Kapitel 23

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Sonnenlicht schimmerte durch Janes geschlossene Lider, zaghaft öffnete sie ein Auge, nur um es sofort wieder zu schließen. „Zu hell", knurrte sie. Verschwommen nahm sie ihre Wimpern wahr, während sie durch einen kleinen Schlitz schielte. Noch immer schmeckte sie das Salz auf ihren Lippen, auch wenn die Tränen längst versiegt waren. Ihre linke Hüfte schmerzte, sie entschied sich einfach auf dem Bauch weiterzuschlafen. Während sie sich drehte, stieß sie gegen etwas Warmes, ziemlich Großes. Jane schob mit ihren Händen dagegen um sich den nötigen Platz zu verschaffen, doch als ihre Hände auf nackte Haut stießen, riss sie vor Schreck die Augen auf. Für einen Moment sprang ihr Herz fast aus der Brust, allein aus der Hoffnung heraus neben Maura aufzuwachen. Sie erblickte jedoch rötliche Haare, die über das komplette Kissen neben ihr verteilt lagen. Jane beugte sich ein Stück nach oben um sich zu vergewissern ob sie wirklich neben Becca lag und nicht das Ganze träumte. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf Beccas Gesicht, welches friedlich und zufrieden aussah. Möglichst leiste legte Jane sich zurück auf ihr Kissen und scannte ihre Umgebung, entnervt seufzte sie auf. Das Sonnenlicht kam durch cremefarbene Gardinen zum Vorschein, welche ein riesengroßes Fenster verhüllten. Das Licht verfing sich in einer gläsernen Vitrine am Ende des Raumes, was zu regenbogenfarbenen Lichtreflektionen im ganzen Zimmer führte. Fasziniert von diesem Lichtspielt verfolgte Jane einige Reflektionen, die aufgeregt durchs Zimmer hüpften und ihm einen ganz besonderen Charme verliehen. An den Wänden hingen schlichte Bilderrahmen, die prallgefüllt mit bunten und lebensfrohen Bildern gefüllt waren, auf einigen konnte Jane Becca mit Freunden erkennen und auf anderen mit ihrer Familie, zumindest schätzte Jane das. Ein Bild fiel ihr dabei besonders auf, drei rothaarige junge Personen strahlten aufgeregt in die Kamera, hinter ihnen stand ein älteres Ehepaar. Jane schätze sie auf um die 40, es musste sich um Beccas Eltern handeln. Neben Becca stand Theo und ein ihr unbekanntes Mädchen, aber da sie ihr zum verwechseln ähnlich sah konnte es nur ihre Schwester sein, vielleicht sogar ihre Zwillingsschwester? Das Bild schien schon einige Jahre zurückzuliegen, Beccas Gesichtszüge waren dort noch deutlich kindlicher, trotzdem versprühte sie schon dort eine unwiderstehliche Aura. Janes Augen wanderten über die Fotos zu Beccas Schrank, in dem unendlich viele Bücher standen. Jane stützte sich auf ihren Ellbogen nach oben, so langsam und leise wie möglich um Becca nicht zu wecken. Vorsichtig erhob sie sich aus dem Bett und wanderte zum Schrank hinüber. Gedankenverloren studierte sie die Titel der Bücher und blieb an einem hängen. „Der Sternenhimmel." Jane drehte sich um, schaute ob Becca noch schlief und griff dann nach dem Buch. Sie durchblätterte interessiert die Seiten, nahm sich vor sich selbst so eines zu kaufen. Der sanfte Klang einer Stimme riss sie aus ihren Gedanken: „An diesen Anblick am Morgen könnte ich mich gewöhnen."

