The Tragic Death of Mary Sue

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Sie konnte nicht glauben, dass ausgerechnet heute ihr altes Leben auf sie hereinstürzte und sie in eine Fallgrube drückender Dunkelheit bugsierte. Gerade als ihr Chef sie auf ihren Wunschposten setzte und sie beglückwünschte, rief ein vergangener Geist aus längst verdrängten Tagen nach ihrer Aufmerksamkeit. Seufzend drückte Mary sich den dicken, schwarzen Rahmen ihrer Sonnenbrille gegen die Furche, die sich zwischen ihren Augen ausbreitete. Ein nervöser Tick, wenn sie sich in einer Situation befand, die ihr eine regelrechte Gänsehaut bescherte. Seufzend ließ sie ihren Kopf gegen den grauen Stützpolster ihres langweilig unauffälligen Kombis fallen und starrte noch einmal zu dem verranzten Diner, mitten auf dem Highway. Ein gottverdammtes Niemandsland und so typisch für Kid. Nur er hatte die Nerven sie hierher zu bestellen, nach Jahren der Funkstille, und es auch noch wagte zu spät zu kommen. Sie zog an der weißen Bluse, die mittlerweile schon feucht von ihrem Schweiß war, und unangenehm an ihrer zarten wie makellosen, weißen Haut klebte. „Pisser", zischte sie und stieg aus ihrem Wagen. Selbst wenn der Rothaarige nicht auftauchen sollte, musste sie aus dem kochend heißen Auto, bevor sie zu schmelzen drohte. Mary schlug ihr blondes Haar über die Schulter, während sie ihre beige Tasche schulterte und das Diner betrat.
Angewidert wanderten ihre Augen über die grauen Schlieren des einst weißen Fließbodens und nahm sich langsam die Sonnenbrille von der Nase. Eine korpulente Bedienung, mit zwei halbmondkreisförmigen Flecken unter ihren Armen und Schweißtropfen an Stirn sowie Hals, veranlasste die Blondine, fast wieder in die brütende Hitze des Highways zu fliehen. Es war innen noch schlimmer als außen. Mary nahm auf dem roten Kunstleder der Kojen an der Fensterfront Platz und richtete ihren schwarzen Bleistiftrock, damit ihre nackten Oberschenkel nicht auf der widerlichen, alten Sitzbank kleben blieben.
Schnell schnappte sie sich einige Papiertaschentücher und fing an die glänzende Oberfläche des Tisches einmal zu reinigen.

Die Bedienung musterte ihren neuen Gast und verdrehte genervt die Augen, als die blonde Schönheit vehement ein Taschentuch nach dem anderen aus dem Behälter zupfte. Kurz musste die Frau schmunzeln, denn der Tisch würde so oder so nicht sauber werden. Sie nahm die Kanne mit dem schwarzen, verbrühten Kaffee und eine Tasse, die scheppernd das Putzen der Blondine unterbrach.
„Was darfs denn sein, Schätzchen?", fragte sie und konnte kaum ein ermüdetes Seufzen unterdrücken. Sie hatte eine Zwölf-Stunden-Schicht hinter sich, ihre Füße brannten als würde sie auf Kohlen gehen und das Mädchen versprach nichts Gutes.
„Ein Wasser mit Zitrone und könnten Sie den Tisch nochmal abwischen. Irgendwas klebt hier fürchterlich." Die Frau hob ihre buschigen Augenbrauen und hatte jetzt schon keine Geduld mehr für die Kleine. „Und bitte echte Zitrone!", schrie sie der Bedienung betont hinterher. Mary gefiel der Schuppen ganz und gar nicht. Nur wenige weitere Gäste befanden sich in dem Diner, hauptsächlich Berufsfahrer, die auf eine schnelle Mahlzeit hofften. Nur ein jüngeres Pärchen, das übereinander herfiel, passte nicht so recht in das Bild des Diners. Das wilde und unerfahrene Geknutsche wurde immer mal wieder durch das Lachen des Mädchens unterbrochen. Mary schob die Brauen zusammen und fragte sich, warum sie ausgerechnet hier gelandet waren. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, schob sich ein grausiger Geruch dazwischen, der höchstwahrscheinlich von dem Lappen der Kellnerin kam. Ihr Mund verzog sich und schon wieder langte sie geistig nach den Papiertüchern, die sich gerade hämisch in dem silbernen Spender präsentierten. Die Kellnerin ließ den Plastikbecher auf den nun gewischten Tisch nieder und machte sich schnell wieder auf den Weg Richtung Küche. Mary hielt den Gestank kaum aus und putzte nochmals über die Tischplatte.

