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"Dann kommst du heute Abend auch ganz, ganz sicher, oder?" Lucies Stimme war voller Vorfreude. Man konnte regelrecht das Lächeln, das sich über ihr gesamtes Gesicht breit machte, durch das Telefon hören.

„Aber natürlich komme ich!", versicherte ich ihr.

Einen kleinen Aufschrei der Freude konnte Lucie nicht verbergen.

„Und ich freue mich auch sehr auf heute Abend.", fügte ich hinzu. Es konnte gerade kaum etwas Besseres in meinem Leben passieren, als auf die Silvesterparty meiner besten Freundin eingeladen zu werden. Seit einem Jahr ist sie Single und ich bin es auch seit einem Monat. Um ehrlich zu sein, es hatte schon eine ganze Weile nicht mehr mit meinem Ex funktioniert. Zu viele Streitereien, viel zu anstrengend. Kerle, die glauben, ich wäre ihre Mutter, die hinter ihnen her putzt, die ihre Klamotten bügelt und am besten noch für sie kocht, haben sich geschnitten. Das wird ganz sicher nicht passieren. Ich bin für etwas Besseres bestimmt.

Genau das hatte mir auch Lucie gesagt, nachdem ich mich endlich nach einer zweijährigen Beziehung von meinem Ex getrennt hatte. Meinen Job als Sekretärin an der örtlichen Grundschule hatte ich ebenfalls hingeschmissen. Es wurde Zeit für etwas Neues. In diesem Dorf hatte ich meine ganze Kindheit und Jugend verbracht, hatte dort meine Ausbildung abgeschlossen und war dann nach meiner Anstellung als Sekretärin mit diesem eingebildeten Arschloch zusammengezogen, der sich von mir hatte bedienen lassen. Damit war es jetzt endgültig vorbei. Nie wieder würde ich mich auf so etwas einlassen.

Als ich das Stellenangebot für einen Bürojob bei der größten Firma der Region entdeckte, hatte ich natürlich sofort zugeschlagen. Und siehe da, innerhalb von nicht einmal zwei Wochen hatte ich dort eine Festanstellung in der Tasche. Mehr Glück konnte man beinahe nicht haben. Wenn ich euch nun aber erzähle, dass der Sitz dieser Firma sich in der Heimatstadt meiner besten Freundin befindet, werdet ihr schnell verstehen, dass es doch möglich ist.

Das Leben hatte mir sogar noch mehr in die Hände gespielt. Direkt über Lucies Wohnung war eine hübsche Etagenwohnung im Dachgeschoss frei geworden. Wenn das nicht Schicksal war! Endlich wohnten Lucie und ich wieder nach Jahren in derselben Stadt und waren auch noch Nachbarn.

Heute Abend war es soweit. Zeit für die Silvesterparty, die auch gleichzeitig meine Willkommensparty werden sollte. Schon seit Langem hatte Lucie mir von all ihren Freunden hier erzählt. Endlich würde ich sie kennenlernen. Ab dem zweiten Januar würde sich dann herausstellen, wie gut ich mich an meinem neuen Arbeitsarbeitsplatz anstellen würde. Von mir aus konnte das neue Jahr genauso weitergehen, wie das jetzige aufhörte.

„Was ziehst du heute Abend eigentlich an?"

Auf meine Frage hin, verfiel Lucie in eine winzige Schockstarre. Es herrschte Schweigen am anderen Ende des Telefons.

„Warte, ich komme gleich runter und dann entscheiden wir zu zweit.", heiterte ich sie gleich wieder auf.

„Ja, bitte.", kam es kläglich von der anderen Seite der Leitung.

„Dann bis gleich. Ich bin in maximal fünf Minuten unten."

So schnell ich konnte, kramte ich in meinen Umzugskisten, um das Kleid zu finden, welches ich für heute Abend ausgewählt hatte. Im Gegensatz zu Lucie war ich zumindest kleidungstechnisch perfekt auf den heutigen Abend vorbereitet. Fehlten nur noch das Makeup und die passende Frisur, doch das überlies ich lieber Lucie. Wenn es darum ging, war sie eindeutig begabter als ich. Mit meinem Kleid überm Arm und meine schicken silbernen Absatzschuhen in der Hand hastete ich die Treppe hinunter, die zu Lucies Wohnung führte. Ich hoffe, sie hatte auch daran gedacht, die Getränke zu besorgen. Zu Silvester war ich definitiv bereit für ein oder zwei Piña Coladas.


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