Jane drehte sich zu Becca, welche verschlafen in Janes Richtung blickte. Sie zog amüsiert die Augenbrauen hoch und leckte sich unbewusst über ihre Lippen. Jane schaute an sich hinab und konnte sich erst jetzt erklären was Becca meinte, sie stand komplett nackt vor dem Regal. Beschämt eilte Jane zurück zum Bett und vergrub sich unter der Bettdecke. „Es gibt keinen Grund sich verstecken zu müssen, Jane. Du siehst wunderschön aus." Janes Gesicht lief feuerrot an und sie nuschelte vor sich hin bis Becca die Decke anhob: „Ich kann dich nicht verstehen dort unten." Lächelnd zog Becca die Decke ein Stück zur Seite, was Jane sogar zuließ. Nun lag sie Oberkörperfrei neben ihr, was Becca als Einladung sah ihren Kopf darauf zu legen. Beccas Haare kitzelten auf Janes Haut, was ein intensives Prickeln nach sich zog. „Geht es dir besser?", fragte Becca. Stirnrunzelnd lag sie da, wusste nicht was sie darauf sagen sollte. Becca wusste so viel und doch eigentlich nichts, was sollte sie ihr nun sagen? „Passt schon", mehr brachte sie nicht hervor, obwohl sie wusste Becca würde sich damit sicherlich nicht zufrieden geben. „Warum bist du so traurig, Jane?", natürlich gab sie nicht auf. Jane versuchte das Thema zu wechseln, doch sie ließ nicht locker, seufzend setzte Jane zu einer Antwort an: „Meine Eltern...es ist kompliziert...mein Vater ist schwierig... und er akzeptiert mich nicht so wie ich bin, aber das ist gerade nichts worüber ich sprechen möchte. Tut mir leid." Becca strich Jane die Haare aus dem Gesicht, schaute sie lächelnd an, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und nickte. „Schon okay, du musst auch gar nichts. Du sollst nur wissen ich bin für dich da, falls du mal reden magst." Jane nahm das Angebot dankend an, bisher sah sie jedoch keinen Grund dazu ihr mehr zu erzählen. Brennender interessierte sie etwas anderes: „Becca? Was ist mit Grant? Was ist das hier zwischen uns? Wenn du das nur machst um zu spielen, oder um Grant wehzutun bin ich raus." Eigentlich war Jane bei nichts dabei, selbst bei einer belanglosen Affäre nicht, doch sie lag hier, nackt. Letzte Nacht war geschehen und rückgängig wollte sie es trotzdem nicht machen, allein bei dem Gedanken kam ihr die Szenerie von Maura und Ian wieder ins Gedächtnis. Es schüttelte sie leicht, sie versuchte sich also wieder auf Beccas Augen zu konzentrieren, Mauras auszublenden. Diese haselnussbraunen und doch grünen Augen. Sie würde sie niemals vergessen. Becca kräuselte die Nase, ließ sich mit der Antwort Zeit, doch nach einer Weile gab sie Jane eine Antwort, eine Antwort mit der sie nicht unbedingt gerechnet hatte: „Ich bin ehrlich zu dir, Jane. Anfangs, da habe ich nach Grants Pfeife getanzt. Er wollte dir wehtun, dich bloßstellen...und das alles nur weil er noch Gefühle für dich hat, aber ich denke das weißt du sogar. Ich war verknallt in Grant, zumindest habe ich das gedacht. Ich habe mitgespielt, weil ich dumm und naiv war. Er hat mir Dinge versprochen...ich...er weiß Dinge, die niemand wissen sollte... Ich... Ehm... Nach unserem ersten Kuss, da habe ich noch gedacht es sei alles gut. Doch ich musste von Tag zu Tag mehr an dich denken, Grant und ich haben immer mehr gestritten. Mir wurde bewusst, dass er mich nur benutzt und ihm wurde wohl eines bewusst, ich bin einfach kein Ersatz für dich. Er stellte mich zur Rede, gestern in der Uni. Er wollte wissen ob ich etwas für dich empfinde und ich musste mir eingestehen, es ist so. Ich empfinde etwas für dich Jane und ich weiß es könnte wachsen, wenn du das auch willst. Ich möchte dich keinesfalls zu etwas zwingen, oder dich in etwas reindrängen wozu du nicht bereit bist. Ich denke, du vertraust mir nicht, wegen Grant und dieser Sache...aber ich möchte dir zeigen, dass du mir vertrauen könntest..."

Schweigend lagen die Beiden auf dem Bett, Jane völlig ratlos und Becca mit großer Anspannung. „Becca, ich...ich bin kein Beziehungstyp, aber das weißt du ja schon. Ich kann und werde dir nichts versprechen, können wir erst einmal normal weitermachen und schauen wie es sich entwickelt? Ich mag dich, Becca, ehrlich. Ich bin gerade nur sehr durcheinander und es ist wirklich viel passiert." Maura. Das einzige Wort was sich in ihren Gedanken wiederholte. Sie wollte Maura, doch sie nicht Jane, auch wenn sie anderes behauptet hatte. Innerlich wurde sie gerade zerrissen, es schmerzte so sehr, aber anmerken ließ sie es sich nicht. Wenn Maura wieder nach vorne schauen würde, sollte Jane das auch. Sie schloss einen Pakt mit sich selbst, schauen was passiert, nichts erzwingen und keine unnötige Verletzung von Gefühlen. Becca sollte keinesfalls leiden, Jane würde nur etwas mit ihr eingehen wenn sie es ernst meint. Sie hoffte es zumindest. Vernünftig sein war noch nie ihre Stärke. Sie beugte sich zu Becca und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen: „Deal?" Beccas Grinsen reichte als Antwort vollkommen aus. Sie verbrachten noch zwanzig Minuten im Bett, danach mussten sie sich beeilen zeitig zur ersten Vorlesung zu kommen.

In der Lobby drehte Jane sich ein letztes Mal um und sah wie Becca im linken Trakt verschwand, während Jane in den rechten Gang bog. Zu keiner Zeit begegnete sie Frost, Grant oder Maura. Doch alleine die Zeit ohne Maura war limitiert, immerhin würden sie die zweite Vorlesung gemeinsam haben. Seelisch bereitete sich Jane schon auf die Schmerzen in ihrem Herzen vor, auch wenn ein Herz nicht wirklich schmerzen konnte, eine Weisheit von Maura. Jane mochte es wenn Maura die Klugscheißerin raushängen ließ und es nicht einmal bemerkte, sie ließ sich nicht einmal von einem Lachen beirren, sie redete ohne Punkt und Komma wenn sie etwas Wissenschaftliches erklärte. Kopfschüttelnd bog Jane um die Ecke um zu ihrem Saal zu kommen, aus den Augenwinkeln sah sie Maura, die gerade an ihrem Büro mit einer Studentin stand. Alleine wie nah sie ihr stand brachte Jane innerlich zum toben. Mit gesenktem Kopf eilte sie in den Saal, suchte nicht nach Mauras Blick, nicht nach ihrem Lächeln. Frost stürmte durch die Tür und rammte fast Jane von ihrem Platz als er sich auf seinen Stuhl schmiss. „Bin ich zu spät?", keuchte Frost. „Nein?" Frost wischte sich den Schweiß von der Stirn und pustete erleichtert aus. „Sehr gut. Grant hat mich heute Morgen zur Seite gezogen, er muss eine Freundin haben. Es hat mich überhaupt nicht interessiert, aber er konnte nicht aufhören zu reden. Grant schien sie gestern nicht mehr erreicht zu haben, nachdem sie sich wohl gestritten haben. Wen interessiert das? Die wird es eh nicht lange mit ihm aushalten, er ist schlimmer als jede Frau. Nichts gegen dich, Jane." Frost redete sich um Kopf und Kragen, da kam auch Grant durch die Tür. Jane schaffte es nicht ihn anzublicken, aus Angst er könnte in ihren Augen ablesen was los ist. Immerhin schien er bemerkt zu haben, dass etwas falsch gelaufen ist zwischen ihm und Becca, ein Fortschritt für Grant. Doch die Wahrheit über das was gestern Nacht passiert ist, würde ihn bestimmt zum ausrasten bringen. Wen auch nicht? Die Vorlesung ging schnell vorbei und Jane fieberte der Nächsten entgegen. Zum einen breitete sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen aus, zum anderen Aufregung. Sie konnte es einfach nicht abstellen, so gern sie es auch wollte. Einige Minuten später, Frost kam mit Kaffee wieder, eilte auch Maura durch die Tür. Sie blickte nicht in die Menge des Saales, suchte auch nicht nach Jane, so wie sonst immer. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube, wie ein Eimer mit Pech der sich über Haut und Haare legte und sie an Ort und Stelle erstarren ließ. Jane hustete, räusperte sich, doch nichts brachte Maura dazu aufzuschauen. Dabei war Jane sich sicher, Maura wusste wer diese Geräusche produzierte. Verärgert und tieftraurig sank Jane tiefer in ihren Sitz hinein, Frost flüsterte ihr etwas ins Ohr, doch sie hörte es nicht. Alles zog wie im Film an ihr vorbei, als wäre sie nicht mehr anwesend an Ort und Stelle. Im Normal hätte Maura sie ermahnt, Frost ermahnt, doch es kam nichts. Sie war für eine Vorlesung unheimlich still, erteilte ihnen Aufgaben, Lektionen im Buch. Die Vorlesung zog sich wie Kaugummi, jeder Student schien froh über das Ende zu sein. Alle strömten in Windeseile heraus, Jane tat es ihnen gleich. Sie ertrug es nicht eine Minute länger in diesem Saal, mit dieser Ignoranz. Sie verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte Maura vor einigen Tagen noch all diese Dinge sagen, ihr Hoffnungen machen auf eine gemeinsame Zukunft? Darauf ihren Mann zu verlassen, alles zu regeln? Auch wenn sie kein zeitliches Limit nannte, hatte Jane es für voll genommen. Sie hatte gehofft es würde bald passieren und nicht das Gegenteil eintreten.