Sie hatte sich bewusst mit dem Rücken zur Tür gesetzt, um sich nicht sofort dem Hünen auszuliefern. Sie würde ihn sowieso mit jeder Körperfaser spüren, selbst wenn sie ihn nicht sah. Kid kam in ihr Leben, wie er es auch wieder verließ. Wie ein Sturm, der alles mitriss und unendliches Chaos hinterließ, wenn man nicht gewillt war, sich von ihm davontragen zu lassen. Die Blondine fühlte die wachsende Unruhe in ihren Körpergliedern, als sie darüber nachdachte, was die Begegnung und vor allem die Trennung von Kid mit ihr angestellt hatte. Die Blondine seufzte und starrte die Zitronenscheibe in ihrem Glas an. Einige Fetzen der Frucht lösten sich und trieben nun durch die aufsteigenden Wasserperlen umher. Sie rieb sich über die Stirn und entschloss sich, sobald wie möglich zu verschwinden. Die Idee, Kid wieder in ihr Leben und alles an sich reißen zu lassen, versetzte sie in einen momentanen Angstzustand. Die Frau hatte sich ein gutes Leben aufgebaut, trotz einiger – nennen wir es – Fehlentscheidungen. Das Jobangebot von heute Morgen kam nicht unverhofft, auch wenn sie in ihrer Firma seit dem ersten Tag zu kämpfen hatte. Überall wo sie hinkam, wurde sie mit Verachtung gestraft. Dinge fielen ihr zu leicht, sie war zu perfekt. Böse Zungen behaupteten, dass sie sich nach ‚oben' schlief und ihr schönes Äußeres ausnutzte, um weiter zu kommen. Dass dahinter weit mehr steckte, als die meisten ahnten, blieb unerwähnt. Doch Kid war jemand, der auf die kollektive Meinung sehr wenig beziehungsweise gar keinen Wert lag. Das war auch der Grund warum Mary so fasziniert von ihm war. Denn anders konnte sie sich die Anziehung der beiden nicht erklären. Sie waren wie Tag und Nacht, konnten nicht unterschiedlicher sein. Selbst optisch war er eigentlich überhaupt nicht ihr Fall. Und doch kam es, wie es kommen musste. Es endete mit einem Paukenschlag, den sie bis heute nicht verkraften konnte. Sie langte in ihre Tasche und wollte der unhöflichen Bedienung gerade ein paar Scheine auf dem verdreckten Tisch hinterlassen, als sie das grölende Aufheulen eines Motorrads hörte. Verbissen blieb sie in ihrer Position, starr und nicht fähig sich zu rühren. Ihr Atem überschlug sich einige Male, bevor er gänzlich aussetzte, und sie drohte von der Sitzbank zu gleiten. Ihr Körper wurde von einem plötzlichen Fieber befallen, das ihr den Hals zuschnürte. Sie wusste, dass sie ihn spüren würde. Seine Präsenz vereinnahmte sogar die Luft, dass man sie schneiden konnte. Das kleine Glöckchen erklang und kündigte die Ankunft ihres personifizierten Abgrunds an. Die Situation erinnerte sie an einen modernen Western. Das Treiben verstummte, die Menschen verharrten und das nur, weil der Antagonist mit schweren Schritten die Bühne betrat. Mary versuchte Ruhe zu bewahren, und schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren. Doch stieg ihr dieser unverwechselbare Duft in die Nase, den sie selbst mit allen vorgefertigten Phrasen der Welt nicht einfangen oder beschreiben konnte. Es war ein herber Duft, eine kleine Note Süße und doch so schwer, gemischt mit dem Geruch der Straße, der sich in seinen feuerroten Haaren verfing und Kids persönliche Eigenmarke so einzigartig machte.
