Kapitel 1

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Sanft kitzelte die Sonne mich aus meinen Träumen. Während ich mir die Hand vor die Augen hielt, versuchte ich den restlichen Schlaf aus meinen müden Augen zu blinzeln. Vergeblich. Die Müdigkeit wollte nicht verschwinden, egal wie sehr ich es auch wollte. Aber seit dem Vorfall schlief ich kaum noch, die Trauer hält mich Tag für Tag, Nacht für Nacht in ihren Fängen. Will mich nicht loslassen, reißt mich immer mehr in einen Sturm der Gefühle. Nur an manchen Tagen blieb die Trauer aus. Zurück bleibt eine unendliche Leere.

Zwar wollte ich mich am Liebsten wieder in die Kissen vergraben, den Tag im Bett verbringen, aber dafür war ich zu stolz. Obwohl mein Herz wie tausende Splitter in meiner Brust stach, stand ich auf und tapste ins Bad.

Ich putzte mir die Zähne, wusch mein Gesicht und bürstete mir die Haare. Für den Alltag schminkte ich mich nie und besonders talentiert war ich darin auch nicht. Ich blickte in den Spiegel und wie jeden Tag wusste ich nichts mit meinem Spiegelbild anzufangen. Seitdem er mir das angetan hatte, sah ich mich kritischer. War ich womöglich zu gewöhnlich? Zu langweilig? Nicht so aufregend wie er es vielleicht gerne gehabt hätte?

Eigentlich fand ich mich immer ganz okay, ich hatte eine reine Haut, für die ich nicht tun musste. Meine blauen, klaren Augen mit den dunkel umrandeten Wimpern blickten mich neugierig und frisch aus dem Spiegel an und meine langen, blonden Haare fielen leicht und glänzend über meine Schultern. Zwar war mein Teint hell und mein Körperbau eher schlank, mit wenig Kurven, aber dennoch war ich bis dahin zufrieden mit mir.

Ich wandte mich mit einem Seufzer ab und richtete mich weiter für den bevorstehenden Tag in der Universität. Ich studierte Chemie im dritten Semester und war fest entschlossen, meinen verbliebenen Ehrgeiz und Stolz allein auf einen guten Abschluss zu richten. Schnell schnappte ich mir noch einen Fruchtjoghurt aus dem Kühlschrank, warf ihn in meinen Rucksack, zog mir meine weißen Sneaker an und ging raus in die frische Morgenluft.

Die sanfte Brise, die noch nichts von der kommenden Mittagshitze erahnen ließ, bließ meine Sorgen vom Morgen weg, zurück blieb nur ein kleines, aber stetiges Stechen in meiner Brust.

Wie von selbst trugen meine Beine mich wie jeden Morgen zu jenem Platz. Jener Platz der einmal unser gemeinsamer Ort war, nur unserer. Wo wir die Zeit vergessen konnten, wo wir uns jeden Morgen trafen, um zehn Minuten gemeinsam zu verbringen, bevor wir in unsere unterschiedlichen Kurse mussten und uns den ganzen restlichen Tag kaum sahen. Zehn Minuten die uns gehörten. Zehn Minuten, die uns niemand stehlen konnte. Meistens schwiegen wir, genossen die kleine Zeit für uns allein und lagen unbeschwert aneinander gekuschelt nebeneinander. An anderen Tagen, bei denen das Wetter es nicht anders zuließ, standen wir eng zusammen gepresst unter einem Regenschirm, mein Kopf stets gegen seine Brust gelehnt. Sein beruhigender Herzschlag an meinem Ohr.

Es war ein kleiner Hügel mit drei großen Trauerweiden, welche sich über einem aufbauten, wie ein schützendes Dach bei Regen oder ein Schattenspender bei stechender Sonne. Drei Beschützer von zwei, sich liebenden Personen. Doch wie immer war ich allein hier. Ich saß allein im weichen Gras unter den Bäumen und blickte den Hügel hinab, von dem man auf die alte, aber romantische Universität blicken konnte. Durch meine Kopfhörer wummerte laut das Lied, zu welchem wir uns kennengelernt hatten und eine kleine Träne rann über meine Wange.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 04, 2020 ⏰

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