In der Cafeteria aß sie stillschweigend einen Salat, mehr bekam sie nicht runter. Grant saß zwei Tische weiter mit Frost und seinen Jungs zusammen. Jane dagegen verbrachte ihre Pause fast alleine, bis Becca und ihr Bruder Theo um die Ecke bogen. Jane rechnete damit ignoriert zu werden, so wie von Maura, doch das Gegenteil geschah. „Dürfen wir uns setzten?", Becca strahlte sie an. Auch Theo blickte freundlich in ihre Richtung, auch wenn er etwas hinter Jane beobachtete. „Aber natürlich!" Becca und Theo saßen keine zwei Sekunden, da steuerte auch schon Grant ihren Tisch an: „Becks? Warum kommst du nicht rüber zu uns? Wir haben noch Platz für dich und Theo." „Danke Grant, aber ich sitze hier schon ganz gut. Theo, du kannst ruhig gehen wenn du willst." Theo schüttelte seinen Kopf: „Nein, aber Becca? Ich setze mich drüben zu Anna und dem Rest. Wir sehen uns später." Ihr Bruder erhob sich und eilte zu einem braunhaarigen Mädchen, welches er verlegen auf den Mund küsste. Seine Freundin? Später musste sie unbedingt Becca dazu befragen, sie gaben ein schönes Paar ab. Grant zog seine Augenbrauen hoch, blickte zwischen Becca und Jane hin und her: „Sie kann auch mit." „Sie hat auch einen Namen, Grant. Und nein, aber trotzdem danke. Jane und ich haben noch was zu bequatschten." Jane sah wie die Wut in Grant brodelte, doch er erwiderte nichts, sondern entfernte sich vom Tisch. Jane drehte ihren Kopf, sah wie er sich wütend auf die Bank haute und seine Jungs anmaulte. „Du hättest ruhig gehen können...du sollst ja keinen unnötigen Stress wegen mir haben." Becca strich ihr über die Hand als sie nach dem Salz griff, jeder Andere hätte es nicht wahrgenommen, doch Jane gab es in diesem Moment besonders viel, sie wusste auch, dass sie es extra machte. „Ich wollte nicht, Jane. Ich möchte meine Pause mit dir verbringen." Die Pause mit Becca zu verbringen gestaltete sich als sehr angenehm, Jane entgingen jedoch nicht die bohrenden Blicke von hinten, sowie von Maura als sie in die Cafeteria kam. Das erste Mal seit Tagen würdigte Maura sie eines Blickes, zeigte eine Regung. Für einige Sekunden blitze Eifersucht in ihren Augen auf, auch wenn sie es schaffte schnell wieder ihre Maske aufzusetzen. Genugtuung machte sich in Jane breit, auch wenn das nicht ihre oberste Priorität sein sollte. Maura saß ihnen schräg gegenüber, jedoch mit dem Rücken zu ihnen. Mehr sah und hörte sie am Tag nicht von Maura, dafür umso mehr von Becca.

Gegen Nachmittag ging Jane zu ihrem Wagen und wurde von Frost eingeholt. „Jane? Sag mal, was geht da zwischen dir und Becca? Ich dachte du magst sie nicht...so?" Jane schaute Frost streng an, runzelte die Stirn und blieb still. Frost verstand den Wink. „Oh! Nein! Ich sage das nicht, weil... Gott Jane! Ehrlich! Ich frage dich das nur, weil ich dir geglaubt habe. Was hat sich geändert? Ich freue mich für dich, wenn du sie wirklich magst, ehrlich..." Frost stotterte, stolperte über seine Worte, doch er bemühte sich, das wusste Jane. Sie erkannte es ihm Hoch an. „Schon okay, Frost. Tut mir leid wenn ich so empfindlich reagiere. Ich mag sie ja, aber da ist nichts zwischen uns. Ich möchte mich trotzdem weiter mit ihr treffen, sie kennenlernen. Mal schauen." Frost knuffte sie in die Seite, verabschiedete sich von ihr und fuhr mit seinem VW davon. Jane hatte es nicht eilig, doch irgendwann musste sie nach Hause, auch wenn sie nicht wusste was sie dort erwartete. Ist ihr Vater wieder eingezogen? Was ist mit Tommy und Frankie? Und ihre Mutter? Bereute sie es? Hielt Frank sich daran nichts zu trinken? So viele Fragen und doch keine Antworten, sie musste wohl oder übel nach Hause. Nervös bog sie mit ihrem Ford auf die Einfahrt ihres Hauses, sah das Auto ihres Vaters in der Garage. Sie trommelte mit ihren Fingern auf dem Lenkrad, redete sich Mut zu und stieg aus dem Auto. Drinnen erwarteten sie ihre Mutter, Frankie und Tommy. Ihr Vater schien nicht da zu sein. Erleichtert setzte Jane sich auf ihren Platz und blickte in den Garten, dort mähte ihr Vater den Rasen. Zu früh gefreut. Frankie folgte ihrem Blick und sein Gesicht verfinsterte sich schlagartig. Keiner sagte etwas, Angela schien keine Anstalten zu machen etwas zu erklären. Wortlos hielt sie Jane einen Umschlag entgegen: „Der war heute in der Post, für dich." Jane schnappte sich den Brief, prüfte den Absender. Ein Brief von der Agentur. Jane steckte den Brief in ihren Rucksack und nahm sich etwas vom Essen. Frank stieß einige Zeit später zu ihnen, redete mit ihnen, tat wie immer. Es fühlte sich falsch an wie eine glückliche Familie am Tisch zu sitzen, doch niemand beschwerte sich, machte es schlecht. Sie würden es eh nicht ändern können. Jane hoffte einfach, sie müsste ihre Mutter nie wieder vom Boden aufsammeln, mit blauen Flecken und verheultem Gesicht. Nach dem Essen verkrümelten sich alle Rizzoli-Kinder auf ihre Zimmer, wo sie fleißig ihren Hausaufgaben nachgingen nur um der bedrückenden Stimmung im Wohnzimmer zu entgehen. Vielleicht auch um Konflikten vorzubeugen. Tommy musste dieses hin und her verwirren, aber noch mehr fraßen ihn die Schuldgefühle auf. Tommy verstand, er verstand mehr als alle Anderen glaubten. Er wusste auch, was er seiner Schwestern angetan hatte. Er wusste kaum wie er ihr gegenübertreten sollte, doch trotzdem stand er nun vor ihrer Tür und klopfte. Er trat hinein und traf seine Schwester an ihrem Schreibtisch an: „Jane? Können wir reden?" Immerhin einer in der Familie der Redebedarf hatte. Jane nickte und klopfte auf das Bett neben sich. T setzte sich auf seinen gewohnten Platz, der Platz auf dem Jane ihn immer getröstet hatte. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen Jane. Ich weiß, du würdest mir nie sagen, wie sehr ich dich verletzt habe, aber ich habe mir viele Gedanken gemacht...und ich möchte mich aufrichtig bei dir entschuldigen, auch wenn ich weiß...ich kann es nicht mehr wiedergutmachen, nicht wirklich. Das ist etwas, was ich niemals hätte sagen und erst Recht hätte ich nicht so dazwischen gehen dürfen. Jane...kannst du mir irgendwann verzeihen?" Janes Augen fingen leicht an zu glitzern und sie schlang ihre dünnen, braungebrannten Arme um ihren Bruder: „Ach T! Ich wusste du würdest es erkennen! Du bist schon so erwachsen, unglaublich!" Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange, was er geräuschvoll kommentierte und seine Wange mit dem Pullover abwischte. „Janie!" Sie kitzelte ihn, knuffte ihn und rubbelte seine Haare. „Du machst meine Frisur kaputt!" Jane konnte nicht fassen welch eine Erleichterung sie erfasste bei seinen Worten. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet, doch umso glücklicher war sie nun. Sie quatschte bis in die späten Abendstunden mit ihrem kleinen Bruder, erstaunt darüber so mit ihm reden zu können. Die familiäre Situation hat ihn um Jahre alten lassen, das tat Jane im Herzen weh. Nachdem Tommy todmüde ins Bett gefallen ist, saß Jane wieder in ihrem Zimmer. Sie grübelte über einer Aufgabe von Maura, immer wenn sie nicht weiterkam hatte sie Maura einfach gefragt, aber das fiel wohl nun flach. Sie schaute auf ihr Handy, wollte Mauras Nummer wählen, doch ließ es bleiben. Sie wusste nicht wie lange sie so dagesessen hatte, mit dem Finger schwebend über Mauras Namen, doch da fiel ihr der Brief wieder ein. Zögerlich riss sie ihn auf, fragte sich was sie erwartete. Die Gehaltschecks kamen eigentlich immer direkt von der Familie Isles. Sie überflog die ersten Zeilen, bei der Mitte des Briefes übermannten sie die Tränen, ihre Hände zitterten unkontrolliert. Sie tropften ohne Unterlass auf das Papier, verschmierten die schwarzen Buchstaben auf dem reinen, weißen Papier.

From Elephants and Tortoises (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt