»Deine Amsel sieht wirklich hübsch aus, Lucinda. Handarbeit war leider noch nie meine Stärke. Eines der vielen Dinge, die meine Schwiegermutter an mir auszusetzen hat.« Paulina stach ihre Nadel in das Stickkissen, als hätte es sie persönlich beleidigt. »Ich finde deine Rosen wirklich gut gelungen«, sagte ich und lächelte ihr aufmunternd zu.
Als Paulina mir vor einer Woche mitgeteilt hatte, dass sie mich am nächsten Samstag besuchen würde, hatte ich mich ein wenig gewundert. Es war nicht, dass ich sie nicht mochte. Im Gegenteil, ich fand sie sehr nett, aber ich hatte nicht den Eindruck gehabt, als hätten wir sonderlich viel gemeinsam. Sie wirkte so viel besonnener und reifer, vielleicht weil sie schon Mutter war und neben ihr konnte ich nicht anders, als mich ein wenig unterlegen zu fühlen.
»Ich glaube das hat nichts mit Talent zu tun, sondern ist viel mehr eine Frage der Übung«, sagte Audrey vergnügt. Ich hatte sie kurzerhand mit eingeladen. Zum einen, weil wir uns in letzter Zeit nur noch selten sahen, zum anderen, weil ich mich wohler fühlte, wenn sie mit dabei war. »Möglicherweise.« Paulina seufzte tief. »Leider fehlt mir zum vielen Üben die Geduld. Sie legte ihre Arbeit auf dem Schoß ab und massierte sich die Handflächen. Dabei fiel mir der silberne Ring auf, der wunderbar zu ihrem breiten Armreif passte und in den ein Rubin von der Größe einer Mandel eingelassen war. »Dein Ring ist wunderhübsch. Ein Familienerbstück?« Sie betrachtete ihn eingehend, so als sähe sie ihn zum ersten Mal und lächelte dann selig.
»Nein, er ist ein Geschenk von meinem Mann. Schön, nicht wahr? Und furchtbar kostbar. Er ist ein absolutes Einzelstück.«Beim Gedanken an Mr. Meadows, und daran was er gerade ein Stockwerk über uns tat, wurde mir mulmig zumute. Als er erfahren hatte, dass seine Frau mir einen Besuch abstatten wollte, hatte er vorgeschlagen sie zu begleiten und nach meinem Vater zu sehen. Darüber war ich mehr als froh gewesen, denn auch wenn Dr. Brown bestimmt der beste Arzt war, den mein Vater sich nur wünschen konnte, beschränkte sich sein Wissen leider auf die herkömmliche Schulmedizin. Mr. Meadows dagegen kannte sich auch mit Vampirbissen aus.
Audrey seufzte verträumt. »Wie entzückend! Das letzte Mal, dass der Marquis mir etwas geschenkt hat, war zu unserer Hochzeit. Ein Collier. Wirklich hübsch, aber ich bezweifle, dass er es selbst ausgesucht hat. Er ist doch immer so beschäftigt.« Paulina nahm ihre Stickerei wieder auf und kicherte leise. »Ja, ich habe wirklich Glück.«
»Apropos«, rief Audrey und wandte sich zu mir. »Wie laufen die Hochzeitsvorbereitungen? Wie man hört scheut deine Mutter weder Kosten noch Mühen.« Ich stöhnte. »Ja, sie ist sehr...enthusiastisch.«
»Wann ist es denn soweit?«, fragte Audrey. »Im September. Ich fand, ein wenig mehr Zeit wäre sicher gut gewesen. Schließlich gibt es so viel zu planen. Aber Mutter war da anderer Meinung.« »Immerhin musst du dich nicht mit einer Schwiegermutter plagen«, sagte Paulina. »Nur mit einem Schwiegervater. Aber die sind harmlos dagegen.« Audrey setzte an um etwas zu erwidern, aber ein Klopfen an der Tür ließ sie inne halten. »Herein!«, rief ich und Mr. Meadows betrat den Raum. Seine Miene war ernst.
»Lady Lucinda, darf ich euch einen Moment lang sprechen?« »Natürlich.« Mein Mund war ganz trocken. Ich stand auf und ging mit steifen Gliedern aus dem Raum. Was immer er mir auch zu sagen hatte, gute Nachrichten waren es sicher nicht. »Was ist passiert?« »Euer Vater ist jetzt schon sehr lange bewusstlos. Das kam mir gleich seltsam vor, aber ich wollte nicht vom Schlimmsten ausgehen. Manche Menschen brauchen eben etwas länger bis sie aufwachen. Nun ja, aber so etwas habe ich bis jetzt nur einmal gesehen. Bei einem Jungen im East -End.« Er hielt inne, als müsse er sich sammeln.
Dann räusperte er sich und sah mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn an. »Es gibt einen Zustand, den wir Haeresco nennen. In seltenen Fällen wacht der gebissene weder als Mensch noch als Vampir auf, sondern bleibt in der Schlafphase stecken. Wie gesagt, es kommt nicht oft vor, aber hin und wieder.« Ich keuchte ungläubig. Ewiger Schlaf? Das klang ja fürchterlich!
»Und was kann man dagegen unternehmen?«, fragte ich. Er seufzte und zog entschuldigend die Schultern hoch. »Soweit ich weiß muss man den Vampir aufspüren und töten. Vielleicht gibt es auch andere Möglichkeiten, aber die kenne ich leider nicht. Wie gesagt, es ist unwahrscheinlich selten und es gibt kaum Studien dazu. Genauso wenig wie wir wissen, warum manche sich schon nach dem ersten Biss verwandeln und andere mehrere Male ungeschädigt standhalten.« Ich schluckte. Das hörte sich zwar nicht besonders rosig an, aber immerhin würde es nicht mehr lange dauern bis wir meinen Vater aufwecken konnten. Schließlich hatten wir bereits gute Vorarbeit geleistet. »Ich danke Euch. Ihr seid ein wirklich guter Freund. Lord Salverton kann sich sehr glücklich schätzen euch zu kennen. Und ich mich auch.«
»Das kann ich nur zurück geben, Mylady. Wie ich höre war der Ball ein Erfolg?« Beim Gedanken daran wurde mein Gesicht ganz heiß. Seine Hände auf meiner Taille, sein Haar zwischen meinen Fingern und sein Atem an meinem Hals...Oh Gott! Ich machte meiner guten Erziehung wirklich keine Ehre.
Wenn es wenigstens nur am Alkohol gelegen hätte, aber die Wahrheit war, dass ich es gewollt hatte. »Ja, wir wissen jetzt wo wir den Vampir finden können«, sagte ich und versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen. Was der Lord ihm wohl sonst noch so erzählt hatte? Aus Mr. Meadows Miene konnteich nichts als ehrliches Interesse heraus lesen, aber wer weiß, vielleicht lachte er gerade innerlich darüber, wie ich mich seinem Freund an den Hals geworfen hatte. Ein naives kleines Ding ohne Anstand. Das würde auf meinem Grabstein stehen. »Ihr solltet ein wenig vorsichtiger sein«, sagte erund sah mich ernst an. Oh Gott! Also wusste er doch Bescheid.
Ich wollte vor Scham im Boden versinken. »Der Graf ist gefährlicher als er erscheinen mag und Ihr solltet ihm auf keinen Fall trauen.« Wie bitte? Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Der Graf?«
»Der Graf von Huntington.« Ich brauchteeinen Moment bis ich begriff, dass Mr. Meadows gar nicht von seinem besten Freund redete, sondern von dessen Erzfeind. »Ähm...ja, natürlich«, stammelte ich.»Ich werde schon auf mich aufpassen.«
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Die sterbliche Baronin
FantasíaEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...