Kid." Es sollte wie eine Feststellung klingen, distanziert und abgebrüht, wie sie sich ihm gegenüber geben wollte, seit sie sich dazu entschloss in die Wüste zu fahren. Deswegen räusperte sie sich ergiebig, als es nur ein zartes Hauchen seines Namens war und verdächtig nach starker Sehnsucht klang. „Hey Kleines!" Der Rothaarige beugte sich zu der Frau hinunter, raunte ihr eine Begrüßung in den Gehörgang, die sich dort vibrierend ausbreitete und die Frau fürchtete sie würde taub werden, trotz Kids Flüstern. Er bewegte sich andächtig, als wäre jede Beanspruchung seiner Muskeln genau überlegt. Seine abgegriffene Lederjacke landete geräuschvoll in der Ecke und Kids Körper glitt auf die Sitzbank. Die bernsteinfarbenen Irden wanderten über die Kurven ihrer Gestalt und Mary spürte es so intensiv, als würden seine Finger stattdessen über ihre Haut streichen.

Währenddessen dankte die Bedienung Gott für den Schichtwechsel und begrüßte ihre junge Kollegin wenig freundlich. „Du bist zu spät!", maulte sie und würde am liebsten die letzten Teller auf der Stelle loslassen und sich Richtung Auto schleifen. Müde sah sie auf die Uhr und erkannte, dass sie gerade mal fünf Stunden hatte, um bei ihrem nächsten Job anzutreten. Genervt sah sie dem Jungspund dabei zu, wie sie mittlerweile das dritte Mal ihren quietschrosa Kaugummi zerplatzen ließ und sich um die Verspätung wenig scherte. „Jetzt bin ich ja hier", sagte sie mit einem breiten Lächeln, das gefährlich nahe dran war, mithilfe einer Faust, sein jähes Ende zu finden. Das Mädchen band sich ihre buntgefärbten Haare zusammen und strich die fürchterliche Uniform glatt, bis sie einen Blick zu ihrer heutigen Kundschaft riskierte. Ihre dunklen Augen blieben bei dem breitgrinsenden Hünen hängen, der den ganzen Raum für sich beanspruchte. Allerdings hatte er nur Augen für seine Gesellschaft. Die Kellnerin biss sich auf die Lippen und schnappte sich eine Erdbeertorte, die sie dem hübschen Mann anbieten wollte. Natürlich aufs Haus.
„Was willst du von mir, Kid?", zischte Mary und ihre Augen zuckten kurz zu der neuen Bedienung, die sie keines Blickes würdigte und stattdessen Kid ansah, als wäre er etwas, auf das sie schon ihr Leben lang gewartet hatte. „Die ist für Sie... geht aufs Haus!", säuselte sie und streckte Kid auffällig ihr Dekolleté entgegen. Kids Arme lagen auf der Lehne, sein T-Shirt spannte sich quer über seine Brust und forderte die Elastizität des Stoffes gefährlich heraus. „Danke, Süße!" Kid schenkte dem Mädchen ein breites Grinsen und Mary musste den Kopf schütteln. Dieses Grinsen hatte sie schon einiges gekostet. Kid hatte die Fähigkeit, dass Menschen sich in seiner Nähe besonders fühlten. Als wäre man die Einzige, die es wert wäre, von ihm beachtet zu werden. „Ich liebe Erdbeeren." Seine große Pranke fasste nach einer der Früchte, die das Tortenstück verzierten und warf sie sich in den Rachen. Die junge Frau war gefesselt von dem Anblick, der sich ihr schamlos bot. Sie beobachtete die rote Zunge wie sie sich um seine breiten Finger schlängelte, um den Fruchtsaft davon runter zu lecken.
„Das darf nicht wahr sein!", murmelte Mary und rieb sich genervt die Stirn. Kid machte keinen Hehl daraus, sie einfach nur provozieren zu wollen und es auch noch herrlich gut funktionierte. Er zwinkerte dem Mädchen zu und sah ihr auffällig nach, als sie sich breit grinsend, durch die Glücksgefühle, umdrehte. Die Blondine zog an ihrer Bluse und überschlug die Beine, ihr Fuß zappelte wild unter dem Tisch. Ihr Geduldsfaden war deutlich überspannt und sie hatte keinen Nerv sich auf Kids Spielchen einzulassen. „Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: WAS willst du?"
