Der Sündenfresser: Shikhu

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XL-Leseprobe „Der Sündenfresser"
© Loki Feilon, Hybrid Verlag



 [Der Sün|den|fres|ser]

Substantiv. Maskulin.
Keine bekannte Definition.



Wir haben gewonnen.
Und doch hat der Sieg uns alles gekostet.

Unsere Städte liegen in Trümmern. Dreitausend Jahre voll technischer Errungenschaften sind leerem Ödland gewichen. Die Metropolen unserer Welt, Meredith, Neu Jersaya, all die anderen, mit ihren imposanten Wolkenkratzern und hunderttausenden Einwohnern; sie ragen nicht einmal mehr über meine Stiefel hinaus.
Nahezu alle Völker sind vollkommen vernichtet worden. Ausgelöscht, als hätte es sie nie gegeben. Alles ist verloren. Die Bibliotheken, die Universitäten, unsere Autos und Flugzeuge. Hoffnung. Die letzten Magier sind fort, ich weiß nicht, wohin sie gegangen sind. Unsere Kultur existiert nicht mehr. Unser Lebenswerk vernichtet. Unsere Kinder sind tot.
An den umgepflügten Pfaden, die wir Straßen schimpfen, türmen sich Schädel, stumme Augenzeugen der Verheerung. Einsamen Wanderern werfen sie aus leeren Augenhöhlen vorwurfsvolle Blicke zu, als wollten sie uns grausam zuflüstern: Ihr seid selbst schuld.

Das sind wir: schuldig.
Wir haben die Magie und die Technik an ihre Grenzen getrieben. Wir waren wie besessen. Haben den Gefahren unserer Gesellschaft keine Beachtung geschenkt. Haben weggesehen, als die Schwachen uns gebraucht hätten, sie zu schützen. Bis sie sich erhoben, uns zu vernichten. Es geschieht uns nur recht. Das unvermeidbare Schicksal unserer Arroganz.
Ich weiß, manche denken anders darüber. Doch vielleicht ist es auch unser Schicksal, die alte Welt hinter uns zu lassen, um mit Stöcken und Steinen eine neue Welt zu bauen. Die Welt der Menschen. Nichts wollen wir mitnehmen in die neue Zeit. Nicht, dass es noch etwas gäbe, was man mitnehmen könnte; außer der keimenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die Fehler der Vergangenheit im Gedächtnis.
Der Tod ist allgegenwärtig.
Doch wir sind am Leben. Und wir tun das, was wir Menschen am besten können. Wir klopfen uns den Dreck von den Mänteln, stehen auf und fangen von vorne an.

Es gibt nicht mehr viele von uns. Einige Menschen sind in den Norden gegangen, was auch immer sie dort vorzufinden glauben. Wir aber wollen hierbleiben. Hier, wo einst unsere Heimat war. Wir werden ein Stück Land finden, auf dem noch Leben möglich ist. Wir werden uns aufteilen, niederlassen und neue Städte gründen. Weitermachen. Leben.
Unsere neue Welt soll Skelesh heißen: Kontinent der vergessenen Seelen.
Und zum ersten Mal seit Zeitaltern schreiben wir das Jahr Eins. Eins nach Kriegsende.


Kontinentalbibliothek.
Sadith Stadt
.
Nachkriegschroniken aus dem Jahre 01 n.K.

Der Sündenfresser: ShikhuWhere stories live. Discover now