Nachbeben

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Marlena hockte nachdenklich auf den Boden vor ihrem Bett. Nach Maranteras erfolgreicher Heimkehr hatte sie eine ruhige Nacht in ihrem Elternhaus verlebt. Leider war der nachfolgende Morgen bisher nicht so ruhig verlaufen. Die junge Halbling hatte gemeinsam mit ihren Eltern den Remgar absolvieren wollen, war aber nur bis zur Türschwelle gekommen. Ein ganzes Meer von Geschenken hatte sie erwartet. Brennende Kerzen und Blumen waren darunter gewesen aber hauptsächlich handelte es sich um Steine. Steine gegen irgend einer Form Besonderheiten aufwiesen. Besonderheiten wie Einschlüsse von seltenen Materialien, Halbedelsteine oder Bilder von Tieren die es heute in dieser Form nicht mehr gab. Das Volk ihrer Mutter erklärte diese Bilder in den Steinen auf dieselbe Weise wie die Entstehung des heiligen, steinernen Waldes der Zwerge. Fossielien aus längst vergangenen Zeiten.
Für die Zwerge jedoch waren diese Steine von besonderem Wert. Sie glaubten, dass die Götter sie berührt hätten als sie das Leben erschufen aber sich gegen diese spezielle Tier- oder Pflanzenart entschieden hatten und ihnen den Lebensfunken verweigert hatten.
Durch die enge Verbindung zu den Göttern galten diese Steine dem Volk der Zwerge als Glücksbringer.
Es hatte sich schnell geklärt woher all diese Gaben stammten. Es waren Geschenke wir Zwerge die in der Ostmark lebten. Diese standen natürlich mit ihren Lieben in der Heimat in Verbindung und die Geschichte von Marlena hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Noch am gestrigen Abend hatte Orik Marlenas Vater über einen magischen Spiegel kontaktiert und seinem Clanbruder die erfreuliche Nachricht übermittelt, dass alle Spuren von Marantera aus dem Königreich der Zwerge verschwunden waren. Somit war die Bedrohung für das Volk des Beor-Gebirges abgewendet worden. Darüber war Marlena natürlich sehr erleichtert gewesen und auch über die Tatsache, dass Atalet und Svenaja sich bereits gemeldet hatten und ein gutes Stück der Reise nach Tronjheim erfolgreich hinter sich gebracht hatten.
Der Monarch der Zwerge hatte angekündigt, dass man das glückliche Ende dieser Bedrohung mit einem großen Fest in der Hauptstadt feiern wollte bevor sich das Volk der Knurlan wieder auf den Heimweg in seine Siedlungen machte. Nun der die Bedrohung abgewendet war sprach schließlich nichts dagegen, dass die Zwerge, die als Flüchtlinge in die Hauptstadt gekommen waren, zu ihrem eigentlichen Heimatsstädten zurückkehrten.
Eragon hatte die Einladung dankend entgegengenommen und versprochen seinem Clanbruder so bald wie möglich mitzuteilen ob er und seine Familie teilnehmen würden.
Marlena hatte eigentlich fest vorgehabt sich diese Feier nicht entgehen zu lassen. Die Festivitäten der Zwerge waren schließlich legendär aber der Anblick der vielen Geschenke vor ihrer Haustür und die Tatsache dass einer der Priester des Zwergenvolkes der in der Ostmark lebte sie mit Fragen bestürmt hatte, ließen sie nun zweifeln.
Im Grunde war Marlena wütend auf sich selbst. Wie ein kleines Kind hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen und auch wenn sie es nicht gerne zugab, die Vorstellung sich ins Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen hatte durchaus etwas einladendes.
Diesen Impuls hatte die junge Halbling jedoch niederkämpfen können. Stattdessen hatte sie eine kleine Schatulle aus der hintersten Ecke ihres Kleiderschranks hervorgeholt und betrachtete gerade den Inhalt.
Es hatte etwas beruhigendes die Gegenstände dort zu betrachten. Wertvoll waren sie nicht. Zumindest nicht für andere Leute. In dem kleinen Kästchen verwahrt Marlena Schätze aus ihrer Kindheit an denen sie besonders hing. Andenken an eine Zeit in der alles etwas leichter gewesen war.
Gerade sortierte sie eine Sammlung handgeschnitzter Tierfiguren. Es handelte sich um ein Geschenk zu ihrem neunten Geburtstag von ihrem Onkel Roran. Ganz in diese Tätigkeit vertieft schreckte Marlena ein wenig zusammen als es an ihrer Tür klopfte.
Auf ihre Erlaubnis hin betrat Eragon das Zimmer seiner Tochter. Er lächelte warm und setzte sich neben sie auf den Boden.
"Alonvy hat mir erzählt wo du dich versteckst."
Mit vor Zorn funkelnden Augen drehte sich die junge Halbling zum Fenster ihres Zimmers um und sah gerade noch einen weißen Drachenkopf an der unteren Kante der owalen Öffnung verschwinden.
"Verräterin!" fauchte Marlena im Flüsterton.
"Sei ihr nicht böse Kleines. Sie meinte du brauchst jemanden zum Reden und ich kann sehr gut verstehen wie du dich im Augenblick fühlst."
"Wirklich?"
Marlena blickte ihren Vater etwas ungläubig an.
"Allerdings." murmelte Eragon. "Du hast das Glück, dass sie zu Reiterin berufen worden bist in einer Zeit in der der Orden wieder erstarkt ist und sich das einfache Volk wieder daran gewöhnt hat, dass es uns gibt. Als ich damals mit Saphira zu den Varden kam war das ganz anders. Die Reiter waren nur noch mythische Gestalten aus Legenden und Erzählungen. Jahrzehntelang war Saphiras Ei die einzige Hoffnung der Rebellen auf einen Sieg über Galbatorix gewesen. Bevor sie schlüpfte konnten die Kämpfer dem Imperium nur einige Nadelstiche beibringen und hoffen zu überleben bisher Drache des blauen Eis sich einen Reiter wählen würde. Über Generationen hatte man die besten und klügsten Krieger vor das Ei geführt und der Drache war nicht geschlüpft. Dann kam ich zu ihnen. Ich weiß noch nie Saphira und ich das erste Mal Tronjheim vor uns sahen. Der Weg war gesäumt von Kriegern der Varden und der Zwerge. Einige jubelten, andere waren wütend oder enttäuscht. Nie zuvor bin ich mir auf Saphiras Rücken so klein vorgekommen wie an jenem Tag. Als Nasuadas Vater, Ahihad die dann offenbarte was ist mit dem Ei auf sich hatte und was man nun von mir erwartete wäre ich am liebsten in das nächste Loch gekrochen. Ich war der einzige freie Reiter von dem die Welt wusste. Alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft lasteten auf mir. Wesen sahen in mir einen Hoffnungsträger oder hassten mich obwohl sie mich noch nie zuvor gesehen hatten."
"Du meinst so wie die Az Swelden Anhûin oder?" fragte Marlena die sich inzwischen wirklich von ihrem Vater verstanden fühlte.
"Ganz genau." bestätigte Eragon. "Und glaubt mir kleiner Stern, ich habe meinen Teil an Fehlern begangen in jenen Tagen. Der missglückte Segen von Elva ist da nur ein Beispiel. Nur einen Fehler habe ich mit Sicherheit nicht gemacht. Weißt du welchen?"
Marlena schüttelte den Kopf.
Eragon lächelte und fuhr fort:
"Den Fehler nichts zu tun. Es gibt nur eine Sache die schlimmer ist als der eigenen Legende nicht gerecht zu werden Kind. Nämlich anderen die Kontrolle über die eigene Legende zu überlassen. Man wird sehr schnell zum Spielball von machthungrigen Individuen die sich einen Vorteil aus der Freundschaft zu einem Versprechen. Ich kann verstehen, dass du erstmal deine Gedanken ordnen muss aber sei dir bewusst, dass du dich nicht für immer hier oben verstecken kannst."
"Ich weiß." flüsterte Marlena. "Aber was soll ich den Leuten sagen? Ich kenne keine Wahrheit dich verkünden könnte."
"Das musst du ja auch nicht." tröstete Eragon. "Es gibt ein altes Sprichwort: die Wahrheit spricht für sich selbst. In deinem Fall bedeutet das, dass du nichts verkünden muss. Erzähl einfach was geschehen ist. Sollen wir Kleriker der Zwerge sich den Kopf zerbrechen was es bedeutet. Wichtig ist nur, dass du dir nicht irgendetwas in den Mund legen lässt weil die irgendjemand sagt, dass das das Beste ist. Ich würde dir gern einen Vorschlag machen. Orik hat uns doch zu dieser Festivität eingeladen. Ich denke mein Clanbruder weiß sehr genau, dass er seinem Volk Gelegenheit geben muss dir zu begegnen damit sich die angestaute Neugier verflüchtigt. Ich denke er weiß aber auch, dass es wichtig ist die Dinge unter Kontrolle zu behalten. Deshalb würde er wohl einer bitte von unserer Seite nachkommen. Du hast doch eine recht gute Beziehung zu diesem Priester Atalet entwickelt oder? Er ist doch geradezu prädestiniert geeignet der letzten Tage zu dokumentieren. Wer weiß mehr über Marantera als er. Wenn ich Orik darum bitte wäre es vielleicht möglich dass du in erster Linie mit ihm sprechen könntest. Er wird vielleicht auch seine Erinnerungen betrachten wollen aber......"
"Das wäre wunderbar." Marlena war von der Idee ihres Vaters geradezu begeistert. Atalets kannte und vertraute sie. Er würde mit sich reden lassen und nicht versuchen die Dinge in den Mund zu legen oder alles was sie sagte umzudeuten. Auch das Öffnen ihrer Gedanken verlor bei der Aussicht es gegenüber Atalet zu tun viel an Schrecken.
"Gut." schmunzelte Eragon offenbar erfreut darüber dass seine Tochter die Idee offenbar begrüßte. "Dann werde ich mit Orik sprechen und ihm sagen, dass meine Tochter, ich und Arya an seinem Fest teilnehmen werden. "
"Ihr begleitet mich?!
Auch dieser Gedanke gefiel Marlena.
Ihr Vater indes nickte.
"Ich habe mein Clanbruder viel zu lange nicht mehr in Fleisch und Blut gesehen und vielleicht können wir dir mit unserer Erfahrung etwas helfen. Außerdem sind die Feste der Zwerge immer eine Reise wert."
Nun musste man lehne auch lachen.
"Du willst mir also helfen nicht über dieselben Steine zu stolpern wie du?"
Eragon stimmte in das Lachen seiner Tochter ein sein Blick jedoch behielt eine ernste Note.
"Ganz genau. Ich hoffe übrigens, dass du Alonvy wirklich nicht mehr böse bist dass sie mich zu dir geschickt hat."
Marlena schüttelte den Kopf.
"Im Grunde weiß meine Große immer was das Beste für mich ist"
-" Gut dass Du das einsiehst!"-
Marlena brauchte nicht lange um die Quelle der geistigen Stimme auszumachen. Erneut zeigte sich am unteren Rand ihres Fensters ein weißer Drachenkopf geht ihr freundlich zuzwinkerte.

Eragon Buch 7 - Im Wandel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt