44 - Aufregung - in zweierlei Hinsicht

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Phils Sicht

Ich muss wohl kurze Zeit wie erstarrt dagesessen haben, denn als ich meine Umgebung wieder voll wahrnehme, hängen mir Leni und Mila an den Armen und gucken mich mit großen Augen an. „Wir müssen ganz schnell in die Klinik", sage ich und springe auf.

„Sofia? Ist sie hier?", frage ich komplett außer Atem am Empfang der Notaufnahme. Birgit, die gerade ebenfalls hier steht, schüttelt den Kopf. „Hier hat uns nichts erreicht. Ich telefoniere aber schon herum, wenn ich was habe, gebe ich dir sofort Bescheid." Kaum ist Birgit mit dem Erzählen fertig, klingelt mein Handy. Alex ruft mich an. „Alex? Was ist los?" „Ich wollte gerade aus der Uniklinik gehen, da ich hier jemanden abgeliefert habe, da haben die doch tatsächlich Sofia reingeschoben. Ich warte hier auf dich am Empfang der Notaufnahme." „Was ist mit ihr?", frage ich panisch, doch Alex winkt ab. „Kann ich dir nicht sagen. Ich war zwar mit ihr am gleichen Unfallort, bin jedoch schon früher gefahren. Da ist noch nichts passiert, das muss erst später gewesen sein." In diesem Moment tippt mich jemand an der Schulter an und ich wirbele herum. „Ich weiß auch wirklich nicht mehr über Sofias Zustand. Diese komischen Typen von Sanitätern haben mich einfach hierher verfrachtet und sind dann abgezischt. Ich muss über Nacht hierbleiben." Francos linker Oberarm ist dick mit Verband eingepackt. „Und was ist mit dir?" „Metallstück im Arm. Muss irgendwie vom Auto direkt in mein Arm getroffen haben. Glück, dass das nicht woandershin geflogen ist."

In solch einem hilflosen Zustand war ich wohl noch nie in meinem Leben. Ich weiß nicht, wie es Sofia geht, geschweige denn, was mit ihr überhaupt passiert ist. Und wo sollen die Kinder hin? Schon von weitem erkenne ich zwei Personen in greller Sanitäterkleidung. Alex und Jacky, wie ich schnell erfasse. Nicht mal wirklich bei ihnen angekommen, fange ich schon an zu fragen. „Habt ihr was?" „Nee, die sagen uns ja nichts. Wir sind keine Angehörigen. Phil du weißt, für dich kann es auch schwer werden." Alex guckt mich besorgt an und legt eine Hand auf meine Schulter, doch ich schüttele sie ab. „Ich kriege das hin", sage ich entschlossen. Plötzlich stößt mich Jacky von der Seite an und deutet auf einen Schockraum, aus dem ein Arzt direkt auf uns zukommt. „Da ist sie drin." „Haben Sie denn Verwandte von Frau Wegener, die wir informieren sollen?", wendet sich der Arzt an Alex. „Ich bin ihr Freund", komme ich Alex zuvor. „Freund oder Ehemann?" Der Arzt zieht skeptisch eine Augenbraue hoch. „Freund. Meine Güte ich weiß, Schweigepflicht. Aber ich bin verdammt nochmal der Vater unserer Kinder." „Wie dem auch sei. Dann haben Sie als Freund wahrscheinlich auch die Nummer ihrer Eltern? Die würden wir nämlich gern informieren." Nicht sein Ernst? Klar, ich weiß selbst, wie das als Arzt ist. Ihm sind praktisch die Hände gebunden. Trotzdem ringe ich nach Fassung, die Sekunde um Sekunde schwindet. „Phil, ihre Eltern werden dich doch dann alles wissen lassen. Soll ich bei dir bleiben?", schlägt mir Alex vor, was ich mit einem schwachen Nicken bejahe. „Und ich kann mich um Mila und Leni kümmern", kommt es von Jacky, die gerade noch in der Hocke vor den beiden stand. „Hier ist der Schlüssel. Du kannst zu uns, dass du sie auch ordentlich schlafen legen kannst." Jacky zieht mit Leni und Mila ab und ich wende mich wieder dem Arzt zu, der noch immer bei uns steht und wahrscheinlich auf Informationen wartet. „Aber jetzt mal ehrlich: Ich bin selber Arzt und man kann doch in gewissen Situationen Ausnahmen machen", probiere ich es nochmal, doch er schüttelt eisern den Kopf. Jetzt ist es endgültig um mich geschehen. „Verdammt ich wollte ihr doch heute einen Heiratsantrag machen! Was ist mit ihr?", schreie ich und sacke in mich zusammen. Alex kann meinen Sturz gerade noch so dämpfen.

Müde schlage ich meine Augen auf. Der Raum ist von den Jalousien abgedunkelt, doch durch diese kann man leicht den grellen Schein der Sonne erahnen. Es ist helllicht am Tag? Mein Blick schweift auf mein Bett. Wo bin ich? Im Krankenhaus? Was ist bitte passiert? „Der Arme scheint gestern komplett durch gewesen zu sein. Aber verständlich." Ist das nicht Paulas Stimme? Mein Körper ist schwer, doch langsam schaffe ich es, mich aufzusetzen. „Oh, er ist wach", bemerkt die schönste Stimme, die es auf dieser Welt für mich gibt. Ich reiße meinen Kopf mit einer blitzschnellen Bewegung nach links und gucke direkt in Sofias Gesicht, welches von ihrer Nachttischlampe beleuchtet wird. Eine schöne Platzwunde ziert ihre linke Schläfe. Mein Kopf probiert krampfhaft, die letzten Teile des gestrigen Tages zusammenzupuzzeln, bis sich schließlich ein verzogenes Bild in meinem Kopf ergibt. Sofia und Paula gucken mich erwartungsvoll an. „Was ist? Also was ist mit dir, Sofia? Ich glaube, du warst an meinem Zustand Schuld?" Sie lacht kurz auf und nickt. „Ja, das war ich anscheinend. Aber alles halb so wild. Ich habe sehr, sehr viel Glück gehabt. Eine Platzwunde, ein gebrochener Arm, eine eher leichte Gehirnerschütterung, eine Wunde an meinem rechten Oberschenkel durch ein Metallteil. Aber das wars, mir gehts gut." Mit einem ehrlichen Lächeln guckt sie mich an. „Nach wenig klingt das ja jetzt nicht. Kannst du dich daran erinnern, was passiert ist? Und wie bin ich überhaupt mit dir in einem Zimmer gelandet, wenn die mir vorher nicht mal sagen wollten, was mit dir los ist?" Sie schüttelt den Kopf. „Aber Franco hat es mir schon gesagt. Außerdem haben meine Eltern dem Personal gleich klargemacht, dass du alles wissen darfst. Auch wenn es da schon zu spät war. Da ich dann wiederum wieder komplett ansprechbar war und die gemerkt haben, dass wir wirklich ein Paar sind und das mein momentan sehnlichster Wunsch war, dich bei mir zu haben, haben die dich zu mir gelegt." „Wie spät ist es denn?", stelle ich die nächste Frage und reibe mir die Schläfen. Ein dumpfer Kopfschmerz breitet sich langsam aus. „Schon 14 Uhr. Du hast ewig geschlafen. Aber nach dieser beachtlichen Menge an Beruhigungsmittel ist es kein Wunder. Alex hat uns alles erzählt", bringt mich Paula auf den Stand der Dinge. Stimmt, ich bin gestern zusammengebrochen. Das wars dann aber auch, danach ist nichts mehr passiert. Für mich jedenfalls nicht.

Langsam stehe ich auf, bedacht darauf, meinen Kreislauf nicht maßlos zu überfordern, und gehe rüber zu Sofia, um sie fest in den Arm zu nehmen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich noch die gleiche Kleidung anhabe. Panisch greife ich zu meiner Hosentasche und stelle fest, dass die Schachtel nicht mehr an Ort und Stelle ist. Paula scheint meinen Blick bemerkt zu haben und beruhigt mich sofort: „Keine Sorge, Alex hat das mitgenommen." Erleichtert atme ich aus und ignoriere Sofias fragenden Blick. „Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir für Sorgen gemacht habe", nuschele ich in ihre Haare. Sie drückt mich etwas von sich weg, um mir in die Augen zu gucken. „Tut mir leid, war nicht meine Absicht." Mit einem Schmunzeln auf den Lippen küsst sie mich sanft. Ein Räuspern von Paula und Klopfen an der Tür lässt uns auseinander fahren. „Herein", sagt Sofia eher fragend. Und rein kommen Jacky mit Leni und Mila an den Händen, Alex und Franco. Leni und Mila überfallen Sofia und mich gleich, die erst mal ordentlich von uns durchgeknuddelt werden. „Da hast du aber wirklich Glück gehabt, Sofia. Wir sind alle sehr erleichtert", äußert Alex die Meinung von allen Anwesenden, dann kommt er auf mich zu und schiebt mir die Schachtel in die Hand. „Dein Einsatz", flüstert er und klopft mir grinsend auf die Schulter.

Ich habe lange überlegt, ob ich es typisch kitschig machen soll. Eigentlich war ich für eine ausgefallene Idee, doch dieser Unfall lässt mir jetzt kaum etwas anderes übrig. Mit einem Räuspern, da mir ein kleiner Kloß den Hals blockiert, und noch einem letzten Blick zu den anderen gehe ich vor Sofias Bett auf die Knie. Paulas und Jackys Augen haben jetzt schon verdächtig geglitzert. Jetzt sind meine Improvisationstalente gefragt.

Sofias Sicht

„Sofia, klar, es gibt deutlich passendere Orte und Momente für die Worte, die ich dir jetzt sage, doch es passt schon irgendwie ein wenig. Schon nach unserer ersten Begegnung, von der du wahrscheinlich nicht allzu viel mitbekommen haben dürftest, bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Irgendwie war ich die ganze Zeit in Sorge, auch wenn ich dich nicht kannte. Da ein Unfall der Grund für unsere erste Begegnung war, ist es jetzt schon ein komischer Zufall, dass ich das jetzt nach einem erneuten Unfall mache. Ach egal, was sage ich hier eigentlich? Jedenfalls habe ich mich sehr doll gefreut, als du plötzlich an deinem ersten Arbeitstag vor mir in der Wache standest. Mehr gefreut, als das vielleicht rübergekommen ist. Von Tag zu Tag habe ich eine stärkere Bindung zu dir aufgebaut, die schnell von Gefühlen für dich noch mehr verstärkt wurde. Ich hätte jede Sekunde mit dir verbringen können, war jedoch immer zu schüchtern, dir das zu sagen. Als du mir dann die Nachricht mit der Schwangerschaft überbracht hast, habe ich all meinen Mut zusammengenommen. Und ich ärgere mich bis heute, es nicht schon früher getan zu haben. Du bist der Mensch, der mir neben den Kindern am meisten bedeutet. Für dich, und natürlich für die Kinder, würde ich alles mir menschenmögliche machen. Es gibt keinen Menschen, mit dem ich so gern mein ganzes Leben verbringen möchte, wie mit dir. Du und die beiden Mädels, ihr seid die drei wichtigsten Menschen meines Lebens." Er hält kurz inne und räuspert sich erneut. Mir schwant, wozu er jetzt ansetzen will, und ich kämpfe mit den Tränen. „Sofia, möchtest du mich heiraten?" Er hebt eine Schmuckschatulle, öffnet sie und hält mir einen Ring entgegen. Sprachlos schlage ich mir die Hand meines gesunden Armes vor den Mund, kann das Schluchzen kaum unterdrücken. Die Tränen laufen mir unaufhaltsam übers Gesicht und ich nicke nur. Mit zitternder Hand nimmt er den Ring und steckt ihn mir an den Finger. „Ja, ja ich will", flüstere ich, als er mich fest umarmt. Mein Körper bebt von dem Schluchzen und er streicht mir sanft über den Rücken, bis er sich schließlich von mir löst, um mich sanft und voller Liebe zu küssen. Die anderen klatschen und selbst bei den Männern mache ich Tränen ausfindig, nachdem sich Phil von mir gelöst hat, da er nun selbst damit beschäftigt ist, sich die Tränen wegzuwischen.



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