„Ich dachte, du hättest dir endlich mal den Stock aus dem Arsch gezogen."
Der Hüne lehnte sich bequem gegen die rote Polsterung und machte sich breiter, als ohnehin schon. Der linke Arm lag wieder lässig auf der Lehne und die vielen Lederarmbänder wippten bei jeder kleinen Bewegung.
„Du bist vulgär!", zischte die Blondine und fuhr sich gestresst durch das seidig blonde Haar. Sie war von sich selbst angewidert. Am liebsten würde sie sich eine eiskalte Dusche gönnen und seit sie in diesem Lokal saß, dachte sie, dass ihr der sämtliche Dreck in der Luft langsam jede Pore ihres Körpers verstopfte. Der Rothaarige lachte glockenhell und herzlich amüsiert, was Marys Nerven nur weiter strapazierte. Seine Arme verschränkten sich vor seiner breiten Brust und er lehnte sich über den Tisch, sodass er Marys Ohr mit seinem Atem kitzelte. Die Blondine konnte die aufkeimende Erinnerung an Kids erstaunlichen Körper in diesem Moment nicht verdrängen. An diesem Mann gab es kein überflüssiges Gramm Fett, jede Sehne, jeder Muskel lag genau am richtigen Platz und jede Bewegung war ein reines Muskelspiel, dem man mit Freuden verfiel. Wenn man auf so etwas Wert lag. Mary sah sich nicht als eine Frau, die Muskeln beeindruckten, doch Kid hatte einiges mehr zu bieten, auch wenn sie sich das über die Jahre versucht hatte auszureden. „Sagt die Frau, die mir früher unter dem Tisch einen geblasen hat – genau in so einem kleinen Diner!"

Zischend wand sich die Blondine ab und wischte sich kochend vor Wut über den Mund. Ihre Wangen färbten sich mit zutun der Sommerhitze, in einem fast grellen Rotton und sie versuchte den Gedanken zu verdrängen, den Kid gerade erfolgreich in ihr Hirn pflanzte.
„Lust auf eine Wiederholung?" Seine Finger griffen nach einer abstehenden blonden Strähne und strichen sanft über das Haar. Im Schein der Sonne spiegelten sich kleine goldgelbe Nuancen darin und erinnerten Kid an einen Kristall, je nach Winkel und Betrachtungsweise gab er etwas anderes von sich preis. Er konnte sich noch gut daran erinnern, als Mary sie eines Nachts selbst abschnitt und ihm erklärte, dass sie nur einmal nicht perfekt sein wollte. Ihm blieb damals fast das Herz stehen, als er seine Hände nicht mehr in dem goldenen Meer vergraben konnte. „Fick dich, Kid!" Sie schlug auf seine Finger und starrte ihn wutentbrannt an. Die dunklen Augen bekamen einen ganz eigenen Schimmer, fast so als würden sich alle Farben der Welt darin spiegeln. Kid starrte ihr oft genug in die beiden Irden, konnte ihre Farbe aber nie richtig bestimmen. Er grinste und fuhr sich mit der Zunge über seinen spitzen Eckzahn. So mochte er sein Mädchen.
„Wer ist jetzt vulgär?"
„Ich würde sagen, immer noch du!" Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasser und befeuchtete ihren Mundraum mit der Flüssigkeit. Das Eis war geschmolzen und die Kohlensäure längst verflüchtigt. „Brauchst du Geld?" Sie sah ihm in die Augen und konnte kurze Verwunderung ausmachen. Die mandelförmigen, großen Augen weiteten sich in einer Schrecksekunde, bevor sich die Wut in seinem gesamten Gesicht breitmachte. Sein kräftiger Kiefer spannte sich an, die ausgeprägten Knochen schoben sich durch die schneeweiße Haut und kündigten nichts Gutes an. Mary kannte diesen Ausdruck nur zu gut und es schauderte sie bei dem Gedanken, dass Kids Zorn hier in diesem Diner auf sie niederprasseln würde wie ein plötzlicher Hagelsturm. Kids Launen glichen einem Wolkenbruch. Von einer Sekunde auf die andere verdunkelte sich der strahlend blaue Himmel und ließ ein Donnerwetter los.

The Tragic Death of Mary Sue [One Piece • Eustass Kid • OC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt