Kapitel zwei | Der weinende Junge

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„Evie mir ist natürlich total am Arsch vorbeigegangen", meinte Leo aufgebracht und nippte an seinen Drink, während er seinen Blick von der Tanzfläche, die man durch die leicht geöffnete Tür gut beobachten konnte, auf mich richtete und mich erwartungsvoll ansah. „Ich mein, ich versteh ja, dass sie gehänselt wird, weil sie immer noch mit einem My Little Pony Rucksack zur Schule läuft, aber was soll ich machen?! Das Geld bei Alibaba reicht grad so für alle Rechnungen außerhalb des Ladens – wie soll ich noch einen Scheiß Rucksack für meine Schwester kaufen?!"

Müde von seinen ständigen Beschwerden zuckte ich bloß mit den Achseln und stapelte die Bierflaschen unbeirrt weiter in das Regal. Mein Leben war auch keines, was man durch eine rosarote Brille sehen konnte – sie hätte eher eine pissgelbe Farbe. „Bro, ich hab' echt kein Plan", meinte ich mehr hilflos als hilfsbereit und beugte mich konzentriert über den nächsten Karton.

Wir befanden uns im ‚Lager' der Jamson's Bar. Die meistbesuchteste Bar der Eastside von Hablern. Hier wimmelte es nur so von Assis jeglicher Art (und ich musste mich schweren Herzens mit dazu zählen). Ob nun Alkoholiker, Dogenabhängige und -dealer, Angehörige verschiedener Gangs, Prostituierte oder Schwarzarbeiter – alle Menschen, die man in dem sogenannten Untergrund einordnen konnte trafen sich hier und prosteten sich für die Länge eines Abends zu. Auf der Straße spuckte man sich dann wieder gegenseitig an.

„Ganz ehrlich sie kann auf die Meinung dieser Schlampen scheißen", fuhr Leo unbeirrt fort und gestikulierte überschwänglich mit seinen Händen, wobei er scheinbar vergaß, dass er noch einen Drink in der einen Hand hatte, denn es schwappte nicht gerade wenig über den Rand seines Glases und landete auf dem betonierten Boden. „Ups! Sorry, Alter."

Ich verdrehte nur die Augen ehe ich das letzte Häckchen auf meiner Liste setzte und aufstand. „Ich bin fertig", sagte ich, was wahrscheinlich ein wenig überflüssig war und sah zu meinem besten Freund. Alter, er war so durch. So als würde es ihn wundern wie sich die Flüssigkeit aus dem Glas befördert und auf den Boden gelandet war, blickte er mit einem total verwirrten Blick zwischen der Pfütze auf dem Boden und seinem Glas hin und her.

„Bro, ich hab keinen Plan wie das passieren konnte", sagte er dann und sah mich wie ein begossener Pudel an.

Das Lachen konnte ich mir nun ernsthaft nicht mehr verkneifen. „Ey, mach dir keine Sorgen", meinte ich und machte eine abwerfende Handbewegung, wobei ich mir sofort das Glas schnappte. „Hier passiert das ständig." Das entsprach auch der Wahrheit. 50% der Flecken auf dem Boden stammten von Vivienne und Victor Jameson – die Kinder des Besitzers. Sie waren meine Arbeitskollegen und Freunde.

„Ich geh' jetzt nach Hause", informierte ich Leo und trat zur Tür. Ich hatte keinen Bock mehr und alles was ich wollte, war es in meinem Bett zu liegen und der Stille zu lauschen, weil sich meine Eltern die letzten Tage auf magische Art und Weise zusammengerissen haben und ihre Streitereien auf die Zeit des Tages verschoben hatten, wo ich nicht zu Hause war.

„Was?!" Leo sah mich entgeistert an und stand schnell auf, was er aber sofort zu bereuen schien, denn er setzte sich mit wackligen Beinen wieder hin. Idiot. Er war zu besoffen. „Aber die Party geht doch erst richtig los", lallte er verständnislos und zog dabei das Wort Party so weit in die Länge, dass ich Angst bekam, dass sich Sabber zu dem Getränk auf dem Boden gesellte.

„Hab' kein Bock auf Party." Ich zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. Wenn Leo so besoffen war sollte man sich nicht mit ihm streiten, das war wie eine unausgesprochene Regel. Wenn Leo besoffen war, war der Typ zu allem fähig. Wirklich allem.

Als ich an der Bar vorbeikam stellte ich Leos Glas ab und nickte Victor kurz zu. „Gehst du schon?!" Er sah mich ungläubig und auch irgendwie ein wenig enttäuscht an.

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