren sind. Meine Spekulationen schiebe ich jedoch schnell beiseite und wende mich dem Mann zu, dessen Augen nur noch halb geöffnet sind. „Guten Tag, Wegener vom Rettungsdienst. Bleiben Sie mal bei mir." Energisch klopfe ich ihm auf die Wange, was sogar einen Erfolg bringt. Franco legt in der Zwischenzeit einen Zugang. Stifneck wurde schon von Kollegen angelegt. Ich verkabele den Mann noch fertig und überlasse Franco nach einer Zeit die Aufgabe, ihn zu überwachen, während ich mir die Umgebung nochmal genauer angucke und nachfrage, ob noch Hilfe gebraucht wird.

Von einem weiteren Notarzt werde ich zu einem anderen Auto geschickt. Wäre ich doch bloß bei meinem eigentlichen Patientin geblieben. Vier Autos weiter, das ist mein Ziel. Doch schon beim zweiten Auto sehe ich von Weitem den Rauch aus der Motorhaube. ‚Der Kühler' schießt es mir durch den Kopf und ich gehe, mit dem geschulterten Notfallrucksack, weiter. Den Rest nehme ich wie in Zeitlupe wahr. „Oh scheiße!", höre ich einen Feuerwehrmann hinter mir schreien, schnelle schwere Schritte auf dem Asphalt. Bin ich gemeint? Bestimmt nicht. Dann ein Knall. Eine erstaunliche Feuerwolke, die aus der Motorhaube emporschießt und das Auto in die Luft jagt. Zu nah. Ich bin zu nah. Eine Druckwelle. Enormer Druck auf meinem ganzen Körper. Eine enorme Kraft, die mich federleicht durch die Luft wirbelt. Der Aufprall. Schwärze.

Francos Sicht

„Haben Sie noch irgendwo Schmerzen?" „Meine Beine", kommt etwas unverständlich zurück. „Sie werden hier gleich herausgeholt, die Feuerwehr kommt gleich", rede ich beruhigend auf den Mann ein und lenke ihn so auch etwas von der Geräuschkulisse ab, die auf die Patienten sehr angsteinflößend wirken mag. Dann geht alles ganz schnell. Ich höre einen ohrenbetäubenden Knall. Mein Blick kann gar nicht so schnell reagieren, da trifft mich etwas an der Schulter und ich verliere mein Gleichgewicht. Ein stechender Schmerz durchzuckt mich, ausgehend von meinem Oberarm. Meine Augen drehen sich automatisch in die Richtung des Schmerzes. Blut. Ich sehe Blut. Ein undefinierbares Stück etwas steckt in meiner Schulter. Den Schmerz kaum aushaltend, setze ich mich langsam auf. Ich liege etwas weiter vom Auto weg, doch meinem Patienten scheint es unverändert zu gehen. Soweit ich das beurteilen kann. „Scheiße, scheiße, scheiße!", höre ich Rettungskräfte rufen, die sofort in Panik verfallen. Untypisch, es muss wirklich Schreckliches passiert sein. Langsam wird mein benebelter Kopf frei und ich lasse meinen Blick schweifen. Noch ein brennendes Auto und - nein, das kann nicht.... Bitte nicht. Einige Meter weiter liegt eine Person auf dem Boden. Rettungsdienstkleidung. Die Haare lassen unverwechselbar auf Sofia schließen. Sofort rappele ich mich auf und will zu ihr, werde jedoch von zwei Sanitätern zurückgehalten. „Lassen Sie mich los! Ich muss mich um Sofia kümmern!", schreie ich die beiden an. „Beruhigen Sie sich! Es wird sich um sie gekümmert, Sie brauchen selbst Hilfe!"

Widerwillig lasse ich mich in einen RTW zerren. Mir fehlt schlichtweg die Kraft, mich zu wehren. Mit den Gedanken komplett woanders werde ich behandelt und mit einer hohen Dosis Schmerzmittel vollgepumpt. Die habe ich auch nötig. Ohne mir überhaupt was zu sagen, setzt sich der RTW plötzlich in Bewegung. „Stopp! Was wird das?", frage ich in panischer Unwissenheit über Sofias Zustand. „Wir bringen Sie in die Klinik am Südring, von dort in der Nähe kommen Sie doch, oder?" „Aber was ist mit meiner Kollegin?" Der Sanitäter zuckt nur mit den Schultern.

In der Klinik werde ich von einem sehr aufgebrachten Frederik in Empfang genommen. Nach der kurzen Übergabe will Frederik gleich mit der Behandlung anfangen, doch ich wehre ab. „Muss Phil noch informieren. Sofia." „Sofia? Was ist mit ihr?", fragt Frederik sofort alarmiert. Doch ich greife nur mit zitternder Hand in meine Hosentasche, um mein Handy zu nehmen. Das Display hat schon bessere Tage hinter sich, scheint den Sturz nicht ganz überlebt zu haben. Aber es funktioniert noch. Nach einem Piepen nimmt Phil ab und mit brüchiger Stimme schildere ich ihm die Situation. Viel kann ich zwar auch nicht sagen, aber er weiß jetzt, dass etwas mit Sofia ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er am anderen Ende umkippt. Der Fakt, dass das alles Phils perfekten Plan durchkreuzt, macht es für uns alle noch einen Ticken schlimmer. Auch wenn das eigentlich kaum geht.



Zufälle verbinden (Asds)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt