Die letzten Treppenstufen knarzten laut als ich an der Tür unserer Wohnung ankam. Ich kniff die Augen zusammen. Jetzt hatte mich Natalie definitiv gehört und war aufgewacht. Meine Schwester hatten einen sehr leichten Schlaf. Das kleinste Geräusch konnte sie aufwecken und ich wusste immer noch nicht genau, ob es praktisch oder einfach nur beschissen war. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Ich zog meinen Schlüssel aus der Jackentasche und schloss die Tür auf, an der seit meine Eltern verheiratet sind, ein Schild schief unter dem Spion hängt. ‚Willkommen bei Mr. und Mrs. Warholden' stand dort in geschnörkelter Schrift. Später hatte jemand mit Edding ein ‚+ Familie' dazugeschrieben (und ich befürchte stark dass es meine Wenigkeit getan hatte) und es hatte nicht mehr diesen perfekten Eindruck, den das Schild wahrscheinlich hatte vermitteln sollen. Mum konnte sich nicht mehr erinnern, wer ihnen dieses Hochzeitsgeschenk gemacht hatte (das hatte der Alkohol weggespült), aber sie wusste, es war eine gute Freundin von ihr gewesen.
So leise wie es mir möglich war schloss ich die Tür hinter mir als ich die dunkle Wohnung betrat. Wenn ich Natalie schon aufgeweckt hatte, musste ich nicht auch noch meine andere Schwester Harlow aufwecken. Sie war acht.„Warum kommst du erst so spät?"
Das hat mich erschreckt, ich gebe es zu. Ich blickte mich im Raum um und entdeckte meine ältere Schwester am Esstisch sitzen. Kurz hatte ich den Eindruck, sie hätte auf mich gewartet, doch dann sah ich ihre zerzausten Haare im Schein der schwachen Beleuchtung am Tisch. Sie war beim Lernen eingeschlafen.
„Sorry", meinte ich augenverdrehend, wohl wissend, dass sie das nicht sah, „hab die Zeit vergessen. Heute war's echt voll."
„Aha", sagte sie nur und ich konnte schwören sie nicken zu sehen. „Nächstes Mal wenn du sagst, du kommst früher solltest du das auch."
Okay, sie zog an dem passiv aggressiven Strang, ich seh' schon.
„Jo, tut mir echt mega leid. Ich hab total die Zeit vergessen."
„Das hast du du gerade schon gesagt, Rick." Sie seufzte und stand auf.
Ich hörte das Klicken des Lichtschalters und kniff erschrocken die Augen zusammen, als es tatsächlich hell im Raum wurde. Ne, war nicht so meins.
„Mann, Maverick. Ich muss mich doch auf die verlassen können, wenn ich morgen früh arbeiten gehe!" Ihr Ton war vorwurfsvoll und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre hellen Haare, die im Vergleich zu meinen fast schwarzen einen ziemlichen Kontrast bildeten (warf auch die Frage auf, ob meine Mum fremd gegangen war) hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengesteckt.
„Sorry", murmelte ich daraufhin bloß genervt und kickte meine Schuhe in die Ecke neben der Tür hinter mir. Was war daran so verdammt schlimm, Alter? „War nicht mit Absicht."
„Rick!" Ihre Hand knallte auf den Tisch vor ihr, was mich leicht zusammenzucken ließ. „Du bist 17, mein Gott! Kannst wenigstens versuchen Verantwortung zu übernehmen? Einmal in deinem gottverdammten Leben? Oder ist das zu viel verlangt?"
Natalie war wie meine Mathe Lehrerin Mrs Hammond. Sie ging von 0 auf 180 bevor du auch nur irgendwas zu deiner Verteidigung sagen konntest.
„Jo, kommt echt nicht wieder vor." Ich hebe die Hände abwehrend in die Höhe. „Schwör' ich auf das Grab von Dads verstorbenen Dealer Pedro."
„Der ist verbrannt worden", sagte Natalie nur trocken und ließ sich mit verschränkten Armen wieder auf ihren Stuhl plumpsen.
„Dann auf Tante Cecelia", meinte ich schulterzuckend und lief in Richtung meines Zimmer am andern Ende des Flurs. „Und schrei mich lieber morgen an – sonst wacht Harlow noch auf."
Das schien sie zu überzeugen, denn Natalie erwiderte darauf nichts mehr, doch ich wusste, dass das Thema noch nicht gegessen war. Morgen konnte ich ziemlich sicher was erleben. Doch für heute war sie fertig. Auf allen Ebenen.
Das Licht in meinem Zimmer ließ ich gleich aus. Meine Jeans und meine Jacke landeten irgendwo auf dem Boden. Dann schmiss (und das meine ich wortwörtlich) ich mich ins Bett. Ich war einer der wenigen Menschen auf diesen Planeten, die mit Socken schliefen, ja. Manchmal hatte ich das Gefühl gehabt es sei für manche Leute ein Verbrechen. Aber jo, findet euch damit ab. Der Putz an der Decke über meinen Bett blätterte schon leicht ab und ich schloss die Augen.
Ich habe heute mit meinem Crush geredet, hatte ihn sogar auf ganz platonische Weise nach Hause gebracht und konnte noch nicht ganz realisieren, dass er mich nächste Woche im Geschichtskurs vielleicht wirklich wiedererkennen könnte. Das setzte natürlich voraus, dass er mich auch sehen müsste, doch die Chancen standen gut würde ich mal behaupten.
Mit meinem müden Verstand versuchte ich, mir auszumalen wie seine Reaktion genau aussehen würde, doch auch wenn ich das gerne wollte – ich konnte ihn wirklich nicht einschätzen.
Wyatt hatte sich mir heute nicht geöffnet, auch wenn ich es vielleicht wollte. Er hatte mir nur einen Teil seiner Persönlichkeit gezeigt, die scheiße süß war und ich hatte das Gefühl ich kam nicht damit klar.
Doch er hatte mir das nur gezeigt, weil er wahrscheinlich dachte, er würde mich nie wieder in seinem ganzen Leben sehen. Wenn er wüsste, dass wir im selben Geschichtskurs waren, würde er vor Scham wahrscheinlich im Boden versinken und das verletzte mich irgendwie. Er war für mich etwas besonderes, doch ich war für ihn nur Müll.
Wahrscheinlich.
Ich konnte es nicht sicher wissen.
Doch dieses Wort machte meine ganze Gefühlslage im Moment auch nicht gerade besser. Ich fühlte mich plötzlich einfach nur beschissen und erschrak, weil ich bemerkte wie viel Macht dieser Junge über mich hatte nach nur einem Gespräch. Wie ich von glücklich auf deprimiert schaltete, weil mich der Gedanke, dass ich für Wyatt Badgley nichts weiter war, als der Müll der bei uns neben der Tonne und auf der Straße landete, runterzog. Dabei kannte ich ihn gar nicht.
Ich wusste nicht, was er gerne in seiner Freizeit machte. Was er für Filme oder Serien guckte. Wie seine Familie so drauf war. Was er später mal werden wollte. Welches College in seine engere Auswahl gekommen war.
Gar nichts.
Und diese Erkenntnis, dieses Wissen, ließ mich diese Nacht einen Albtraum haben: Wyatt wirft mich Müll auf die Straße.
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Different Worlds | bxb
Romance„Kann man dir vielleicht helfen?", fragte ich und legte den Kopf schief. Ein Grinsen konnte ich mir auch nicht verkneifen. Er hob den Kopf noch ein wenig weiter. „Nein", meinte er giftig und blinzelte mich böse an. „Ich brauche keine Hilfe. Jedenfal...